Intranet-Anwendungen/ Workgroup-Computing versus Intranet: Des Kaisers neue Kleider?

Kundenbindung geht nicht ohne Internet-Technologie

26.02.1999
Die Grenzen zwischen klassischem Workgroup-Computing und Intranet-Systemen verwischen sich. Funktionalität und Leistungsfähigkeit bewegen sich aufeinander zu. Auch die Werbebotschaften der Hersteller sind nahezu gleich. Bei genauerer Betrachtung jedoch zeigt sich, daß die verschiedenen Implementierungsgrundlagen eine klare Unterscheidung anhand der Einsatzbreite ermöglichen. Michael Wagner hat die Unterscheidungsmerkmale herausgearbeitet.

Alles neu macht das Internet. Kaum ein Hersteller eines Softwaresystems, der seine Produkte nicht als Internet-Plattform anpreist, und kaum ein Hersteller von Internet-Software, der nicht mit fachlichen Schwerpunkten Akzente für das eigene Angebot setzt. Insbesondere in der Rivalität des klassischen Workgroup-Computings und der neueren Internet-Systeme zeigt sich diese Veränderung der Märkte deutlich.

Eine klare Abgrenzung der Technologien und Produkte fällt schwer, denn Funktionalität, Leistungsfähigkeit und Einsatzbandbreite ähneln sich sehr. Ursprünglich als Bezeichnung für spezielle Systeme zur Unterstützung kleiner Arbeitsgruppen gedacht, werden die Begriffe Workgroup-Computing und Groupware inzwischen universell für alle Formen organisationsunterstützender Software verwendet.

Groupware steht demnach für Softwaresysteme, die Workgroup-Computing implementieren. Sie basieren in der Regel auf einem Client-Server-Ansatz, nämlich dem, daß unstrukturierte Informationen synchron oder asynchron auf der Basis proprietärer Technologien gemeinsam genutzt werden. Von der Server- und Client-Software über die verwendeten Protokolle bis hin zu den oft eigenständigen Datenbankformaten implementiert jeder Hersteller sein Produkt nach den eigenen Vorstellungen.

Dies gilt auch für die Unterklasse der Workflow-Systeme, die die Nutzung stärker strukturierter Informationen anhand von Organisations- und Ablaufmodellen koordinieren. Neben der Unterscheidung zwischen synchron und asynchron arbeitenden Systemen wirkt sich insbesondere die Replikation, das heißt die Möglichkeit des Abgleichs von Informationen zwischen Systemen, auf die Einsatzfähigkeit der Produkte aus.

Groupware-Systeme kommen vor allem für geschlossene Benutzergruppen in Frage, das heißt unternehmensintern und zwischen kooperierenden Unternehmen. Im synchronen Einsatzfall arbeiten mehrere Nutzer an denselben Informationen gleichzeitig, während dies im asynchronen Fall zeitversetzt geschehen kann. Durch die Replikation sind Groupware-Systeme in der Lage, einen logischen Datenbestand auf verschiedene physische Systeme zu verteilen. Der Abgleich der Informationen kann dabei sowohl zwischen Server-Systemen als auch zwischen Servern und mobilen Systemen erfolgen.

Intranet-Systeme basieren verglichen mit den meisten Groupware-Produkten wesentlich stärker auf den Internet-Standards. Ausgehend vom Hypertext Transfer Protocol (HTTP) und dem Datenformat Hypertext Markup Language (HTML) für das World Wide Web sprechen alle Server-Systeme dieselbe Sprache und sind daher für die universell über beliebige Web-Browser als Clients ansprechbar. Die Speicherung der bearbeiteten Daten erfolgt in der Regel ebenfalls in Standard-Datenbanken.

Die Standardisierung ermöglicht eine untereinander kompatible Nutzung unterschiedlicher Web-Produkte, wird aber durch Unterschiede in der Implementierung und herstellerabhängige Erweiterungen eingeschränkt. Insbesondere auf der Browser-Seite ergibt sich durch die unterschiedliche Interpretation von HTML-Seiten eine Fragmentierung der Einsatzmöglichkeiten auf bestimmte Server-Browser-Kombinationen beziehungsweise ein Zwang zur Nutzung des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Während Web-Server in der Regel die Standardprotokolle unterstützen, unterscheiden sich die Systeme in ihrer Funktionalität und Implementierung stark. Insbesondere die Schemata der zugrundeliegenden Standarddatenbanken sind meist auf die jeweiligen Server-Systeme zugeschnitten und nicht übertragbar. Gleiches gilt für die Server-basierten Scripte, die für die Erzeugung von HTML-Seiten aus den Datenbankinhalten eingesetzt werden.

Eine grundlegende Eigenschaft des Web-Browser und Serververbindenden HTTP, die Zustandslosigkeit, bereitet für die Implementierung komplexer Anwendungen Probleme. Nach HTTP sind aufeinanderfolgende Anfragen von Web-Browsern völlig unabhängig voneinander. Das heißt, die Kommunikation beginnt mit jeder neuen Anfrage wieder von vorn. Für komplexe Interaktionen mit den Benutzern bedeutet dies, daß sämtliche Informationen über die Reihenfolge der Bearbeitung auf dem Server gespeichert werden müssen.

Weitere Problemfälle für den universellen Einsatz der Web-Technologien stellen das Fehlen einer lokalen Datenspeicherung auf der Client-Seite sowie die Einschränkung der Benutzer-Schnittstelle auf die einfachen HTML-Elemente dar. Während den Darstellungmöglichkeiten für Informationen kaum Grenzen gesetzt sind, stellt der HTML-Standard nur wenige interaktive Elemente zur Verfügung.

Trotz der genannten Probleme haben die Web-Systeme auch Vorteile gegenüber den Groupware-Lösungen. Die Internet-Technologien sind in der Regel wesentlich ressourcensparender sowohl auf der Server-als auch der Client-Seite als die eher monolithischen Produkte des Workgroup-Computings. Zudem ermöglichen Web-Technologien schnelle Anwendungsentwicklung und leichte Erweiterbarkeit der Systeme. Eine einfache Integration mit anderen Web-Systemen und mit bestehenden Softwaresystemen und Datenbanken runden die Vorteile der Web-Technologien ab.

Internet- und Intranet-Technologien eignen sich insbesondere für Anwendungsfälle, in denen sich die technischen Randbedingungen der einzelnen Nutzer nicht oder nur mit hohem Aufwand vereinheitlichen lassen. Dies kann zum Beispiel in gewachsenen Großunternehmen der Fall sein, in denen zunächst unterschiedliche Insellösungen geschaffen wurden oder die durch Firmenaufkäufe über eine sehr heterogene DV-Landschaft verfügen.

Sollen Geschäftspartner, zum Beispiel Lieferanten, auf Auszüge der gespeicherten Informationen zugreifen können, so bietet sich ebenfalls die Nutzung von Internet-Technologien als sogenanntes Extranet an, sofern die Partner nicht zur Zusammenarbeit auf der Basis eines Groupware-Systems bereit sind. Spätestens mit der Einbindung von Kunden ist der Einsatz von Internet-Technologien zwingend, um einen möglichst breiten Zugang zu realisieren.

Groupware- und Workflow-Systeme lassen sich relativ einfach um HTTP-Schnittstellen und HTML-basierte Benutzeroberflächen erweitern. Internet-Systeme mit Workgoup- Computing-Funktionen auszustatten erweist sich dagegen als wesentlich schwieriger. Insbesondere die Statuslosigkeit der Kommunikation erweist sich als problematisch, da der gesamte Ablauf der Interaktion mit dem Benutzer nachgebildet werden muß.

Technologien wie Javascript und Java bieten zwar inzwischen mehr Browser-basierte Interaktionsmöglichkeiten, die Zustandslosigkeit des zugrundeliegenden HTTP erweist sich allerdings auch in diesem Fall als enge Grenze. Als Alternative bietet sich der Einsatz des Internet Inter-ORB Protocol (IIOP) an, das im Rahmen der Common Object Request Broker Architecture (Corba) von dem internationalen Standardisierungsgremium Object Management Group (OMG) definiert wurde.

Nahezu alle neueren Versionen der wichtigsten Web-Server bieten inzwischen IIOP als Alternative zu HTTP an. Das statusorientierte Protokoll ermöglicht im Rahmen des Corba-Standards zudem die Integration mit anderen Softwaresysteme über die Grenzen von Programmiersprachen, Betriebssystemen und Netzwerken hinweg. Auch einige Groupware-Systeme bieten inzwischen Unterstützung für den Corba-Standard an.

Grundlegend unterscheidet sich die Einsetzbarkeit von Groupware- und Intranet-Systemen jedoch durch die Möglichkeit der Replikation der zu bearbeitenden Daten innerhalb von Groupware-Systemen. Während HTTP- und IIOP- basierte Systeme nur online, das heißt mit einer permanenten Verbindungsmöglichkeit zwischen Client und Server, arbeiten können, sind einige Groupware-Systeme auch für den Offline-Betrieb geeignet.

Die Clients von Systemen wie Lotus Notes oder Microsoft Exchange können dafür Auszüge aus den auf der Server-Seite hinterlegten Informationen lokal speichern und nach einer Bearbeitung die erfolgten Änderungen zwischen den Systemen abgleichen. Die zuverlässige lokale Speicherung von Informationen und Funktionen in Web-basierten Systemen ist dagegen noch nicht durchgängig möglich geschweige denn standardisiert.

Das Offline-Arbeiten mit logisch gemeinsamen Informationen ist daher nach wie vor eine exklusive Domäne der Groupware-Systeme. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch Einsatzschwerpunkte wie Außendienststeuerungssysteme, für die klassische Groupware-Systeme als geradezu prädestiniert erscheinen. Die Replikation als grundlegende Eigenschaft für den Datenabgleich läßt sich aber auch zwischen verteilten Server-Systemen einsetzen, um den vorhandenen Informationsbestand auszutauschen.

Ähnliche Funktionen zwischen Web-Server-Systemen sind nur mit replizierenden relationalen Datenbanken möglich und erfordern einen relativ hohen individuellen Entwicklungsaufwand. Schwerpunkt des Einsatzes von Web-Technologien sind daher der zentrale Zugang zu Datenbanken und die Integration bestehender Softwaresysteme sowie deren Zusammenfassung unter einer einheitlichen logischen Benutzer-Schnittstelle.

Angeklickt

Trotz der bestehenden, teilweise gravierenden Unterschiede zwischen den Systemen gleichen sich Funktionen und Leistungen des Workgroup-Computings und der Intranet-Technologien an. Eine Integration der verschiedenen Produkte ist bereits heute über HTTP und in naher Zukunft auch über IIOP möglich. Mit der sich abzeichnenden technischen Konvergenz wird sicher auch eine wirtschaftliche Konsolidierung der Märkte und der Anbieterstruktur einhergehen.

Michael Wagner ist als Berater und Publizist in München tätig.