Kuenftige Konkurrenten zwischen Euphorie und Fatalismus In den Genen der Kunden steht Telekom fuer Telekommunikation

30.06.1995

Fuer Ron Sommer war das Zurschautragen von Selbstbewusstsein angesagt, galt es doch, beim ersten grossen oeffentlichen Auftritt die eigenen Mitarbeiter und natuerlich vor allem die (kuenftige) Konkurrenz zu beeindrucken. Es werde, so die Erkenntnis des neuen Telekom-Vorstandsvorsitzenden Anfang Juni auf der Bilanzpressekonferenz fuer das Geschaeftsjahr 1994, nur "einen oder gar keinen Anbieter geben, der weltweit die Leistungsfaehigkeit von Telekommunikation made in Germany vertritt". Dass dieser Global Player aus Deutschland nur sein eigenes Unternehmen sein kann, daran liess Sommer keinen Zweifel aufkommen; ebenso wenig daran, dass auf dem deutschen Markt auch in Zukunft keiner "die Rolle und Funktion der Telekom als Motor der heimischen Wirtschaft uebernehmen kann".

Nun wuerde sich einem neutralen Beobachter natuerlich die Frage aufdraengen, was denn den eben erst berufenen Telekom-Chef seiner Sache so sicher machte - noch dazu, wo er nach rund dreiwoechiger Einarbeitungszeit im Prinzip gar nicht ueberschauen konnte, wovon er ueberhaupt redete. Wusste Ron Sommer etwa nicht, dass man mit der Internationalisierung des Unternehmens ueber einige Achtungserfolge noch nicht hinausgekommen ist; dass es in Sachen Genehmigung der Zusammenarbeit mit France Telecom und Sprint durch die Bruesseler wie Washingtoner Kartellbehoerden Spitz auf Knopf steht? Hatte ihm sein findiger Finanzvorstand Joachim Kroeske schon vorgerechnet, was allein an Pensionslasten auf die Deutsche Telekom AG zukommen wird - als bleibende Erinnerung an alte Monopol- und Behoerdenzeiten? Und war sich der frischgebackene Nachfolger von Helmut Ricke schon im klaren darueber, dass es fuer die Telekom laengst vor dem 1. Januar 1998 an so gut wie allen Fronten brennt; dass einige Insider schon seit laengerem behaupten, man schreibe in Bonn nur noch beim Auslandstelefonverkehr schwarze Zahlen - dort dafuer aber um so kraeftiger?

Andererseits sollen in Kuerze ebendiese Auslandsgepraeche, insbesondere nach Nordamerika, um fast 30 Prozent billiger werden, wie ueberhaupt die gesamte Tarifsituation und auch die anderen angesprochenen Problemfelder jeweils eigene Geschichten wert waeren. Und natuerlich tut man dem neuen Telekom-Chef gewaltig unrecht, ihn bis auf weiteres zur unwissenden Gallionsfigur abzustempeln. Nein, Ron Sommer hat, so scheint es jedenfalls, zumindest einige der unter den Naegeln brennenden Entscheidungen von Beginn an zur Chefsache erklaert. So zum Beispiel das besagte, mit France Telecom geplante Joint-venture "Atlas" samt dem Projekt "Phoenix", also die Beteiligung beider Carrier am US- Branchendritten Sprint, die nun immerhin auf Unternehmensebene unter Dach und Fach gebracht werden konnte.

Wer Ron Sommers scheinbarer oder auch tatsaechlicher Gelassenheit auf die Spur kommen will, muss sich gedanklich wohl auch in die Zukunft begeben und sich mit dem auseinandersetzen, was nach 1998 ist beziehungsweise sein koennte. Hier hilft dann in erster Linie der schon sattsam bekannte Blick in Parademaerkte der Telekommunikation, also nach Grossbritannien und in die USA.

Dort stellt man allerdings bei genauerem Hinsehen fest, dass erstens nicht alles so offen und frei ist, wie es zunaechst den Anschein hat, und dass die ehemaligen Monopolisten British Telecom und AT&T ihre Position als Marktfuehrer mit vergleichsweise geringen Einbussen halten konnten. Warum, bitte schoen, soll dies in Deutschland nach dem 1. Januar 1998 anders sein, fragen sich daher die meisten Szenekenner.

Unterstuetzt werden solche "Prognosen" mittlerweile durch eine Reihe von Marktstudien, unter anderem einer Branchen-Analyse der Bayerischen Vereinsbank, in der die Zukunft des Postunternehmens Telekom zwar nicht in rosaroten Farben, aber auch alles andere als pessimistisch gezeichnet wird.

Marktanteil der Telekom sinkt unter 80 Prozent

Danach wird der Marktanteil des Bonner Noch-Monopolisten in Deutschland bis zum Jahr 2000 von derzeit mehr als 90 auf 77,5 Prozent sinken, was allerdings Bedeutung und Ertragskraft des Unternehmens, das Mitte 1996 im Rahmen der bis dato groessten bundesdeutschen Aktienemission an die Boerse gehen soll, keinen Abbruch tut - sofern gewisse Hausaufgaben erledigt werden.

Dies wiederum entspricht genau der offiziellen Lesart, die man sich im Telekom-Vorstand seit geraumer Zeit zu eigen gemacht hat: Radikales Abspecken bei der Mitarbeiterzahl, weg vom Beamtenmief und ansonsten auf den Boom neuer Techniken samt Anwendungen sowie die eigene (alte) Marktmacht setzen. Ueberdies scheinen die Mannen um Ron Sommer auch, was die Zahlen angeht, in ihrem Optimismus bestaerkt zu werden. Erst recht, nachdem die Auguren der Bayerischen Vereinsbank (und nicht nur die) ihre Einschaetzungen bezueglich der privaten Konkurrenz der Bonner allmaehlich dezent nach unten korrigieren. Keiner der Newcomer wird, so die Muenchner Wirtschaftspruefer in einer ueberarbeiteten Analyse, bis zum Jahr 2000 einen Marktanteil von zehn Prozent in Deutschland erobern - Prognosen, die sich vor kurzem noch ein bisschen anders angehoert hatten.

Andererseits muessten sich die Marktforscher aber gar keine grosse Muehe geben, um die Goldgraeberstimmung bei den kuenftigen Moechtegern-Telecom-Giganten zu daempfen. Denn sowohl in Duesseldorf als auch in Muenchen scheint man derzeit die eigenen Kalkulationen zu ueberpruefen. Thyssen-Handelsunion-Chef Dieter Vogel beisst sich jedenfalls, wie Insider spotten, heute noch auf die Zunge, nachdem ihn das vollmundige Hinausposaunen eines entsprechenden Umsatzzieles von zehn Milliarden Mark bis zum Jahr 2000 beinahe die Berufung zum Vorstandsvorsitzenden des gesamten Thyssen- Konzerns gekostet haette. Und auch Viag-Vorstand Georg Obermaier erklaerte schon Anfang Mai oeffentlich, dass man "nachgerechnet" habe, als bei der Inbetriebnahme des mit British Telecom

(BT) gegruendeten Joint-ventures Viag Interkom die eigenen Erwartungen in puncto Umsatz mit vergleichsweise bescheidenen vier Milliarden Mark (innerhalb der naechsten zehn Jahre) beziffert wurden.

Vielleicht erklaert dies auch ein bisschen die Nervositaet, die die kuenftigen Wettbewerber der Telekom mit Blick auf das magische Datum 1. Januar 1998 umtreibt. Umsatzziele fuer die Zeit nach 1998 zu nennen sei "unserioeser als Kaffeesatzleserei", ist beispielsweise Wolfgang Schoenfeld, Geschaeftsfuehrer der CNI Communications Network International GmbH, bemueht, sich keine Bloesse zu geben. Der Frankfurter Telecom-Ableger von RWE, Mannesmann und Deutscher Bank will (muss) sich nach Lage der Dinge, wie notgedrungen auch die uebrige private Konkurrenz, zunaechst auf die Geschaeftskunden konzentrieren - waehrend die Telekom bis 1998 weiterhin kraeftig bei den Privatkunden abraeumt. Rund 80 Milliarden Dollar sind nach den Schaetzungen von Marktforschern im Jahr 2000 allein in Deutschland in der Telekommunikation umzusetzen - der groesste Teil davon allerdings auch dann mit dem "profanen" Telefondienst.

Nicht mehr das beste Nervenkostuem scheint indes auch Vebacom-Chef Ulf Bohla zu haben, der - obwohl natuerlich die eigene Muttergesellschaft Veba laengst wie Viag, RWE und Thyssen an der Vorbereitung fuer eine Bewerbung um eine bundesweite Telefondienstlizenz arbeitet - vergangene Woche den ersten Gesetzentwurf von Bundespostminister Wolfgang Boetsch heftig kritisierte. Keiner der kuenftigen Wettbewerber einschliesslich der Telekom koenne, so Bohla, mit dem Entwurf und dem vorangegangenen Eckpunktepapier des Boetsch-Ministeriums zufrieden sein; essentielle Rahmenbedingungen wie etwa die Regelungen fuer einen offenen Netzzugang, die Nutzung von Telekom-Leitungen, die Nummernplaene und die Einrichtung einer Aufsichtsbehoerde seien nicht geklaert.

Alternative Netze sollen in Bruessel eingeklagt werden

Nun waere es ohne Zweifel wiederum eine eigene Geschichte wert, warum Bohla meint, auch Telekom-Chef Sommer muesse mit den Boetsch- Plaenen unzufrieden sein, wo der doch oeffentlich genau das Gegenteil erklaert. Und es duerfte sicherlich auch noch eine Schar derzeitiger und kuenftiger Verwaltungsjuristen beschaeftigen, was von der Maengelliste des Vebacom-Geschaeftsfuehrers nun wirklich in einem Telekommunikationsgesetz stehen muss und was nicht. Recht hat Bohla indes mit der Stossrichtung seiner Kritik. Vieles von den ehrgeizigen Plaenen des Bundespostministers wirkt in der konkreten Umsetzung nur noch halbherzig, so zum Beispiel die vorzeitige Freigabe alternativer Netze, in der Hauptsache die der grossen deutschen Energieversorger, fuer bereits liberalisierte Dienste - ein "Recht", dass Bohla nun in Bruessel einklagen will.

Voellig ungeklaert ist aber auch noch das Problem des sogenannten "Local Loop", also der beruehmten letzten Meile zum Kunden, die, will man die Republik nicht ein zweites, drittes, viertes und fuenftes Mal umgraben, den privaten Telefondienst-Lizenznehmern von der Telekom zu fairen Bedingungen zur Verfuegung gestellt werden muss. "Es nuetzt den Wettbewerbern der Telekom nichts, wenn sie fuer ein Gespraech von Muenchen nach Hamburg 2,50 Mark berechnen koennen, dann aber noch einen Zuschlag von zehn Mark fuer den Zugang zum Telekom-Netz kassieren muessen", bringt Fritz Hoering, Marketing- Direktor der AT&T Deutschland GmbH, die fuer den ab 1998 liberalisierten deutschen Telefondienstmarkt essentielle Frage auf den Punkt.

Weil aber in den bis dato bekannten Plaenen des Bundespostministeriums wenig bis gar nicht davon die Rede ist, wie denn die Zusammenschaltung mit dem Telekom-Netz technisch realisiert, tarifiert und vor allem vom kuenftigen Regulierer ueberwacht werden soll, hat man sich bei Veba & Co. laengst mit Alternativen zum Festnetz der Bonner beschaeftigt. DECT (Digital European Cordless Telecommunications) heisst hier das momentan in der Branche kursierende Zauberwort - will heissen, man liebaeugelt mit der Ueberbrueckung der Strecke vom eigenen Vermittlungsknoten zum Kunden auf Basis der Schnurlos-Telefonie.

DECT-Lizenzen nach wie vor umstritten

Die Mobilfunkbetreiber DeTeMobil, Mannesmann Mobilfunk und E-Plus hatten hierzu vom Bundespostministerium eine bis Mitte 1995 befristete sogenannte "Testlizenz" zum internen Gebrauch erhalten, in deren Rahmen beispielsweise die Mitarbeiter im Mannesmann- Mobilfunk-Hauptquartier ihr Buerotelefon durch ein mobiles DECT- Geraet ersetzen konnten, das direkt mit einem Vermittlungsrechner des unternehmenseigenen D2-Netzes und damit nicht mit dem Telekom- Festnetz verbunden ist. Wahre Wunderdinge soll die neue Technik leisten, als waere sie fuer den Ortsnetzbereich praedestiniert: So koennen in einem DECT-Netz angeblich bis zu 100000 Teilnehmer pro Quadratkilometer drahtlos kommunizieren; ein ideales Szenario also, um den Telefonverkehr aus Buerohochhaeusern und Gewerbegebieten an Mobilfunknetze und vor allem die Glasfaserstrecken der Energieversorger heranzufuehren.

Logischerweise kocht man daher laengst auch in den Labors von Veba, RWE und Thyssen am jeweils eigenen DECT-Sueppchen, in der Hoffnung, dafuer eine entsprechende Lizenz zu bekommen. Auch in dieser Frage ging das Ministerium bisher auf Tauchstation - erst recht, was einen durchaus Sinn machenden Ausschluss der Telekom von einer DECT-Lizenzvergabe betrifft. Schon Ende Mai sollte hierzu nach den urspruenglichen Plaenen der Boetsch-Beamten eine zumindest wegweisende Richtlinie vorliegen, doch dies und vieles mehr liegt momentan im neu geschaffenen Regulierungsrat auf Eis. In dem paritaetisch aus Mitgliedern des Bundestages und der Laenderparlamente zusammengesetzten Gremium, wo nach Meinung des ehemaligen Postministers Christian Schwarz-Schilling "jegliche Kompetenz verlorengeht", ist die Bundesregierung jedoch auf die Zustimmung der Bonner SPD-Opposition angewiesen.

Wolfgang Boetsch setzt seinen Weg trotzdem unverdrossen "step by step" fort. So soll demnaechst die sogenannte Verleih-Verordnung in Kraft treten, die unter anderem erweiterte Corporate-Network- Richtlinien sowie die Erlaubnis zur Errichtung privater Uebertragungswege im Mobilfunkbereich vorsieht. Die Genehmigung alternativer Netze will sich der Bundespostminister indes nach wie vor im Einzelfall vorbehalten - wohl auch deshalb, weil auch der EU-Ministerrat in Bruessel in dieser Frage bisher keinen Schritt weitergekommen ist. Fuer die privaten Herausforderer der Telekom bedeutet dies: Warten auf den Tag X. Und darueber hinaus die immer realer werdende Befuerchtung von CNI-Chef Wolfgang Schoenfeld, dass "in den Genen der meisten Bundesbuerger beim Begriff Telekommunika-

tion noch lange Zeit der Name Deutsche Telekom programmiert sein wird".