Technische Redakteure an der Schnittstelle zum Kunden:

Manual-Texter wollen die erste Geige spielen

19.04.1985

MÜNCHEN - Viele große Unternehmen der Informationsverarbeitung ziehen am gleichen Strang. Der Anwender will nämlich verständliche Texte, der Technische Redakteur soll sie schreiben. Immer noch fehlen jedoch für diesen Job ausreichend viele und ausgebildete Techniktexter. Der offizielle Status dieses Berufs ist noch ungewiß.

Wachsender Bedarf wird jedoch die Marktkonkurrenten sowie die öffentlichen Bildungsinstitutionen zwingen, darüber bald ins Gespräch zu kommen, meinen die Praktiker aus dem Manual-Redaktionsalltag.

Anerkennung im Unternehmen, etwa über die betriebsinterne Stellenbeschreibung, markiert den ersten Schritt.

Die Anerkennung auch nach außerhalb hat eine berufsständische Vertretung zu leisten. Zum Beispiel ist die tekom, Gesellschaft für technische Kommunikation in Stuttgart, eine derartige Institution, die sich um die Technikschreiber kümmert. Das heißt jedoch nicht, schränken die Technischen Redakteure ein, daß jedes Mitglied einer solchen Organisation ein Technischer Redakteur sein muß.

Die tecom versucht, eine spezifische Ausbildung zum Technischen Redakteur zu etablieren - ob über die Universität oder die Fachhochschule steht noch dahin. Auch eine Arbeitsgruppe an der Technischen Universität Berlin beschäftigt sich mit dem Thema.

Ausbildungsgang Hochschule

Vorstellbar wäre zunächst der Weg über den Status "Nebenfach" .Im Informatikstudium finden sich einige Bereiche für "Bindestrich-Abschlüsse". Dort wäre durchaus auch ein "Informatik-Redakteur" denkbar.

Notwendig sind allerdings noch zu bestimmende "Freiheitsgrade" in der Ausbildungsordnung. Die Lage in den USA kann für Deutschland als beispielhaft gelten, betonen die Siemens-Redakteure. Und sie fügen an: Allerdings sind wir wahrscheinlich gute zehn Jahre von ähnlichen Verhältnissen entfernt. In den Staaten existiert seit längerem der Hochschulabschluß "Technical Author" mit MA-Degree.

Hierzulande sind jedoch noch Form und Inhalt der Studienpläne die Gesprächsgegenstände.

In der Forschung über User-Interfaces und interaktives Handelt wurden und werden eine Vielzahl interdisziplinärer Querverbindungen gezogen. Dies sei für die wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des Technischen Redakteurstudiums auch zu fordern, betonen die Techniktexter.

Für die DV-Branche ergeben sich fachspezifische Probleme - speziell in der Strategie der Vermittlung.

Amerikanische Untersuchungen über die Rezeption von Manualen seien derzeit beispielhaft: Nicht nur Verständlichkeit, sondern auch Lesbarkeit sowie emotionale Akzeptanz des Benutzers werden bei diesen Versuchen geprüft.

Weiterhin zu untersuchen wären in diesem Rahmen etwa die Zielgruppen und ihre spezifische Ansprache. Aber auch qualitative wie quantitative Maßstäbe für Wissensvermittlung gehören zu den grundlegenden Forschungsaufgaben. Weiterhin zählen semantische Fragen sowie der Bereich Terminologie dazu.

Texter und Softwerker in neuem Verbund

Fragen zur Leistungsmöglichkeit auf diesem Sektor, zu Arbeitsteilung und Organisationsform schließen sich an. Vorhandene Richtlinien, in der Praxis gewachsen, sind eben noch keine etablierten und akzeptierten Grundsätze, formulieren die Technischen Redakteure.

Auch das problematische "Information-hiding - alles überflüssige Wissen, das verwirren könnte, zurückzuhalten - als Formel für die Wissensvermittlung über ein Produkt ist mit Blick auf Produktentwicklung und anvisierte "Leserschaft" zu definieren.

Sprachbarrieren und Übersetzungsfragen gehören ebenfalls, in diesen Kontext.

Das Verhältnis zwischen Softwareentwickler und Manualschreibern präsentiert sich also in neuer Sicht. Ziel ist, die Manualgestaltung in einer möglichst frühen Phase der Softwareentwicklung miteinzubeziehen, denn das Manual ist eine der wichtigsten Schnittstellen zu dem Produkt - vielleicht sogar die wichtigsten-, versichern die Technischen Redakteure.

Die Kooperationsfelder zwischen Entwicklern und Redakteuren sollen neu entdeckt, eine stärkere Kopplung der Bereiche erreicht werden. Zwischen Produktwirklichkeit und angestrebter Entwicklung ist derzeit noch breiter Spielraum, wissen die Redakteure aus Erfahrung.

Maßstab bleibt die Qualität von Manual und Programm

Alle in dem Team sind sich einig: Eine produktgebundene Spezialisierung des Redakteurs bleibt weiter bestehen. Um Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Entwicklern und den Manualverfassern völlig zu beseitigen ist es also nötig, so die Praktiker aus der Redaktion, das Manual zu erstellen, bevor das Produkt ganz fertig ist.

Der Manualredakteur kann demzufolge - als gangbarsten Weg - bei dem derzeit praktizierten Arbeitsablauf in immer früheren Phasen der Softwareentwicklung mitarbeiten.

Denkbar- aber unwahrscheinlich - ist auch eine Managemententscheidung, die den Entwicklungsgang von Programm - und Manualgestaltung völlig umkehrt.

Kreative Konflikte bei Kunden und Redakteur

Diese Überlegungen haben Konsequenzen für die Beziehung zum Kunden. Zu Ende gedacht heißt das nämlich, argumentieren die Redakteure, daß das Manual künftig am Anfang der Entwicklung steht: Die Beschreibung des Produkts enthält dann alle Wünsche und Forderungen, die der Kunde hat. Dazu sei es nötig, genau zu ermitteln, was er eigentlich will.

Konflikte sind dabei fruchtbar. Check - Fragen in großer Anzahl und jeder Form - vom schlichten "Ja/ Nein" bis zum Planspiel - können schließlich die notwendige Klarheit schaffen.

Was der Technische Redakteur nach diesem Klärungsprozeß beschreibt, hat sich der Kunde gewünscht. Zusätzlich sind ihm im Gespräch noch über einige weitere Möglichkeiten die Augen aufgegangen. Der Kunde liest das Manual korrektur, um sicher zu sein, daß das, was er will, auch entwickelt wird.

Aus diesem veränderten Arbeitsablauf entstehen, vergleichbar für den Sektor Werbung, Auswirkungen auch auf den benachbarten Unternehmensbereich Verkauf.

Für den Vertrieb ist derzeit das Manual bereits ein wichtiger Akquisierungspunkt.

So wird nach Ansicht der technischen Texter ein Vorratsverkauf möglich, denn der Vertrieb verkauft die Produkte über die Manuals. Die Auftragslage wäre klar ersichtlich und die Planung kostengünstig zu handhaben.

Redakteure schreiben für die Werbung

Die Verantwortung, aber auch das Risiko für den Redakteur würde steigen, sieht jeder der schreibenden Praktiker. Das Unternehmen könnte von sinkenden Entwicklungskosten profitieren - vor allem von weniger Fehlentwicklungen .

Derzeit liegt ein beträchtliches Potential in unserer Bevölkerung brach, schneiden die Redakteure ein volkswirtschaftliches Thema an Sie verweisen auf die gute Million von Mikrocomputern, die in den deutschen Wohnungen stehen und bisher hauptsächlich für Video-Spielereien zum Einsatz kommen. Wie also ist aus der Breitensportart "Computern" zu Hause eine Spitzensportart zu machen, fragen die engagierten Praktiker. Ziel dabei ist die Verbindung von Homecomputerei und professionellem Computern.

User-Clubs könnten zwar Anregungen bieten, aber keine Auswahl nach unten durchsetzen. Ihr Potential stellt keine Initiative zum Nutzen der Volkswirtschaft: Hacker etwa - als aktive und originelle Problemlöser - werden abgewehrt, statt sie mit ihren unkonventionellen Ideen zu integrieren.

Softwarewettbewerb als Volkssport

Eine Möglichkeit für die Unternehmen, Nutzen aus dem "Volkssport" zu ziehen, wäre die "Ausschreibung" von Programmen, schlagen die Handbuchtexter vor. Als Vorlage könnte ein Manual dienen. Die Auswahl aus unterschiedlichen Lösungen ergäbe dann das beste Produkt. Nachentwicklungen und Kooperationen stellten sich dabei fast zwangsläufig ein, als Anreiz für den "Hacker".

Ein Test für "kleinere" Aufgaben könnte zunächst die Stimmung abklären helfen.

Sind mehrere Lösungen nach entsprechenden Testläufen einsatzfähig, kann die relativ beste und schnellste in einem objektiven Entscheidungsgang ausgewählt werden.

Zentraler Punkt bleibt auch hier die Qualität der Manuale, steht für das Redaktionsteam fest.

Wichtige Voraussetzung bei allen Gedankenspielen ebenso wie bei der ernsthaften Konzeption, betonen die Praktiker aus der technischen Redaktion, bleibt: die Rolle zu vertauschen, die der Technische Redakteur derzeit bei der Entwicklung eines Softwareproduktes spielt. Der Redakteur erstellt die Vorgabe, danach folgt - und richtet sich - die Entwicklung.

Dann ist das Manual nicht mehr Output aus einem Entwicklungsprozeß, sondern Input für einen solchen.