Ankündigungen auf der Lotusphere 1997

Lotus öffnet Notes-Client und lockt Mainframe-User

07.02.1997

Der Kampf um Marktanteile im Workgroup-Markt scheint zu einer Marketing-Schlacht zwischen Lotus, Netscape und Microsoft zu werden. In den Haaren liegen sich derzeit vor allem die beiden erstgenannten. Daß in dieser Auseinandersetzung deftige Worte fallen, gehört wohl zur amerikanischen Marketing-Mentalität. In der Sache wiederholte Netscape in der Öffentlichkeit den nicht neuen Vorwurf, Die Groupware Lotus Notes sei proprietär. Darauf konterte Lotus President Jeffrey Papows auf der Hausmesse Lotussphere in Orlando: "Protokolle liefern keine Innovationen. Die lassen sich nur erzielen, wenn man versucht, zu verstehen, was Kunden wollen, um dann die entsprechenden Services zu entwickeln."

Dennoch zeigt der andauernde Vorwurf der Geschlossenheit und der Boom aller offenen Internet-Standards Wirkung. Lotus versprach auf der hauseigenen Show, die Server-Seite der Workgroup-Plattform um Internet-Normen wie das Internet Inter-ORB Protocol (IIOP) oder Network News Transfer Protocol (NNTP) zu erweitern. Nachdem im vergangenen Jahr mit Domino bereits der Grundstein für die Internet-Strategie gelegt wurde, soll darauf aufbauend im kommenden Jahr auch die Client-Seite dem Ansturm der Web-Technologien standhalten.

Die Eckpunkte auf dem Weg vom proprietären Frontend zum offenen, auf Internet-Standards basierenden Client heißen "Lookout" und "Maui". Lookout markiert dabei die erste Etappe, in der der Client bis Mitte des Jahres ein vereinfachtes User Interface und Möglichkeiten zur Verarbeitung von Javabeans und Active-X-Komponenten bekommt.

Maui soll der Inter- und Intranet-Welt dann schon ähnlicher sehen. Lotus verspricht die Integration von Protokollen wie dem Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) oder IIOP. Dieser Part des Lotus-Vorhabens, sich des Vorwurfs der Proprietät zu entledigen, soll im vierten Quartal des laufenden Jahres abgeschlossen werden.

"Lotus steht zu Java", unterstreicht Papows die künftige Entwicklungsrichtung seiner Ingenieure. Kalter Kaffee scheint für die Lotus-Familie dagegen Active X zu sein. Zwar bevorzugte Lotus bei der Entwicklung von Appli- kationen in der Vergangenheit Microsofts Komponententechnik, indem der Workgroup-Spezialist schon im letzten Jahr entsprechende Applikationen fertigstellte. Auch künftig soll diese Linie gepflegt werden. Langfristig rechnen Lotus-Offizielle allerdings eher damit, daß sich Java aufgrund der plattformübergreifenden Verwendung durchsetzt.

Diese Auffassung manifestiert sich in der Ankündigung von "Kona", einer Sammlung von Java-Applets. Anwendungen wie Zeitplaner, E-Mail und Tabellenkalkulation wurden zerstückelt und lassen sich separat auf Netzwerk-Computer, Desktops, Macintoshes und 3270-Terminals laden.

In die gleiche Kerbe schlägt Lotus mit einem neuen grafischen User Interface für Network Computers (NCs), das den Benutzer bei der Verwendung von Netz- applikationen mit Schaltflächen und Menüs führen soll. Gerade die an Großrechnern arbeitenden 3270-Anwender dürften dankbare Abnehmer dieser Oberfläche sein, denn sie könnten somit endlich dem zeichenorientierten DV- Steinzeitalter entfliehen. Den potentiellen imposanten Markt konnte nicht einmal Linda San- ford, General Manager der System/390-Division, beziffern: "Ich weiß es nicht genau. Die Zahl der User könnte 30 bis 70 Millionen, aber auch 100 Millionen betragen."

Die Großrechneranwender lassen sich aber auch mit Domino adressieren. Dazu arbeitet Lotus an einer Variante für das System/390 und die AS/400. "Domino ist der Kronjuwel unserer Internet-Strategie", freute sich IBM-CEO Louis Gerstner darüber, daß die jüngste Tochter mit der angestammten Big-Blue-Clientel anbandelt.