Anmerkungen eines Soziologen:

"Kurzschluß" vor dem Schirm des Datensichtgerätes

21.11.1975

Von Professor Jochen Fuhrmann, Berlin

BERLIN - Es gibt in der Bundesrepublik heute weit mehr Datensichtgeräte im Einsatz, als der Laie sieh vorstellt. Und auch die Fachleute sind sieh über die genauen Zahlen nicht ganz im klaren.

Die Hersteller taxieren langfristig einen jährlichen Zuwachs von etwa 15 Prozent. Das heißt aber auch, daß in jedem Jahr mehr Angestellte ganz oder zeitweise an und mit diesen Geräten arbeiten werden.

Datensichtgeräte, Bildschirmgeräte oder optische Anzeigen - auch diese Bezeichnungen sind nicht ganz klar - werden eingesetzt überall da, wo die Datenerfassung, die Fehlerkontrolle und die sofortige Korrektur Probleme bringen. Sie sind leicht zu bedienen, können vielseitig verwendet werden, sind nicht an ein bestimmtes Arbeitsgebiet gebunden und brauchen auch kein Papier. Außerdem versprechen sich die Anwender von der Geschwindigkeit der Datenerfassung die Bereinigung eines schon zur Tradition gewordenen Engpasses.

Bediener-Verschleiß?

Damit ist auch schon einiges über die besonderen Probleme gesagt, die dem Menschen, dem Bediener eines solchen Gerätes, gestellt werden. Technik an sieh ist nie schlimm, kann man immer wieder hören. Schlimm wird sie erst bei ihrer Anwendung im Zusammenhang mit Menschen. Wie beim Lochkarten-Personal alten Stils schätzen die Experten auch für die Bediener von Datensichtgeräten eine Höchstaltersgrenze von 45 Jahren und eine maximale Arbeitszeit bei voller Belastung von etwa 15 Jahren. Solche Schätzungen müssen natürlich experimentell überprüft werden.

Wo die schnelle Technik die Maßstäbe setzt, muß sich der langsame Mensch anpassen. Er muß konzentriert arbeiten, schnell arbeiten, unter Zeitdruck arbeiten. So fühlen sich die Angestellten mit ständiger Arbeit an Datensichtgeräten auch unter besonderem Streß. Das Gefühl, unter Druck zu stehen, wird dadurch verstärkt, daß man ja praktisch nie fertig wird - ständig fallen neue Datenmengen an, müssen verarbeitet werden. Wie beim übrigen DV-Personal spielt danken auch die Isolierung vom übrigen Betrieb eine Rolle.

Einseitiger Dialog

Datensichtgeräte werden häufig auch als Dialogsysteme verkauft. Dieser Dialog mit dem Computer ist aber eine völlig einseitige Angelegenheit. Zeit-und Arbeitsdruck lassen nach Ansicht der Betroffenen gar nicht erst das Gefühl für einen Dialog aufkommen.

Besonders intensiv wirken die technischen Umstände und der Arbeitsdruck auf die Nerven. Abteilungen, in denen mehrere Datenerfassungsgeräte und ihre Bediener konzentriert sind, gelten bei Eingeweihten als "Kurzschlußabteilungen". Kurzschluß nicht bei der Elektrik, sondern beim Menschen. Solche Dinge sind den Experten aber nicht fremd. Alle 50 Minuten zehn Minuten Pause, Begrenzung der Tätigkeit überhaupt auf zwei- bis dreimal 40 Minuten täglich, regelmäßige Wechsel mit anderen Tätigkeiten sind in vielen Unternehmen eingeführt worden.

Machen, was machbar ist?

All das aber setzt eine Erkenntnis voraus: Die Grenzen der Rationalisierung liegen beim Menschen. Machbar, erträglich, zumutbar, zufriedenstellend heißt die entsprechende Rangreihe.

Technisch machbar ist auch im Zusammenhang mit Datensichtgeraten sehr vieles. Erträglich ist längst nicht alles, was technisch machbar ist. Zumutbar würde vom Betroffenen definiert werden, nicht vom Anwender oder Hersteller, zufriedenstellend ist die Arbeit mit dem Datensichtgerät für die meisten damit Befaßten noch längst nicht. Eingehende arbeitswirtschaftliche Untersuchungen wären gerade hier dringend notwendig.