Lizenzen bremsen Virtualisierung aus

27.06.2005
Bevor ein Anwender ein Virtualisierungsprojekt startet, sollte er sich seine Softwarelizenzen genau anschauen. Manchmal kann der Fortschritt nämlich teuer werden.

Virtualisierung ist ein äußerst beliebtes Schlagwort im Marketing der Soft- und Hardwareanbieter. Den Applikationen jederzeit genauso viel Rechenpower zur Verfügung zu stellen, wie sie gerade benötigen, soll die Auslastung der Server verbessern und die Kosten der IT senken. Doch das könnte sich als ein hohles Versprechen erweisen. "Jegliche Einsparungen, die sich Unternehmen durch die Reduzierung von Hardware- und Personalaufwand versprechen, werden mehr als ausgeglichen durch höhere Softwarekosten", zeigt sich Alexa Bona, Forschungsdirektorin bei Gartner, pessimistisch. Das Problem sind die Lizenzmodelle, in denen die Zahl der Prozessoren in einem virtuellen System den Preis für die Software bestimmt.

Maximal abkassieren

Die Höhe der Lizenzgebühren nach der CPU-Zahl zu berechnen ist in der IT-Branche weit verbreitet. Wie weit, zeigt ein beredtes Beispiel: Die Firma VMware hat das zuerst in der Mainframe-Welt entwickelte Konzept der Virtualisierung auf die Intel-Architektur übertragen. Und das Unternehmen berechnet die Nutzungsgebühren für seine Software nach der Zahl der Prozessoren, die sie virtualisiert. Wenn eine virtuelle Umgebung 36 Prozessoren umfasst, muss für alle gezahlt werden. Das gilt auch dann, wenn beispielsweise sechs Prozessoren das ganze Jahr hindurch nie aktiviert und sechs weitere CPUs nur an einigen Tagen benötigt wurden.

Nicht anders verhalten sich die Anbieter auf der nahe liegenden Ebene der Betriebssysteme. Red Hat und Novell verlangen für jeden physikalischen Prozessor in einem virtuellen System für ihre Linux-Varianten Lizenzen. Nun steht es jedem Anwender frei, Linux zu kopieren, beispielsweise ein Image auf weitere Maschinen zu übertragen. Aber Support und Services gibt es für kopierte Linux-Images nicht.

Auf der Ebene der Anwendungen wird die Situation ganz vertrackt. Viele Applikationslizenzen beziehen sich auf die Zahl der Prozessoren. Die bekanntesten Beispiele dafür kommen von Microsoft und Oracle. Wenn ein Programm im Normalbetrieb vier CPUs benötigt und nur bei gelegentlichen Spitzenlasten zwei weitere braucht, sind sechs Lizenzen erforderlich.

Es kann aber noch dicker kommen: Die Programme laufen in virtuellen Maschinen, die oft nicht die ganze Leistung eines Prozessors beanspruchen, sondern nur einen Teil. Bei etlichen Anwendungen wird trotzdem die volle CPU-Lizenz verlangt. Wer in einer virtuellen Umgebung mit sechs Prozessoren sechs virtuelle Maschinen mit Windows und sechs mit Linux einrichten möchte, braucht zwölf Lizenzen.

Faire Nutzungsgebühren?

Es stellt sich also die Frage, ob die bestehenden Lizenzmodelle wirklich so fair sind, wie die Programmhersteller behaupten. "Es wird auf jeden Fall neue Lizenzmodelle geben müssen", erklärt Thomas Heinze, Product Marketing Manager bei Sun. "Heute scheitern viele Utility-Modelle und Flexibilisierungsbestrebungen an den Lizenzmodellen von Softwareanbietern." Der Mann hat gut reden; das Lizenzmodell von Sun orientiert sich an der Zahl der Mitarbeiter eines Anwenderunternehmens.

Die Anbieter, deren Lizenzen sich nach der Prozessorenzahl richten, verteidigen ihr Modell. So Holger Dyroff, der bei Novell für Suse-Produkte zuständige Vice President: "Ich halte das von uns gewählte System wegen seiner Einfachheit für vorteilhaft. Die Kunden wollen kalkulierbare Preise." In die gleiche Kerbe haut Günter Stürner, Vice President Database and Salesconsulting bei Oracle: "CPU-basierende Lizenzierung wird oft kritisiert; es ist jedoch eine Methode, bei der der Kunde sehr genau weiß, was er zu bezahlen hat." Oracle berechnete früher die Lizenzkosten nach "Power Units", bei denen die Leistungsfähigkeit der Prozessoren die zentrale Rolle spielte. Stürner: "Das war zwar gerechter, aber für Kunden weniger planbar. Deshalb kam das Aus für dieses Modell."

Den Einwand, an der Prozessorzahl bemessene Lizenzkosten würden den versprochenen Kostensenkungseffekt der Virtualisierung zunichte machen, mag der Oracle-Manager nicht gelten lassen. Bisher seien die Anwendungen fest bestimmten Servern zugeordnet gewesen, und diese seien wegen der notwendigen Auslegung auf Spitzenbeanspruchung nicht selten im Durchschnitt nur zu zehn Prozent ausgelastet. In einer virtuellen Umgebung könne man, weil Spitzenlasten der verschiedenen Anwendungen zu unterschiedlichen Zeiten aufträten, sich ein Drittel der Rechner sparen, ohne schlechteren Service zu erleben. Entsprechend niedriger seien die Hardwarekosten.

Doch diese Ausgaben sind angesichts des Preisverfalls für Rack-"Pizzaboxen" und Blade-Server nach Intels x86-Architektur nicht der entscheidende Faktor. Die Betriebssysteme sind es auch nicht. Der Administrationsaufwand ist in virtuellen Umgebungen sogar geringer als in traditionellen IT-Infrastrukturen. Der entscheidende Punkt sind die Kosten für die Softwarelizenzen.

Die IT-Branche diskutiert

Oracle-Manager Stürner bestätigt, neue Lizenzierungsmodelle für virtuelle Umgebungen würden in der Branche "heftig diskutiert" und seien "mittelfristig auf alle Fälle" notwendig. Sowohl IBM als auch Fujitsu-Siemens gaben auf Anfrage der computerwoche keine Stellungnahme ab. Zur Begründung erklärten Sprecher beider Unternehmen, intern werde gerade an neuen Preissystemen gearbeitet. Bevor die fertig seien, wolle man sich nicht äußern.

Das Schweigen vieler Anbieter - so mochte beispielsweise auch VMware nichts zur Zukunft der Lizenzierung sagen - ist nicht verwunderlich. Virtualisierung ist ein relativ junges Konzept, das eingefahrene Modelle sprengt. Es ist überzogen zu erwarten, dass die IT-Industrie sogleich das perfekte Lizenzmodell aus der Schublade ziehen kann. An Ideen mangelt es nicht - an Schlagworten auch nicht.

Schlagworte kursieren

So ist die Rede von "Software als Service". Doch wie soll man die Dienstleistung messen? Ein weiteres Schlagwort ist "Value Licensing", und auch hier ist fraglich, wie der Nutzen, den ein Anwender von einer Applikation hat, bewertet werden soll. Schließlich hat eine Anwendung für sich allein möglicherweise noch keinen Wert, sondern schafft diesen erst in Verbindung mit einer anderen und mit Daten, die den Anwenderunternehmen gehören. Ein Beispiel ist die Paarung von ERP und Datenbanken.

In der Diskussion um neue Lizenzmodelle wird des Öfteren auf ein anderes Verfahren verwiesen: "Capacity on Demand". Dabei werden von vornherein in den Rechnern vorhandene Prozessoren erst dann freigeschaltet, wenn der Anwender die zusätzliche Leistung benötigt. Nach Ende des höheren Bedarfs werden sie wieder abgeschaltet. Das Ganze geschieht ferngesteuert durch Servicemitarbeiter des Hardwareanbieters. Doch dieses Verfahren eignet sich nur für Abrechnungen nach Leistung in MIPS. Nach CPU-Zahl abrechnende Softwarehäuser stellen in der Regel die maximale beanspruchte Prozessorzahl ganzjährig in Rechnung. Viele Anbieter dürften überfordert sein, einen ständigen Wechsel der Prozessorzahl nachzuvollziehen.

Ziemlich oft taucht die Idee auf, nach dem Vorbild der Telefongesellschaften nach Zeittakten abzurechnen. Dahinter verbirgt sich eigentlich nichts anderes als "Metering", in der Mainframe-Welt entwickelte Verfahren, die Nutzung der Hardwareressourcen durch die Anwendungen zu protokollieren und danach in Rechnung zu stellen. Das wäre, so Karl-Heinz Schabo, Sales Operation Manager Software bei Hewlett-Packard, "das einzig gerechte Modell" - aber leider nur theoretisch.

Alte Modelle greifen nicht

Denn Metering, so gibt Schabo sogleich zu bedenken, hat einen entscheidenden Haken: Die Anwender wissen nicht, welche Lizenzkosten am Ende des Jahres auf sie zukommen. "Schließlich mag es auch keiner, wenn am Ende des Jahres eine Nachzahlungsaufforderung vom Stromlieferanten ins Haus flattert." Der Großteil der Anwender hat keine Erfahrungswerte und könnte unangenehme Überraschungen erleben. Dem pflichtet Novell-Manager Dyroff bei: "Die Kunden wollen wissen, was sie ins Budget schreiben müssen." Er rede auch mit Mainframe-erfahrenen Großkunden kaum über Metering. "Wir sprechen mit unseren Kunden viel mehr über Enterprise Licensing, über Pauschalpreise."

Doch es geht nicht nur um das technisch durchaus einfache Messen eines Leistungsverbrauchs. Sun-Manager Heinze weist auf Faktoren hin, die in die Rechnung einbezogen werden müssten: "Letztendlich ist zu beachten, dass die Kapazität auch bereitgestellt werden muss, so dass dafür ein gewisser Basispreis fällig ist. Das ist wie in der Energieindustrie. Man bezahlt für das, was man verbraucht. Zusätzlich ist aber immer ein Bereitstellungspreis fällig; denn Kraftwerke, Leitungen etc. kosten den Anbieter immer Geld."

Wenn denn Metering Rechenzentren Einzug halten sollte, dürfte es folglich nicht auf eine einfache Messung des Leistungsverbrauchs hinauslaufen. Metering allein macht eine Abrechnung der IT-Leistungen nicht gerechter. "Theoretisch ist das Konzept der Virtualisierung toll, aber praktisch gibt es da noch sehr viel zu tun für die IT-Branche", schwant es SAS-Sprecher Thomas Maier.