Nach dem Aufstieg beginnt die Arbeit

Little Big Boss

03.11.2000
Von VON Kathi
Knapp 30 und schon Chef. In Startups und jungen IT-Unternehmen sind Führungsposten keine Frage des Alters, sondern eine Sache von Zu- und Vertrauen.

"Plötzlich bist du diejenige, die es in der Hand hat", sagt Susanne Busshart (33), seit August Geschäftsführerin von Syzygy Deutschland. Das sei so gewesen, als der Bad Homburger Multimedia-Dienstleister noch ohne internationale Partner war, United Media GmbH hieß und Susanne Busshart 1995 die Leitung Marketing übernahm. Es war nicht anders, als sie Mitglied der Geschäftsleitung wurde. "Jemand, der dich gut kennt, fragt dich, und du musst nur den Mut haben, Ja zu sagen." Chefin zu sein, meint Susanne Busshart, sei keine Frage von Lebensjahren. Am 6. Oktober ist Syzygy an die Börse gegangen, das sei es, was zählt.

In Startups oder jungen IT-Unternehmen sind nicht nur die Gründer selten älter als 30. Auch die Mitarbeiter in verantwortungsvollen Positionen, Mitglieder der Geschäftsleitung, Chef-Grafiker oder Ober-Programmierer wirken auf den ersten Blick oft wie gerade dem Hörsaal entsprungen. Unter erfahrenen Managern, gestandenen Mitarbeitern - vorzugsweise aus Unternehmen der so genannten Old Economy-, aber auch bei Arbeitspsychologen und Rentenexperten verursacht der niedrige Altersdurchschnitt der neuen Bosse seit einiger Zeit erhebliche Unruhe. "Ältere sind kreativer", führt zum Beispiel der Augsburger Psychologe Wolfgang Michaelis ins Feld. Trendforscher Mattias Horx beschwört Loyalität, Erfahrung, Kooperationskompetenz und Durchhaltevermögen als die klassischen Skills älterer Mitarbeiter, die auch in der künftigen Arbeitswelt kostbar seien.

"Lieber mit dem Chef irren als gegen ihn Recht haben"

Der zweite Blick auf eine Vielzahl junger Chefs zeigt allerdings, dass es wenig sinnvoll ist, die Pluspunkte der Älteren gegen die der 30-Jährigen aufzurechnen. "Jüngere Chefs haben weniger Erfahrung, sie bringen damit eine größere Spannweite an Verhaltensweisen mit, was Vor- und auch Nachteile haben kann", konstatiert der Berliner Arbeits- und Organisationspsychologe Lutz Ulrich Meyer. Ellenbogenmentalität sei dabei eher in gestandenen Unternehmen und Organisationen verbreitet. Einfühlungsvermögen, Vertrauen, soziales Engagement, Beziehungsfähigkeit oder auch Nachdenklichkeit gehören laut Management-Trainerin Dagmar Kohlmann-Scheerer exakt zu den "Tugenden, die im Führungsverständnis der Vergangenheit keinen Platz hatten". Statt dessen dominierten "Durchsetzungsvermögen, logische Denkweise, Autorität, Dominanz, Überzeugungskraft und Aggression" - alles Führungseigenschaften, die ein hierarchisches System untermauerten und eine

Mitarbeiterhaltung nach sich zögen, die sich vielfach über Auffassungen wie "Lieber mit dem Chef irren als gegen den Chef Recht haben", beschreiben lässt.

Die jungen Unternehmen haben eine der großen Demarkationslinien des Industriezeitalters durchbrochen: die strikte Trennung zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die sie ausführen. An die Stelle von Pflichterfüllung ist die Frage nach dem Erfolg getreten. Mit dem "Peter-Prinzip" von 1969 - wonach in jeder Hierarchie jeder Beschäftigte bis zur eigenen Unfähigkeit befördert wird - können die jungen Chefs nichts mehr anfangen. "Wir sagen uns, wenn etwas nicht passt", so der Berliner Niederlassungsleiter der WWL Internet AG, Michael Rückert.

Auch Karriere ist ein Begriff geworden, der nicht mehr zwangsläufig mit Hierarchien zu tun hat, sondern damit, dass jemand de facto "wertvoller" für das Unternehmen wird. Dabei geht es nicht nur um fachliche Kompetenzen, sondern auch um methodische und soziale Fähigkeiten. Letztere sind in den jungen Unternehmen oft eine Frage von Zutrauen, von Vertrauen und der Erkenntnis, dass beides nichts Statisches ist. "Führen und Motivieren von Leuten macht mir Spaß, es hat mich schon während des Studiums interessiert", sagt die Syszygy-Geschäftsführerin Susanne Busshart. Stück für Stück habe sie gelernt, Verantwortung zu tragen. "In den schnell wachsenden Strukturen unserer Branche sind wir alle Lernende."

Vertrauen als Garant für eine gute Führung

Fredmund Malik, Präsident des Verwaltungsrates der Management Zentrum Sankt Gallen Holding AG, definiert Führungserfolg vor allem über den Vertrauensbonus. Dies sei der einzige Garant für eine "robuste Führungssituation". Wenn es Probleme gibt, schütze Vertrauen davor, dass eine Abteilung oder ein Unternehmen jedes Mal in einer schwierigen Situation krisenähnlich gebeutelt wird. Junge Chefs scheuen sich vergleichsweise wenig davor, "Vertrauensbeweise" zu erbringen. Wer dann noch selbst als Praktikant oder einer der ersten Mitarbeiter gestartet ist, alle Höhen und Tiefen von Projekten mit durchlitten und dabei gezeigt hat, dass er Führungsqualitäten in sich trägt, hat gute Chancen, auch auf einem neuen Posten die Kollegen hinter sich zu wissen. Fragt man Mitarbeiter des Berliner Multimedia-Dienstleisters Aperto danach, was sie an ihrer "Chefin" Elke Röttgen schätzen, antworteten sie unter anderem, dass sie sich nicht zu schade ist, bei einer

Party für alle die Steaks zu grillen, auch wenn sie Vegetarierin ist. Der Niederlassungsleiter der WWL Internet AG Michael Rückert hat seine Mitarbeiter nicht zuletzt dadurch beeindruckt, dass er bei der Suche nach einem neuen Standort trotz Gipsbeins tatkräftig mit dabei war. Und Syzygy-Geschäftsführerin Susanne Busshart genießt Vertrauen, weil es ihr gelingt, ihre Management-Aufgaben und ihre Rolle als Mutter eines neunMonate alten Jungen verantwortungsvoll unter einen Hut zu bringen.

Ausgeprägt ist bei den meisten jungen Chefs darüber hinaus die brancheneigene Erkenntnis, sich auch in fachlichen Dingen ständig weiterbilden zu müssen. Gern würde mancher auch Angebote wie das des Mcm-Medieninstituts der Universität St. Gallen nutzen, das künftig einen elfmonatigen Vollzeitkurs anbietet, der neben Intensivkursen in Betriebswirtschaft und zu Management-Methoden das Thema Konvergenzprozesse fokussiert. Doch die Freiräume für ein Jahr Weiterbildung haben die Wenigsten. Selbst Zeit für ureigenste Führungsaufgaben wie strategische oderRessourcenplanungen bleibt oft nur in den späten Abendstunden oder am Wochenende.

Ein Engagement, das von den meisten Mitarbeitern durch ebenso großen Einsatz honoriert wird - wenn die Kommunikationsprozesse insgesamt stimmen. Doch so erfolgreich läuft es natürlich längst nicht überall. Dazu Psychologe Meyer: "Die meisten Führungskräfte sind Führungskräfte geworden, weil sie sich als gute Sacharbeiter hervorgetan haben. Viele neigen leider auch als Chefs dazu, weiter Sacharbeit bewältigen zu wollen." Dies gelte zwar für ältere Chefs gleichermaßen, dennoch müssten sich gerade die jungen Führungskräfte, die zuvor auf einer Ebene mit ihren jetzigen Mitarbeitern agierten, der Tatsache bewusst sein, dass " sich ihr Verhalten in dem Moment automatisch ändert, in dem sie ein Machtinstrument in der Hand halten". Darüber könne auch das vertraute Du nicht hinwegtäuschen.

Andererseits unterliegen viele junge Chefs der trügerischen Hoffnung, dass sich der Betrieb von allein organisiere und Führung in der so genannten Du-Kultur im "Management byfriendship" bestünde. Besonders problematisch findet dies der Münchner Arbeits- und Organisationspsychologe Klaus Grefe mit Blick auf die Personalentwicklung in den Startups. Bereits während des Bewerbungsgespräches tauchen die ersten Stolpersteine auf, die im Nachhinein oft zu Unzufriedenheiten auf beiden Seiten führen. Unter dem Druck, viele offene Stellen besetzen zu müssen, würden die Chefs den Bewerber nur oberflächlich über das Unternehmen informieren und es durch die rosarote Brille beschreiben: Spaß am Arbeitsplatz scheint fast wichtiger zu sein als der Job selbst. Darüber hinaus werde das Aufgabenprofil für Bewerber nicht genau abgesteckt. Bei neuen Mitarbeitern entstünden hohe Erwartungen, die zu Frustrationen führten, wenn sie nicht erfüllt

werden. Auch eilig zur Unterstützung engagierte Human-Resources-Manager könnten eine strategische Personalentwicklung und permanentes Human-Resources-Management nicht ersetzen.

Regelmäßiges Coaching für Führungskräfte

Inzwischen ist nicht nur hinsichtlich der Personalentwicklung bei vielen Unternehmen der Branche die Erkenntnis gewachsen, dass es wichtig ist, seinen Führungskräften ein regelmäßiges Training oder Coaching zu ermöglichen. Bei Pixelpark in Berlin absolvieren junge Nachwuchskräfte mit Unterstützung eines externen Trainingsinstituts eine einjährige Weiterbildung. Auch Lutz Ulrich Meyer plädiert bei der Entwicklung der jungen Bosse für einen "nützlichen Dreiklang" von Coaching, guten Seminaren und Gruppenarbeit, bei der die Rolle des Vorgesetzten reflektiert wird.

Platte Sprüche wie "Zu jung sind nur die Schwachen" sind von der Startup-Szene und ihren Machern zunehmend seltener zu hören. Stattdessen mehren sich die Stimmen, die in der Verbindung von Alt und Jung den einzig Gewinn bringenden Weg sehen. Das Internet-Geschenke-Portal yousmile.de verstärkte kürzlich sein Führungsteam um zwei erfahrene Manager: Peter Sudholt blickt auf eine 15-jährige Berufslaufbahn unter anderem bei der Douglas Gruppe und bei Andersen Consulting zurück, Ralph Schietinger auf zehn Jahre Management-Erfahrung beim Porzellanhersteller Rosenthal sowie bei Maritim und Mövenpick Hotels. Mit dieser Verpflichtung liegt das Karlsruher Startup ganz im amerikanischen Trend. "Die in den USA "Grey Hair" genannten Manager sollen mit ihrer Erfahrung Wachstum auf solider wirtschaftlicher Basis sicher stellen", sagt Sprecher Oliver Papavlassopoulos. Mit grauen Eminenzen werden es aber auch die Mitarbeiter und Geschäftspartner von yousmile.de nicht zu tun

bekommen. Selbst der so berufserfahrene Manager Peter Sudholt ist gerade einmal 36 Jahre jung.

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.