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Maut-Chaos wächst sich zum politischen Desaster aus

29.01.2004

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom haben als Konsortialmitglieder des Lkw-Mautbetreibers Toll Collect nunmehr einen neuen Zeitplan für die Einführung des Abrechnungssystems auf deutschen Autobahnen vorgelegt: Eine erste Stufe soll zum 31.12.2004 an den Start gehen, eine verbesserte Variante dann ein Jahr später am 31.12.2005. Darüber hinaus erklärten sich die Konsortialmitglieder DaimlerChrysler, Deutsche Telekom und der französische Autobahnbetreiber Cofiroute in Sachen Haftung und Strafzahlungen für nicht eingehaltene Termine nur zu minimalen Eingeständnissen bereit.

Augen zu und durch scheint die Devise von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Sachen Lkw-Maut zu sein. Sein treuer Vasall, Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe, ist offensichtlich ebenfalls gewillt, jede Zumutung des Toll-Collect-Konsortiums zu akzeptieren. Er sagte vor einer Sitzung des Bundestags-Verkehrsausschusses, das jetzt präsentierte Angebot von Toll Collect würde Kernforderungen der Bundesregierung erfüllen. Das ist insofern verwunderlich, als das Konsortium für den Fall weiterer Zeitverzögerungen ab 2005 Strafzahlungen nur in Höhe von 40 Millionen Euro pro Monat anbietet. Zudem schwebt den drei Unternehmen eine Haftungsobergrenze von 500 Millionen Euro vor. Bisher war diese unbegrenzt. Außerdem verlangen die Konsortialpartner für den Fall des Stapellaufs der abgespeckten Mautsystemvariante sofort eine Betreibervergütung.

Dem Bund entstehen aber durch die Verzögerung der Mauteinführung Einnahmeverluste in Höhe von rund 180 Millionen Euro pro Monat. Dem Bundesverkehrsministerium fehlen wegen des Mautdebakels 2,8 Milliarden Euro für das laufende Jahr. Albert Schmidt, der verkehrspolitische Sprecher von Büdnis90/Die Grünen, zeigte denn auch vor laufenden Fernsehkameras unumwunden seine Empörung über das Verhalten der drei Firmen: "Das ist entlarvend, bei den Abschlüssen der Verträge im Sommer 2003 hat Toll Collect völlig verlogene Zusagen gemacht." Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Reinhard Weis, kommentierte den Toll-Collect-Vorschlag mit den Worten: "Der neue Projektplan […] ist enttäuschend und ärgerlich. Es wird sehr sorgfältig zu prüfen sein, ob er überhaupt akzeptabel ist."

Zudem kristallisiert sich jetzt heraus, dass spätestens in der zweiten Stufe des Mautsystems die so genannten On-Board-Units (OBUs), die in den Lkws automatisch die Abrechnungen vornehmen sollen, durch neue ausgetauscht werden müssen. Wahrscheinlich ist, dass die Umtauschaktion schon mit der Stufe eins vorgenommen werden muss. Karlheinz Schmidt, Chef des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, sprach deshalb bereits davon, seine Branche sei "das Versuchskaninchen von Toll Collect." Und ob mit den neuen OBUs wenigstens ab Anfang 2006 das Mauteinzugsverfahren Wirklichkeit werden wird, ist nicht sicher. "Auch ist noch immer unsicher, wann das System wirklich voll betriebsbereit sein wird", zitiert "Spiegel online" den Verkehrsausschuss-Vorsitzenden Eduard Oswald von der CSU. Solche Scheintermine hätte es bereits häufig gegeben, seitdem Toll Collect am 27. Juni 2002 den Milliarden-Auftrag erhalten habe.

Am Ende der Geduld ist mittlerweile auch Michael Knipper. Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie forderte nach dem neuen Angebot des Konsortiums: "Toll Collect darf den Bund nicht länger hinhalten. Die Gesellschaft muss für die Zwischenfinanzierung der Mautausfälle gerade stehen." Knipper sieht durch die massiven Einnahmeausfälle große Probleme auf die deutsche Bauwirtschaft zukommen. Eine schnelle Lösung der Finanzierungsprobleme sei vonnöten, sonst müsse das Baujahr 2004 abgeschrieben werden. Allein dieses Jahr seien Verkehrswegeinvestitionen in einem Umfang von 2,1 Milliarden Euro zur Disposition gestellt. Innerhalb und außerhalb der bauausführenden Wirtschaft seien damit 70.000 Arbeitsplätze akut gefährdet. Die Verursacher des Mautdebakels müssten auch in die finanzielle Verantwortung genommen werden. Dies könne geschehen, indem Toll Collect selbst dem Bund eine Zwischenfinanzierung zur

Verfügung stellte oder indem sie für eine Zwischenfinanzierungslösung über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) eine Bürgschaft zur Verfügung stellten.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kommentiert das neuerliche Einlenken von Manfred Stolpe ("Kernforderungen der Bundesregierung erfüllt") und von Bundeskanzler Gerhard Schröder ("Die Stufenlösung ist vertretbar. Ich gehe davon aus, dass die Diskussion jetzt beendet ist.") vergleichsweise scharf. "Wie lange darf sich eine Regierung von einem Unternehmen zum Narren halten lassen?" fragt die Zeitung. Toll Collect schiebe den Mautstart abermals hinaus. Statt nun aber deswegen kleinlaut zu sein, garniere das Konsortium sein "Angebot" mit "frechen Forderungen". Offensichtlich schienen die Betreiber ihrem eigenen Vorhaben nicht "ein Fünkchen mehr" zu trauen "als bei Vertragsabschluss 2002". Die Konzernchefs von DaimlerChrysler, Jürgen Schrempp, und Deutsche Telekom, Kai-Uwe Ricke, vermieden es nach wie vor, "mit dem Mautdesaster in Verbindung gebracht zu werden. Kommentar der FAZ: "Das Verhalten der Vorzeigekonzerne ist und bleibt eine Enttäuschung". (jm)