Lieferzeiten durch elektronischen Datenaustausch reduziert Das organisatorische Gewicht von EDI nimmt bei Mettler-Toledo zu

03.06.1994

Mettler-Toledo, eine weltweit fuehrende Produktions- und Vertriebsgesellschaft fuer Labor- und Industriewaagen, stand Anfang 1989 vor der Einfuehrung der Barcode-Auszeichnung fuer alle Artikel und gleichzeitig vor dem Start von Just-in-time-Methoden in den Fertigungsbetrieben. Mit diesen Massnahmen sollte die Effizienz von Produktion und Vetrieb gefoerdert werden. Es lag daher nahe, in diesem Zusammenhang die Anregungen fuer eine globale EDI-Einfuehrung aufzugreifen, die Dieter Bode* im folgenden beschreibt.

"Wir hatten manchmal die Waren schneller auf den Weg gebracht als die Versandpapiere", erinnert sich Heinz Berger, Abteilung Gruppeninformatik im Greifenseer Hauptsitz von Mettler-Toledo, an die Zeit vor der EDI-Einfuehrung. Dies war auch der Hauptgrund, so Berger, den papierlosen Dokumententransport als Mittel zur Reduzierung der Versandzeiten ins Auge zu fassen. Die sonst per Fax und Briefpost verschickten Bestellungen, Auftragsbestaetigungen, Rechnungen und Versandlisten sollten so beschleunigt werden.

Um die zu erwartenden technischen Anfangsschwierigkeiten besser in den Griff zu bekommen und sich das noetige Know-how leichter aneignen zu koennen, wurde EDI zunaechst nur zwischen zwei Pilotpartnern und dem Hauptsitz durchgefuehrt. Als Pioniere wurden jeweils eine Tochtergesellschaft in den USA und der Schweiz ausgewaehlt, die als Vertriebsgesellschaften taetig sind. Das EDI- Projekt wurde bei Mettler-Toledo uebrigens in eigener Regie betrieben, unabhaengig von den zur selben Zeit von der Muttergesellschaft Ciba-Geigy AG in Basel eingefuehrten EDI- Konzepten. Dies ist unter anderem in der voellig unterschiedlichen Firmen- und Branchenstruktur sowie den verschiedenartigen Formaten der EDI-Dokumente begruendet.

Als Schluesselbereiche fuer EDI-Anwendungen gelten Logistik und Vertrieb. Aus diesem Grunde wurden zuerst Auftraege, Auftragsbestaetigungen und Rechnungen elektronisch verschickt. Da zu jener Zeit (1989) noch nicht alle Dokumentenformen im Edifact- Standard verfuegbar waren, kam anfangs der Ansi-X.12-Standard zum Einsatz. Fuer das Netzwerk (VAN) waehlte man IBM und als Lieferant der Konvertierungssoftware Sterling Software mit Serviceniederlassungen auf beiden Seiten des Atlantiks.

In einem zweiten Schritt wurden ein Jahr spaeter die Versandpapiere in den EDI einbezogen. Im Rahmen der taeglichen Geschaeftsabwicklung sandten die Niederlassungen ihre elektronischen Orderanweisungen an die Fertigung in Greifensee. Von dort wurden Auftragsbestaetigungen, Rechnungen und Versandlisten wiederum zurueckgeschickt.

Schon waehrend der Pilotphase liessen sich Verbesserungen im Geschaeftsablauf feststellen, wie zum Beispiel eine hoehere Liefer- und Datensicherheit, intensivere Kundenbeziehungen und optimierte Logistikplanungen sowie eine drastische Reduzierung der Postgebuehren und des Papierverbrauchs. Heute benutzen die eigenen Vertriebsgesellschaften in Belgien, Deutschland, Frankreich, England, Italien, den Niederlanden, der Schweiz und in den USA die EDI-Kommunikation, um elektronische Informationen mit den Fabrikationsstaetten in Greifensee (Schweiz) und Albstadt (Deutschland) auszutauschen.

Die Mettler-Toledo-Werke in den USA werden in Kuerze in diesen Verbund integriert. So erhaelt zum Beispiel die MT-Niederlassung in Hightstown, New Jersey, Bestellungen von ihrem Kunden VWR, einer fuehrenden Haendlerorganisation. MT-Hightstown leitet diese wiederum per EDI an die entsprechenden europaeischen Fabriken weiter.

Diese schicken EDI-Kopien der Rechnungen und Packlisten direkt elektronisch an den Spediteur Panalpina in New York, der die Abwicklung mit dem amerikanischen Zoll vornimmt und gleichzeitig die Informationen in seinem eigenen Netzwerk verwendet.

Innerhalb der AS/400-EDI-Management-Software setzen die Mettler- Toledo-Partner "Gentran:Basic fuer AS/400" von Sterling Software als Uebersetzungssoftware ein. Dabei ist es unerheblich, dass zwar alle Dokumentformate im X.12-Standard vorhanden sind, die neuen externen Partner aber den in der Zwischenzeit verfuegbaren Edifact- Standard nutzen werden. Die Mettler-Toledo angeschlossenen Organisationen werden in der Form einer "gelenkten Autonomie" gefuehrt. Das bedeutet in der Praxis, dass die angeschlossenen Gesellschaften, was den Einsatz von EDI-Anwendungen angeht, nicht angewiesen werden koennen, sich fuer eine spezielle Strategie zu entscheiden.

Die neuen EDI-Verfahren werden innerhalb der Gruppe in Workshops vorgestellt und eingefuehrt. Dabei ist aber nicht nur die Management-Ebene gefordert, EDI zu einer nuetzlichen Anwendung zu fuehren. In gleicher Weise sind die eigentlichen Benutzer mit einzubeziehen, sobald sich ihr Arbeitsumfeld aendert. EDI erlaubt zwar eine weitgehende Reduzierung ihrer manuellen Arbeit, aber die Benutzer "besitzen" die EDI-Anwendung und sind daher fuer die Ausfuehrung neuer EDI-Ueberwachungsaktivitaeten verantwortlich.

Die Erfahrungen von Mettler-Toledo als EDI-Anwender sind besonders im internationalen Zusammenspiel relevant. So bestand nach den Aussagen von Heinz Berger ein gravierendes Problem darin, dass Mettler-Toledo im Anfangsstadium des EDI-Projekts zu den ersten Gesellschaften zaehlte, die den transatlantischen EDI- Dokumentenaustausch auf dem IN-Netzwerk von IBM anwendeten. Dadurch entstanden einige technische und organisatorische Schwierigkeiten mit den nationalen IBM-Gesellschaften. Auf der Softwareseite war ein wesentlich einheitlicheres Vorgehen moeglich. Die Mettler-Toledo-Hauptverwaltung richtete hierfuer in Greifensee eine zentrale Unterstuetzung ein, waehrend Sterling Software fuer ihre Programme einen Hotline-Service unterhielt.

Ein Handikap besteht darin, die unterschiedlichen Beduerfnisse der EDI-Partner in den verschiedenen Laendern zu befriedigen: "Der Umfang der Vorteile, die durch den EDI-Einsatz erreicht werden konnten, ist abhaengig von der Groesse und den Ressourcen, ueber die eine Niederlassung verfuegen kann", erklaert Heinz Berger. "So verbucht die deutsche Organisation ihre Rechnungen und Auftragsbestaetigungen zum Beispiel direkt in ihren entsprechenden Anwendungspaketen. Anderen Niederlassungen habe dieser direkte Weg, so Berger, zu Beginn jedoch widerstrebt. Auf der anderen Seite sei der Aufwand in den Fachabteilungen durch die EDI- Software wesentlich vereinfacht worden.

Fazit: Mettler-Toledo hat vor kurzem an seinem Hauptsitz in Greifensee ein wichtiges Downsizing-Programm implementiert. Im Rahmen eines Reorganisations-Konzeptes werden drei bedeutende Bereiche, die auf Labor- und Industriewaagen sowie Analysegeraete spezialisiert sind, jetzt als selbstaendige Geschaeftszweige behandelt. Diese Neuorientierung hat auch Auswirkungen auf die EDI-Aktivitaeten in Greifensee.

Im Rechnerbereich hat das Downsizing-Konzept zu verteilten AS/400- Systemen in den einzelnen Bereichen gefuehrt. Dabei hat man die Mainframe-Umgebung abgeschafft, das EDI-System hingegen mit den dezentralen AS/400-Systemen vernetzt und zu einem Clearing-Zentrum (vgl. Abbildung) fuer alle drei Bereiche in Greifensee ausgebaut. Diese Organisationsstruktur hat flexiblere Vertriebs- und Produktionsablaeufe bewirkt und EDI zu einem Mittel fuer die Reduzierung von Lieferzeiten praedestiniert. Das deutsche Werk der Gruppe in Albstadt arbeitet nach dem Just-in-time-Konzept und integriert dabei das vorhandene EDI-basierende Bestellwesen fuer die Erstellung von Produktionsauftraegen.

Die Einfuehrung von Finanz-EDI, einschliesslich der Uebermittlung von elektronischen Zahlungsanweisungen und Gutschrifts- sowie Belastungsanzeigen wird zur Zeit noch untersucht. Finanz-EDI hatte zur Startphase keine hohe Prioritaet, sondern war als Aufbauprojekt vorgesehen. Ausserdem beginnen die Banken erst jetzt, den EDI- Service auf der Basis des Edifact-Standards als Dienstleistung anzubieten. Auf Landesebene bestehen aber bereits seit langem andere Arten des Finanzdatenaustauschs nach Non-Standard-Methoden. Damit ist es seit Jahren moeglich, Zahlungsanweisungen an die Hausbank auf Magnetbaendern oder per DFUE zu uebermitteln.

Die Kernaussage von Mettler-Toledo zum elektronischen Datenaustausch ist, dass Projekte dieser Art vom Management getragen werden muessen. Die Verantwortlichen sind genau darueber zu informieren, welche Moeglichkeiten EDI bietet und wo die Grenzen liegen. Ein so geschulter EDI-Manager kann Erfolge auf dem Gebiet der Anwendungserweiterungen und bei der Verbreiterung der Partnerbasis erzielen. EDI ist somit ein sich staendig fortentwickelndes Projekt, und eine der Hauptinteressen von Mettler-Toledo besteht darin, den Stand der Integration innerhalb der gruppeneigenen internationalen Handelsgemeinschaft zu verbessern.

Mettler-Toledo ist Hersteller von Labor-, Industrie- und Ladenwaagen. Seit 1980 wird die Gesellschaft als Division des Schweizer Pharmakonzerns Ciba-Geigy gefuehrt. Das Traditionsunternehmen Mettler wurde 1945 in Greifensee (Schweiz) als Gesellschaft zur Produktion von Laborwaagen gegruendet. 1989 uebernahm das Unternehmen den amerikanischen Produzenten von Industriewaagen, die Toledo Scale Corporation mit Hauptsitz in Worthington, Ohio. Die Erweiterung der Produktpalette durch Toledo-Industriewaagen ermoeglichte es der neuen Gesellschaft Mettler-Toledo, mit einer kompletten Produktserie von Waagen mit einer Bandbreite zwischen 0,000 000 1 g und einigen hundert Tonnen in den Wettbewerb zu treten. Heute beschaeftigt die Gesellschaft 6500 Mitarbeiter, die einen Gesamtum-satz von ueber einer Milliarde Schweizer Franken erwirtschaften.

*Dieter Bode ist freier Journalist in Schwerte.