Manager zwischen Technologieeuphorie und Tastaturphobie Trotz Akzeptanzbarrieren ist bei EIS der Durchbruch in Sicht

17.11.1995

Von Hilde-Josephine Post*

Anbieter von Fuehrungsinformationssystemen (Executive Information Systems = EIS) und Unternehmensberater fiebern einer Goldgraeberzeit entgegen. Dennoch stossen EIS noch auf Akzeptanzschwierigkeiten. Eine Studie der Megatrend GmbH, Ludwigshafen, belegt, dass sich 60 Prozent der befragten Firmen gerade in einer Entscheidungsphase befinden und 16 Prozent bereits wissen, dass sie vorerst kein

Management-Informationssystem (MIS) anschaffen wollen.

Ein Blick auf die 24 Prozent der 3000 befragten Firmen (siehe Kasten "Unternehmen in der Entscheidungsphase"), die ein MIS besitzen, enthuellt laut Studie, dass in jedem fuenften Unternehmen weniger als zehn Prozent der mit entsprechenden Aufgaben befassten Mitarbeiter damit arbeiten, in zwei Dritteln der Faelle liegt die Nutzerzahl unter 50 Prozent. Dennoch ist Professor Uwe Hannig, Geschaeftsfuehrer des Marktforschungsinstituts Megatrend, felsenfest ueberzeugt: "Der Knoten platzt in den naechsten zwei Jahren."

Der erste Versuch vor gut zehn Jahren, EIS den Fuehrungskraeften schmackhaft zu machen, sei hauptsaechlich deswegen klaeglich gescheitert, weil den Topmanagern eine Art Spielzeug auf den Tisch gestellt wurde, das nicht in die Datenwelt des Unternehmens eingebunden war. "Erst jetzt etablieren sich die noetigen Informationsinfrastrukturen in Unternehmen", argumentiert Juergen Fritz, Marketing-Leiter der SAS Institute GmbH, die zu den fuehrenden Herstellern von EIS-Software gehoert. Zudem schwinde eine weitere Akzeptanzbarriere: "Je mehr Jugend nachkommt, desto mehr wird EIS auch vom Topmanagement eingesetzt", so Fritz. Sein Fazit: "Die Barriere wird kleiner."

Der BASF-Vorstand beispielsweise hat einstimmig beschlossen, mit EIS zu arbeiten. "Die Akzeptanz haengt stark davon ab, wie schnell der Manager die gewuenschte Information bekommt", hat Uwe Bender, technischer Abteilungsleiter bei BASF, erfahren, der seit Anfang 1994 fuer die Konzernspitze ein Fuehrungssystem installiert hat. Der Zugriff muesse so schnell gehen wie das Umblaettern einer Manuskriptseite. Trotz hoher Rechnerleistung sei das heute noch ein kritischer Punkt. Mehr Aktivitaet seitens der Topmanager wuerde sich Bender allerdings wuenschen: "Oft wissen die Controller gar nicht, ob sie die richtigen Informationen liefern." Fragen koennten neue Ideen wecken.

Mit dieser Meinung steht der BASF-Mann nicht allein. "Gerade im Marketing gibt es sehr viele Daten, die ueberhaupt nicht ausgewertet werden", betont Megatrend-Chef Hannig. Die Aufschluesselung von Absatzzahlen nach Produkt und Region sei das Banalste. Interessant werde es dann, wenn das Verhalten "Kunde kauft nicht mehr" analysiert werde.

Ein Beispiel: Bricht der Umsatz ein, koennten Informationen ueber eventuelle Aktionen der Konkurrenz, die im Umfeld angesiedelt sind, fuer den Manager sehr aufschlussreich sein. Dazu muessten aber auch externe Datenbanken oder Online-Dienste einbezogen werden, die BASF-noch nicht anzapft: "Aktiv mit Information umgehen und Rueckschluesse ziehen ist eben noch nicht so ueblich", bedauert DV- Chef Bender.

Zwischen praktischer Anwendung und den euphorischen Zielvorstellungen der EIS-Anbieter klafft auch hier noch eine grosse Luecke. Kaum ein Unternehmen hat mehr als ein Jahr EIS- Erfahrung. Bei genauerem Hinschauen finden sich in groesseren Unternehmen haeufig sogar von Bereich zu Bereich unterschiedliche Systeme, ganz zu schweigen von externen Datenbankzugaengen. "Umfassende EIS sind in Deutschland eher noch eine Ausnahme", bestaetigte auch Hans-Georg Kemper von der Universitaet Koeln auf einem Kongress des Betriebswirtschaftlichen Instituts fuer Organisation und Automation (Bifoa).

Nicht zu uebersehen sei jedoch, dass die Aufgeschlossenheit waechst: "Fuehren heisst heute in erster Linie, die richtigen Fragen stellen, zumindest in den Topetagen.

Dazu ist permanent aktuelles Basiswissen notwendig. Deshalb halte ich die direkte Konfrontation der Unternehmensfuehrung mit dieser Technik fuer notwendig. Und so wird es bei uns auch praktiziert", erklaert Erhard Juesche, Geschaeftsfuehrer der Allkauf-Verwaltungs GmbH in Moenchengladbach.

Die Geschaeftsleitung der Warenhauskette mit ihren 10000 Mitarbeitern, 75 Filialen und einem Sortiment von 80000 Artikeln entschied sich Ende 1994 fuer ein konzernweites EIS von Comshare. Juesche moechte kundenorientierter arbeiten. Der Verkauf jedes einzelnen Artikels in jeder Filiale soll innerhalb von zwei Sekunden auf dem Bildschirm abrufbar sein.

Spaeter moechte der Allkauf-Chef auch Comshares neueste Entwicklung, den "intelligenten Agenten" nutzen, der den Manager von laestiger Recherchearbeit befreien soll. Die Software sucht interne und externe Datenbanken ab und meldet sich unaufgefordert, sobald sie Ungewoehnliches oder Trendaenderungen entdeckt.

Ob nun ein Topmanager seine Fuehrungsaufgaben kuenftig ohne ein computerunterstuetztes Informationssystem ueberhaupt noch erledigen kann - an dieser Kontroverse scheiden sich die Geister.

"Wie die Zukunft aussieht, das ist die Information, die einem Unternehmen immer fehlen wird. Auch die besten Expertensysteme koennen mir nicht sagen, wieviel Osram-Lampen Daimler im naechsten Jahr bestellen wird", argumentiert Franz Czap, Leiter Informationstechnologie bei Osram.

Bifoa-Mann Kemper und sein Kollege Klaus van Marwyk werfen die Frage auf, ob es ueberhaupt gelingen kann, Topmanager mit der am Markt verfuegbaren Informationstechnologie wirkungsvoll zu unterstuetzen. Eine Analyse der in der Praxis eingesetzten Systeme lasse eher Zweifel aufkommen. Empirische Untersuchungen zeigten, dass der Loewenanteil (65 bis 80 Prozent) der Arbeitszeit eines Chefs mit verbalem Kommunizieren abgedeckt sei. Zum einen unterhalte er sich mit Mitarbeitern, zum anderen aber auch mit Politikern oder anderen Unternehmern, die nicht direkt mit dem eigenen Geschaeft zu tun haben.

Fuehrungskraefte bauen laut Bifoa Kontaktnetze auf, die ihnen weiche Informationen verschaffen, die sie wiederum in ihre Entscheidungen einfliessen lassen. Ein Dilemma bei vielen EIS bestehe darin, dass die Kommunikationsseite zu kurz komme. Trotz intuitiver Bedienerfuehrung seien zudem zumindest beim Login oder beim Kommentieren von Informationen Tastaturkenntnisse erforderlich.

In einer Umfrage gaben 72 Prozent der befragten Entscheider an, dass sie sich durch unzureichende Faehigkeiten im Umgang mit der Tastatur an der Computernutzung gehindert fuehlen. Daraus ziehen die Koelner Experten den Schluss: "Es liegt auf der Hand, dass derartigen Systemen kein grosser Erfolg in den Chefetagen beschieden sein wird." Erfolgreiche EIS sollten mehr dem typischen Charakter der Management-Arbeit entsprechen. Chefs schwankten oft zwischen Technologieeuphorie und Tastaturphobie.

"Mit Hilfe multimedialer Technologien besteht zum ersten Mal die reale Chance, MIS an den Belangen der Fuehrungskraefte auszurichten", ist Kemper ueberzeugt. Trotz technischer Unvollkommenheiten etwa im Bereich der digitalisierten Speicherung von Ton und Bildsequenzen werden dem Experten vom Bifoa zufolge die Einbindung sprachlicher Kommunikation, die Moeglichkeit des Aufbaus und der Pflege von Kontaktnetzen und die Integration von weichen Informationen in naher Zukunft zu den EIS- Basisanforderungen zaehlen. Bisher werde Multimedia-Technik jedoch noch wenig beruecksichtigt.

"Entscheidend fuer den Durchbruch von EIS am Markt ist der Trend zu dezentralen Strukturen", betont Megatrend-Geschaeftsfuehrer Hannig. Zukuenftig soll EIS nicht nur den kleinen Kreis der Fuehrungskraefte schneller, einfacher und ungefilterter informieren, sondern alle Mitarbeiter.

"EIS steht immer weniger fuer Executive, sondern fuer Everybodies Information System", erklaert SAS-Marketier Fritz den Wandel. Bei den kommenden flacheren Hierarchiestrukturen sei das besonders wichtig, da der einzelne Mitarbeiter dann mehr Verantwortung uebernehme.

Das ist bereits bei der Festo KG, Esslingen, der Fall. 1991 verschrieb sich das Unternehmen eine Schlankheitskur und gruendete viele Business- und Service-Center, die jetzt wirtschaftlich selbstaendig sind. Bernd Stampp, Leiter externer DV-Vertrieb, erklaert: "Diese Stellen hatten einen enormen Bedarf an Fuehrungsinformationen, die frueher in alten Systemen zwar irgendwo vorhanden, aber nicht schnell genug zugaenglich waren."

Zur Zeit nutzen bei Festo 50 bis 60 Mitarbeiter, angefangen vom obersten Management ueber das Controlling bis hin zu den einzelnen Fachbereichen, das EIS von Information Builders. Deshalb reden zuversichtliche Experten, wenn es um EIS in der Zukunft geht, bereits vom weitgespannten "Enterprise Information System".

Unternehmen in der Entscheidungsphase

Das Marktforschungsunternehmen Megatrend GmbH, Ludwigshafen, befragte kuerzlich rund 3000 Firmen ueber Management- Informationssysteme. Erste Ergebnisse gab der Firmenchef Professor Uwe Hannig auf dem MIS-Kongress des Instituts fuer Management Informations Systeme (IMIS) in Ludwigshafen bekannt:

-MIS stoesst bei den Mitarbeitern noch auf Akzeptanzbarrieren, in zwei Dritteln der Unternehmen arbeiten weniger als 50 Prozent der in Frage kommenden Beschaeftigten mit MIS, in jedem fuenften Unternehmen weniger als zehn Prozent.

-Rund 60 Prozent der Unternehmen befinden sich in der Entscheidungsphase, 16 Prozent wollen vorerst kein MIS einsetzen, 24 Prozent benutzen irgendein MIS.

-MIS wird hauptsaechlich auf der zweiten Leitungsebene benutzt. Es fuehrt zu Verbesserungen bezueglich Flexibilitaet, Qualitaet, Kosten- und Zeiteinsparung. Personal laesst sich dabei in der Regel jedoch nicht einsparen.

-Selbst Controller sind ueber MIS oft schlecht informiert.

-Als groesste Erfolgsfaktoren eines MIS gelten Bedienerfreundlichkeit und Flexibilitaet.

Kosten fuer Anschaffung und Implementierung: 50 Prozent der befragten Unternehmen gaben unter 100000 Mark aus, 25 Prozent mehr als 250000 Mark.

Zeitaufwand: Von der Einfuehrungs-Entscheidung bis zum Start des Produktivbetriebs dauerte es bei 50 Prozent der Unternehmen weniger als sechs Monate, bei zehn Prozent mehr als ein Jahr.

Haeufigste Einsatzgebiete: Controlling, Geschaeftsleitung, Rechnungswesen.

Beliebte Funktionen: Reports, Abweichungsanalysen, Fruehwarnung und Kennzahlen.

*Hilde-Josephine Post ist freie Journalistin in Muenchen.