Kultur der sozialen Kommunikation wird zum Erfolgsfaktor Virtueller Arbeitsplatz verlangt neue Formen der Kooperation Von Nicole Winkler*

02.06.1995

Wo kuenftig Time-Sharing-Bueros weniger Arbeitsplaetze als Mitarbeiter bereithalten und weitergehende Modelle vorsehen, feste Arbeitsplaetze ganz abzuschaffen, muessen in den Unternehmen neue Formen der sozialen Kommunikation entwickelt werden. Ziel ist es, Mitarbeiter ueber die "virtuelle Vernetzung" in ein Team zu integrieren, obwohl sie sich physisch ausserhalb befinden. Dies ist ein Ergebnis des Fachkongresses "Die Zukunft der Arbeits(um)welt".

Neue Technologien stellen erhoehte Anforderungen an die Qualitaet der Arbeit, den Arbeitsplatz der Zukunft und an die Organisation von Arbeit - einschliesslich flexibler Arbeitszeitgestaltung. Time- Sharing-Bueros halten schon heute weniger Arbeitsplaetze als Mitarbeiter bereit, die weitgehend vernetzt und ueber ein Reservie- rungssystem stunden- und tageweise disponiert werden. Zu dem Kongress, der sich mit diesem Thema befasste, hatten die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP) und die Pleiad Real Estate Speyer GmbH zusammen mit dem rheinland-pfaelzischen Arbeits- und Sozialministerium und der Stadt Speyer geladen. Kongressteilnehmer beschlossen die Gruendung des "Instituts Zukunft der Arbeitsumwelt" (IZA).

Das Buero soll kuenftig zum Business-Club werden

Im Buero der Zukunft werden nach Ansicht von Volker Fouquet von der Pleiad-Geschaeftsleitung feste Arbeitsplaetze gleich ganz wegrationalisiert und durch eine Vielfalt von Arbeitszonen wie Denk-Kojen, Bars, Business-Lounges, (Video-) Konferenzraeume, Telecom-Stationen, Ruhezonen, Funktionsraeume und Repraesentationsflaechen ersetzt.

Das Buerohaus soll Business-Club werden. Die Mitarbeiter pendeln im Netzwerk, bewegen sich frei in Raum und Zeit und sind doch durch eine gemeinsame raeumliche Infrastruktur verbunden, die vor allem funktionalen und sozialen Anforderungen dient und weniger statusbezogen ist. Das klinge zwar utopisch, wie Fouquet zugibt, sei jedoch realistisch, wenn Arbeitsweisen, -zeit, -raeume und - orte weiter flexibilisiert und die Produktionspotentiale der Buerotechnologien genutzt werden sollen.

Multimedia-Instrumente fuer die Telepraesenz und mobile Telekommunikation fuer das "virtuelle Buero", wie Telearbeit auch bezeichnet wird, machten die Entwicklung moeglich, glaubt Professor Peter Graef von der Rheinisch-Westfaelischen Technischen Hochschule Aachen. Waehrend in Westeuropa, vor allem auch in Deutschland, Unternehmer nur zoegerlich Telearbeitspotentiale umsetzten (Schaetzung EU-Laender: 1,25 Millionen Telearbeiter), seien in den USA bereits weit mehr als 20 Millionen Menschen teletaetig. Dabei stehen nach Ansicht Graefs sozialpsychologisch den negativen Auswirkungen einer moeglichen haeuslichen Isolation bei Telearbeit die Chancen persoenlicher Gestaltungsmoeglichkeiten von Arbeit und ersparter Pendlerwege gegenueber.

Schon heute sind von den 140 Millionen Arbeitsplaetzen der EU nach Erhebungen von Empirica Bonn rund 26 Millionen als moegliche Telejobs einzustufen. Nach Schaetzung der EU-Kommission werden bis zum Jahr 2000 rund zehn Millionen Menschen in der EU Telearbeiter sein. Etwa als "Leistungspendler" (fester Arbeitsort in Betriebsstaetten), "Flexipendler" (teilweise als Telearbeiter taetig), "Mobilmitarbeiter" (Aussendienst mit telekommunikativer Bruecke auf Multimedia-Basis) und "Infoleister" (ortsbeliebige Bereitstellung eines umfassenden Angebotes von telekommunikativen Dienstleistungen zu festen Tarifen).

Die Vorteile virtueller Bueros sind verlockend: weniger Bueroraum, geringerer Aufwand fuer Reisen und die Chance, in den Unternehmen neue Fuehrungsstrukturen, neue Arbeitsablaeufe und -inhalte, ein veraendertes Arbeits- und Umweltbewusstsein sowie groessere Kundenorientierung einzufuehren.

Allerdings, so gibt Elke Weber-Braun, geschaeftsfuehrende Gesellschafterin bei Arthur Andersen + Co. GmbH, zu bedenken, erfordere diese Art der Arbeit zunehmend Mitarbeiter, die kreativ, flexibel und visionaer handeln koennten. Wo der persoenliche Kontakt fehle, Informationen nicht mit Farbe, Licht, Geruch, Stimmung und Atmosphaere verbunden waeren, verkuemmere die Kommunikation. Eine funktionierende Kommunikationskultur brauche Menschen, die sich kennen.

Aus diesem Grund unterhaelt Arthur Andersen Trainingslager, in denen Mitarbeiter die Gelegenheit bekommen, mit Kollegen aus aller Welt Bekanntschaft zu schliessen. Ziel ist es, spaeter im beruflichen Alltag auf den Kontakt zurueckzugreifen und so die persoenliche Kommunikation sicherzustellen.

Was bei Arthur Andersen in derartigen Kursen geschult wird, erfolgt beim DV-Hersteller ICL Technology auf sogenannten "Get together Partys". Persoenliche Kommunikation und die Kommunikationskultur im Unternehmen ist dann das Thema, das ICL- Geschaeftsfuehrer Juergen Olschewski verfolgt. Fuer ihn ist klar, dass das Unternehmen durch seine eigene Kommunikationskultur massgeblich das Kommunikations-verhalten seiner Mitarbeiter nach innen und aussen bestimmt. Da ICL bereits Telearbeitsplaetze unterhalte, sei Kommunikation zum Programm geworden und bedeute mehr Transparenz sowohl fuer den Kunden als auch fuer die Geschaeftsfuehrung.

Trotz groesster Anstrengungen sei es bislang nur zu einem Teil gelungen, eine neue Kultur der sozialen Kommunikation einzufuehren, die parallel den Wandel der ICL vom reinen Handels- und Verkaufsbetrieb zum Dienstleistungsunternehmen begleiten sollte. Die rein technische Seite - Netzwerke, dialogfaehige Endgeraete und Client-Server-Systeme - sei dabei nicht das Problem. Vielmehr liege die Herausforderung in der Flexibilitaet und Mobilitaet der Mitarbeiter, ihrer Aus- und Weiterbildung und ihrer Bereitschaft zur Akzeptanz moderner Arbeitstechniken auf Basis der Informationstechnologie.

So haetten bislang etwa erst die Haelfte der Vertriebsleute den Sprung zum Berater geschafft - trotz Trainingslager, woechentlicher Meetings, Sprechstunden beim Geschaeftsfuehrer und persoenlicher Gespraeche. Damit hat Olschewski nach eigener Einschaetzung sein Ziel nicht erreicht, das Unternehmen innerhalb von drei Jahren zum reinen Dienstleister zu wandeln. Dennoch zeigt er sich zuversichtlich. Denn bis Ende 1995 will man bei der ICL 65 Prozent der Verkaeufer als Berater trainiert haben.

* Nicole Winkler ist freie Fachjournalistin in Muenchen