Mangelnde Flexibilitaet fuehrt zu Chaos an der Werkbank Fuzzy-Logik kann PPS-System unerwuenschte Schaerfe nehmen

20.01.1995

Von Andreas Beuthner*

Die PPS-Welt steckt in der Krise und zwingt Anbieter sowie Anwender zum Handeln. Eine Vielzahl der installierten Systeme haben ihr Verfallsdatum ueberschritten. Sie unterstuetzen weder teamorientierte Fertigung, noch erlauben sie Interaktionen zwischen Rechner und Arbeitsplatz. Nicht wenige Fachleute schwoeren deshalb auf Fuzzy-Techniken als Ausweg aus dem PPS-Dilemma.

Hinter vorgehaltener Hand verraten Maschineneinrichter, was Hard- und Softwarehaeuser ungern hoeren: Computerprogramme zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS) halten nicht, was sie versprechen. Sie verursachen mehr Chaos an der Werkbank, anstatt die Ablaeufe zu beschleunigen, und sie schueren letztlich die Frustration der Mitarbeiter im Umgang mit moderner DV.

Das gilt vor allem, wenn das PPS-System mehr zuwege bringen soll als die Verwaltung von Stuecklisten oder Lagerkapazitaeten: "Bei Steuerungsaufgaben versagen die meisten Programme", weiss Bodo Fritsche, Geschaeftsfuehrer der Duisburger Experteam Simtec GmbH. Die bei Insidern als sogenannte "Bugwelle" bekannte Diskrepanz zwischen PPS-System und Fertigung erzeugt in der Praxis nicht mehr beherrschbare Konflikte zwischen Auftragsabwicklung und Terminplanung, Kapazitaetsterminierung und Feinsteuerung.

Die einst als Herzstueck anspruchsvoller Fabrikautomatisierung hochgelobten PPS-Systeme erweisen sich als unhandliche Instrumente, die nicht leisten, was vom Hersteller versprochen wurde: die lueckenlose Betriebsdatenerfassung und eine daraus extrapolierte fehlerfreie Ablaufsteuerung. Im Gegenteil: Entscheidende betriebswirtschaftliche Groessen wie Bestaende, Kosten und Durchlaufzeiten werden durch PPS ueberhaupt nicht beeinflusst. Zeitraubende Kaempfe mit der Tastatur und immer wieder unsinnigen Angaben am Bildschirm sind keine Seltenheit.

"70 Prozent der installierten Systeme erfuellen nicht mehr die heutigen Anforderungen an eine dezentrale Fertigung", bilanziert Rainer Kaempf, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut fuer Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Mit hohem Rechenaufwand erstellte Arbeitsplaene fixieren einen Zustand, so Kaempf, den es im Arbeitsalltag meist nicht gibt. Denn der habe sich gewandelt und folge keinen starren Regeln mehr. Kein Wunder, dass Arbeitsanweisungen aus dem Computer mitunter ungelesen in die Ablage wandern.

Vor diesem Hintergrund gewinnen neue Verfahren an Bedeutung. Ein voelliges Umdenken in der Programmkonzeption von Steuerungssystemen fordert der Muenchner Wirtschaftsprofessor Christian Helfrich. Der Experte fuer technisches Management sucht seit Jahren nach einem Ausweg aus der Sackgasse, in die industrielle Planungs- und Steuerungssysteme geraten sind: "Wir muessen weg von deterministischen PPS-Systemen."

Ganz im Gegensatz zu den traditionellen Systemtheoretikern, die verbissen an exakter Auftragsdurchsteuerung durch eine zentrale PPS-Kommandobruecke festhalten, verfolgt Helfrich ein Konzept, das "nicht mehr die Wirklichkeit als 100-Prozent-Modell im Computer abbildet". Statt dessen sollen auf Basis von wesentlich weniger Daten mit unscharfen Vorgaben die Ablaeufe in Fertigung und Montage reguliert werden.

Tatsaechlich handeln Montageteams keineswegs nach den strengen Regeln der Mathematik. "Die Bestaende sind zu hoch" oder der "Termin kritisch" sind linguistische Unschaerfen, die jedermann versteht, vom Rechner aber als unsinnig abgelehnt werden.

Fuzzy-Logik erfasst genau diese umgangssprachlichen Bezeichnungen und bringt sie in eine berechenbare Form. Praktisch bedeutet dies, dass der Disponent in der Fabrik dem Computer seine Interpretation des momentanen Zustands vor Ort mitteilen kann und diese nach dem Massstab mathematischer Strenge unpraezisen Informationen vom System ausgewertet werden. Am Ende uebersetzt die Fuzzy-Box nach einem Abgleich mit wissensbasierten Datensaetzen die Informationen in eine logistische Steuerungsgroesse, die vom Disponenten am Bildschirm wiederum verifiziert wird.

Die Interaktion mit dem Computersystem mittels Fuzzy-Box ist wesentlich effizienter als die Kommunikation mit voluminoesen Datenbanken der Grossrechenanlagen. Denn in den Host-Speichern "sammeln sich im Laufe der Zeit Informationen zu Datenfriedhoefen" (Helfrich). Unternehmensstammdaten, Abteilungsdaten, Rueckmeldungen der Werksauftraege oder Bestandsdaten aus dem Lager haben fuer Entscheidungssituationen im Fertigungsbereich einen gravierenden Nachteil: Sie sind vergangenheitsbezogen, spiegeln also in der Regel Ereignisse wider, die laengst Schnee von gestern sind.

Helmut Gienke, PPS-Kenner am EBZ Beratungszentrum in Erfurt, plaediert aus diesem Grund entschieden fuer ein Abspecken zentraler Rechenkolosse zugunsten regelbasierter PCs: "Grosssysteme erfordern einen hohen Pflegeaufwand und erlauben aufgrund ihrer unuebersichtlichen Struktur nur eine langsame Evolution und Anpassung an neue Gegebenheiten."

Komplexe Systemsoftware mit der Faehigkeit zum Number-Crunching beeindruckt Computerfans, laesst aber die Mehrzahl der Anwender im industriellen Umfeld kalt. Der Vorwurf von Gienke an die Adresse der Software-Entwickler: "Die handeln unter dem Druck schneller Systemerstellung." Doch die Anforderungen haben sich gewandelt: "Computerprogramme muessen den Wertschoepfungsprozess in seiner Gesamtheit erfassen und die darin agierenden Anwender unterstuetzen."

Den Performance-Knick herkoemmlicher Software-Architekturen in der Produktionsplanung und -steuerung koennten Fuzzy-Tools umgehen. Fuer Helfrich besteht kein Zweifel, "dass mit der Unschaerfe der Fuzzy- Technik eine neue Planungsphilosophie in den Fabriken Einzug haelt".

Downsizing von PPS-Systemen mit Fuzzy-Sets bedeutet somit zuallererst eine Verlagerung von Rechenkapazitaet auf kleinere Computer, dann aber auch eine andere Umgangsweise mit Rechentechnik: "Fuzzy ist eine Denkweise, die das Entscheiden bei Unschaerfe erleichtert", begeistert sich Professor Helfrich. Auch wenn es der Grundueberzeugung ganzer Mathematikergenerationen widerstrebt, so ist der Anspruch, alles, auch Unwesentliches, computertechnisch erfassen zu wollen, fuer die Steuerung logistischer Ablaeufe schlicht ueberfluessig. Helfrich: "Das kostet nur Zeit und verbaut den Blick auf das Wesentliche."

Umdenken muessen aber nicht die Auftragsplaner, sondern die Software-Entwickler. Denn der betriebliche Alltag spielt sich schon seit jeher auf der Basis von staendig wechselnden Eingangswerten ab. Waehrend der klassische Systemansatz versucht, dem meist chaotischen Geschehen in den Unternehmensabteilungen ein starres Korsett fest vorgegebener Ablaufgroessen aufzuzwingen, sind Fuzzy-Regeln sehr viel unempfindlicher gegen geringfuegige Aenderungen von Input-Daten. Am Ende stellt das Fuzzy-System den Fertigungsinseln und Bearbeitungszentren lediglich eine Art Grobplanung zur Verfuegung, die den Akteuren vor Ort wesentlich mehr Spielraum fuer eigene Entscheidungen einraeumt als die Terminierung nach herkoemmlichem Muster.

Werden im Fuzzy-Set Steuerungsgroessen lediglich als Naeherungswerte behandelt, erhalten Arbeitsgruppen mehr Moeglichkeiten zur Selbstorganisation. Wochenprogramme geben nur noch eine grobe Vorlage fuer die Gestaltung der Ablaeufe. Am Bildschirm koennen ploetzlich Steuerungsgroessen wie "Attraktivitaet des Kunden" oder "Flexibilitaet einer Kapazitaetseinheit" abgelesen werden.

PPS-Tuning auf Fuzzy-Basis macht auch mit Datenfriedhoefen Schluss. "Man kann bereits mit fuenf Prozent der Daten eines herkoemmlichen PPS-Systems eine gute Grobplanung durchfuehren, die ein durchfuehrbares Produktionsprogramm erzeugt", erlaeutert Helfrich.

Sogar die Aktualisierung von Stammdaten hinsichtlich Fertigungsablauf und Ressourcenbedarf vereinfacht sich. Denn Daten muessen nicht vollstaendig fuer alle Abteilungen abgebildet werden. Datensaetze aus der alten DV-Anlage werden in die Fuzzy-Box geleitet und mit aktuellem Datenmaterial verbunden. Das System kreiert neue Steuerungsgroessen, die ihrem Wahrheitsgehalt nach viel naeher an die Realitaet heranreichen als die Informationsleichen aus der Schublade des Zentralsystems.