Linien-Manager sollten in das Projekt mit einbezogen werden

27.03.1992

Mit Norman Heydenreich, Leiter der Systementwicklung beim ADAC e.V., sprach CW-Redakteurin Hiltrud Puf.

Meist werden DV-Projekte zu spät fertig, kosten mehr als veranschlagt und bringen nicht die gewünschten Ergebnisse. Schuld daran sind in vielen Fällen Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich wie Kompetenzengerangel, Konflikte zwischen Linien- und Projektverantwortlichen oder unklare Zielvorgaben. Diese Konflikte zu lösen, ist schon innerhalb der DV-Abteilung ein schwieriges Unterfangen. Wenn dazu noch mehrere Abteilungen in das Projekt involviert sind, verlangt dies eine genaue Planung. Hierzu hat der ADAC e. V. ein bereichsübergreifendes Projekt-Management-Konzept erarbeitet.

CW: Es ist bekannt, daß viele DV-Projekte den zeitlichen und finanziellen Forecast überschreiten. Viele Vorhaben werden auch schon vorzeitig abgebrochen. Woran scheitern DV-Projekte?

Heydenreich: Es gibt aus meiner Erfahrung sehr wenige Projekte, die wegen technischer Probleme gescheitert sind. Diese lassen sich eher lösen als die Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich.

CW: Woraus resultieren diese?

Heydenreich: Oft bestehen Unklarheiten oder Meinungsverschiedenheiten über Ziele beziehungsweise Interessengegensätze, die von den Betroffenen nicht ausgesprochen werden. Wenn der Diskussionsprozeß nicht offen geführt wird, kann keine konstruktive Zusammenarbeit stattfinden.

CW: Können Sie das konkretisieren?

Heydenreich: Von einem Projekt sind beispielsweise mehrere Fachbereiche betroffen. Ein Bereich möchte Arbeitsabläufe ändern, was sich auf die Aufbauorganisation auswirkt, der andere seine bisherige Arbeitsweise beibehalten. Oder es gibt Gegensätze zwischen der Bereichsleitung und den betroffenen Mitarbeitern oder dem Betriebsrat. Wenn nicht alle Betroffenen zusammen nach einer Lösung suchen, hat das Projekt wenig Chancen.

CW: Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen guten Projektverlauf ?

Heydenreich: Die Ziele müssen gemeinsam und klar formuliert sein sowie von allen Beteiligten verstanden und akzeptiert werden. Wenn das nicht gegeben ist, braucht man gar nicht weiterzumachen .

CW: Und trotzdem halten sich viele nicht an den Ratschlag und führen die Projekte weiter.

Heydenreich: Ja, meist in der Hoffnung, daß trotzdem irgendein

akzeptables Ergebnis zustande kommt .

CW: Wo liegen denn hier die Schwierigkeiten ?

Heydenreich: Gerade in großen übergreifenden Projekten müssen verschiedene Personen und Bereiche gemeinsame Zielsetzungen formulieren. Das ist für jeden einzelnen eine Herausforderung, da die Interessen der Person nicht von vornherein identisch mit den Interessen anderer und auch der Gesamtorganisation sind.

CW: Hier spielt doch sicher auch das hierarchiegeprägte Denken eine Rolle.

Heydenreich: Die übliche hierarchische Struktur der Unternehmen fördert nicht eben die Zusammenarbeit, sondern führt eher zum Bereichsdenken und nicht zum kooperativen Zusammenarbeiten.

CW: Wie läßt sich dann neben der eher hierarchisch geprägten Linienorganisation eine Projektorganisation in einem Unternehmen installieren, die eher auf bereichsübergreifende Kooperation ausgerichtet ist?

Heydenreich: Zunächst paßt das nicht zueinander, da gibt es Konflikte und Reibungspunkte. Aber jede Organisation hat ihre Stärken. Die Linienorganisation eignet sich für die sehr komplexen arbeitsteiligen Prozesse im Unternehmen, die sich nicht permanent ändern. Die Herausforderung besteht darin, Elemente des Projekt-Managements in Unternehmensabläufe zu integrieren. Es führt zu nichts, wenn Linien- und Projekt-Management zwei völlig isolierte Welten sind. Das Linien-Management sollte dabei die Rahmenbedingungen für Teams und Projekte schaffen.

CW: Was bedeutet das für die Betroffenen?

Heydenreich: Linien-Manager sehen Projekte häufig noch als Störungen, die Ressourcen von den eigenen Bereichsaufgaben abziehen. Ein Bereichsleiter sollte aber nicht nur das normale Tagesgeschäft, sondern auch die Neuerungen, die Projekte, als seinen Verantwortungsbereich betrachten. Das setzt voraus, daß er in die Projekte eingebunden wird und einen Teil der Verantwortung mitträgt. Zudem ist es wichtig, rechtzeitig die notwendigen Rahmenbedingungen für die Projektaufgaben in den betroffenen Bereichen zur Verfügung zu stellen.

CW: Wie ist das beim ADAC gelöst?

Heydenreich: Wir haben ein eigenes Projekt-Management-Konzept entwickelt, das die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der Linien- und der Projektorganisation festhält. Dazu wurden in Analogie zu Marktverhältnissen die Rollen Auftraggeber und Auftragnehmer definiert. Die Rolle des Auftraggebers nimmt der Linien-Manager ein, der die Projektziele gegenüber dem Unternehmen verantwortet und im Projekt durchsetzt, den Kosten- und Terminrahmen vorgibt sowie das Projektbudget bereitstellt. Er genehmigt die Planungen sowie Änderungen des Projektauftrags, entscheidet über den Lösungsansatz und nimmt die Projektergebnisse ab. Bei Einschaltung von internen Dienstleistungsbereichen wie der IV-Abteilung nimmt der zuständige Bereichsleiter des Dienstleistungsbereiches die Rolle des Auftragnehmers wahr. Dieser unterstützt das Projekt durch die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, durch eine aktive Unterstützung des Projektleiters und durch eine begleitende Projektkontrolle. Ohne die volle Unterstützung der Linie hat ein Projektleiter nur geringe Chancen, ein gutes Ergebnis zu erzielen.

CW: Wie sieht das bei bereichsübergreifenden Projekten aus?

Heydenreich: Die meisten unserer größeren Projekte sind bereichsübergreifend. Oft sind sogar mehrere Geschäftsbereiche betroffen. Auch hier muß zuerst ein Konsens über die Ziele hergestellt werden. Dazu sind bestimmte Organisationsformen einzurichten, etwa Projektausschüsse.

Ebenso wichtig ist, daß bei der Teamarbeit aus allen betroffenen Fachbereichen Mitarbeiter für das Team abgestellt werden, die gemeinsam das Ergebnis erarbeiten.

CW: Wie kamen Sie zu dem Konzept?

Heydenreich: Wir haben die Feststellung gemacht, daß viele unserer sogenannten "DV-Projekte" gar keine reinen DV-Projekte sind, sondern nur Teilprojekte eines umfangreicheren Vorhabens, das viele andere Aspekte hat. Da es nichts nützt, die Projektarbeit in einem Bereich zu optimieren und Verfahren zu entwickeln, wenn das die anderen Bereiche ganz anders machen, gibt es beim ADAC Pläne, die Projektarbeit für das ganze Unternehmen zu standardisieren. Bei DV-Projekten halten wir die aktive Mitarbeit der Anwender, und zwar nicht nur bei der Erstellung des Anforderungskatalogs, sondern während der gesamten Projektzeit für einen wesentlichen Erfolgsfaktor.

CW: Welche Probleme tauchen dabei auf?

Heydenreich: Eine Schwierigkeit dabei ist, daß viele Bereiche mitarbeiten müssen, die es sich nicht leisten können, einen Mitarbeiter zu 100 Prozent abzustellen, die aber trotzdem für das Ergebnis fachlich Verantwortung mittragen. Für diesen Fall haben wir ein Konzept entwickelt, das flexibel abgestufte Mitarbeit ermöglicht. Das Fachteam ist verantwortlich für die fachliche Richtigkeit und die Wirtschaftlichkeit der erarbeiteten Lösung, was aber nicht unbedingt Mitarbeit in Vollzeit bedeuten muß. Das Kernteam ist eine kleine schlagkräftige Truppe, die sich ausschließlich um das Projekt kümmert und die Ergebnisse ausarbeitet.

CW: Kommt es bei der Projektarbeit zu Konflikten zwischen der persönlichen Karriere und dem Gruppenziel?

Heydenreich: Nach meiner Erfahrung engagieren sich Mitarbeiter, die vorankommen wollen, die Interesse an ihrer Arbeit haben, wenn man sie in die Vorüberlegungen einbindet. In dem Moment, wo die Ziele klar und akzeptiert sind, identifizieren sich die Team-Mitarbeiter leicht mit dem Projekt. Erfolgreiche Projektarbeit fördert beim ADAC auch die persönliche Karriere.

CW: Was halten Sie von Mitarbeiterbeteiligung an der Erstellung von Unternehmenszielen?

Heydenreich: Es ist bei der Größe des Unternehmens eine Illusion zu glauben, man könne alle Mitarbeiter in gleicher Weise mit in die Zieldefinition des Unternehmens einbinden. Allerdings halten wir es für wichtig, die Unternehmensziele allen Mitarbeitern in einem Informations- und Diskussionsprozeß näherzubringen. Auf der Bereichsebene kann es sinnvoll sein, die Mitarbeiter auch in die Zielfindung einzubinden. Beispielsweise haben bei uns bisher die Führungskräfte die Bereichsziele formuliert. Im letzten Jahr haben wir einer Arbeitsgruppe den Auftrag gegeben, Vorschläge zu erarbeiten. Diese wurden bei der Entscheidungsfindung der Führungskräfte berücksichtigt.

CW: Belebt Individualität das Team?

Heydenreich: Je mehr Individualität in ein Team eingebracht werden kann, desto besser, da das Ergebnis eines Projekts sehr wohl dadurch gewinnt, daß verschiedene Sichten und Temperamente involviert sind. Das Team ist ein Organismus, in dem jeder eine ganz bestimmte Funktion und Rolle einnimmt, und dazu sind auch unterschiedliche Eigenschaften erforderlich. Voraussetzung ist allerdings, daß jeder die Bereitschaft zum Kompromiß mitbringt.

CW: Eignet sich jeder Mitarbeiter für die Teamarbeit?

Heydenreich: Nein. Es gibt ausgeprägte Einzelkämpfer, die sich im Team nicht austauschen wollen. Sie werden es in einem Team immer schwer haben. Auch wir haben im Entwicklungsbereich einige Mitarbeiter, die über viele Jahre sehr technikorientiert gearbeitet haben und die sich wahrscheinlich nicht zu produktiven Teammitgliedern entwickeln werden. Aber es gibt auch Arbeitsbereiche, die in dieser Hinsicht nicht so hohe Anforderungen stellen.

CW: Wie wirkt sich das auf Ihre Personalpolitik aus?

Heydenreich: Da wir festgestellt haben, daß in der DV Teamarbeit immer wichtiger wird, achten wir bei Neueinstellungen stark darauf, daß Fähigkeit und Neigung zur kooperativen Zusammenarbeit vorhanden sind. Zudem fördern wir die Teamfähigkeit durch gezielte Trainingsmaßnahmen für Projektteams.

CW: Wird in der Ausbildung der Teamgeist genügend gefördert?

Heydenreich: Ich habe nicht den Eindruck, daß diese Fähigkeit in der Schule oder an der Universität besonders gefördert wird. Das Unternehmen Muß hier sehr viel leisten. Das Beste, was wir in dieser Hinsicht erwarten können ist eine offene Persönlichkeit, die zur kooperativen Zusammenarbeit bereit ist.

CW: Was ist denn für Sie ausschlaggebend das technische Wissen oder die Kooperationsfähigkeit?

Heydenreich: Die Offenheit und Bereitschaft zusammenzuarbeiten ist als Einstellungskriterium wichtiger als die Kenntnis in speziellen technischen Bereichen. Technische Kenntnisse lassen sich innerhalb kurzer Zeit vermitteln, während sich das bei Fähigkeiten wie Kooperationsbereitschaft schwieriger gestaltet.

CW: Arbeiten Sie bei den Projekten mit externen Beratern zusammen?

Heydenreich: Ja, aber in einem eingeschränkteren Umfang da wir das konzeptionelle Know-how in unserer eigenen Mannschaft haben möchten.

CW: Oft gilt es ja, während des Projekts Durststrecken zu überwinden. Wie motivieren Sie dann die Mitarbeiter?

Heydenreich: Das Team muß das Gefühl haben, daß es auf dem Weg zum Erfolg ist. Das geht natürlich nicht, wenn Projekte schon seit zwei Jahre ohne vorzeigbare Ergebnisse laufen. Schon bei Festlegung der Vorgehensweise muß man deshalb darauf achtens daß es nutzbare Zwischenergebnisse und vorzeigbare Meilensteine gibt.

CW: Welche Rolle wird Teamarbeit in Zukunft spielen?

Heidenreich: Die Aufgaben werden immer komplexer, die Innovationszyklen und damit die Entwicklungszeiten immer kürzer. Das ist nur in Form von Teamarbeit zu bewältigen, da hierfür die Verfahren der normalen arbeitsteiligen Linie zu schwerfällig sind. Durch eine phasenübergreifende Parallelisierung der Arbeiten (Simultaneous Engineering) lassen sich die Durchlaufzeiten erheblich verkürzen. Mitarbeiter aus dem Fachbereich, der Systementwicklung, der Arbeitsvorbereitung und Weiterverarbeitung bilden ein Team. Während die einen die Detailanforderungen ausformulieren, denken die anderen schon darüber nach, wie das später in der Weiterverarbeitung bewerkstelligt werden kann. So kommt man rechtzeitig zu wirtschaftlichen Lösungen.