POS-Banking profitiert von Feldversuchen und Pilotprojekten:

Kreditkarten setzen Umdenken bei Banken in Gang

24.07.1987

FRANKFURT (sch) - Obwohl die Deutschen weiterhin den Bargeldverkehr bevorzugen - auch 1986 wurden noch rund 80 Prozent aller Zahlungstransaktionen auf diese Weise abgewickelt -, stehen die Themen POS (Point of Sale) und Kreditkarten aus Banken- und Sparkassensicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Weitere Schwerpunkte des Einsatzes der Informationstechnik liegen Ergebnisse einer jüngst stattgefunden IBM-Fachtagung zufolge in den Bereichen Back-Office, Schalterautomation, Kundenselbstbedienung sowie im Ausbau von Kommunikationsnetzwerken.

Insgesamt ist die Bundesrepublik in Sachen Kreditkarten mit nur 1,4 Millionen Karteninhabern noch ein Entwicklungsland. Bis zum Jahr 2000 schätzen Marktexperten, daß wie in den USA heute schon etwa 2,2 Kreditkarten pro Bundesbürger denkbar sind - für die Bundesrepublik ein Markt von zirka 120 Millionen Karten. Die Gefahr für das Kreditgewerbe, wichtige Anteile in seinen klassischen Domänen, dem Kredit- und Einlagengeschäft sowie dem Zahlungsverkehr, - und damit auch die traditionell engen Bindung des Kunden an seine Hausbank - zu verlieren, war aus der Sicht von Hanspeter Born, Leiter des Bereiches Finanz- und Dienstleistungen der IBM Deutschland GmbH, noch nie so groß.

Neben den Kreditinstituten bieten zunehmend die Bundespost, Versicherungen, Kreditkartenorganisationen und in jüngster Zeit eine Reihe von Handelsunternehmen traditionelle Bankdienste an. So machte die Kaufhauskette Hertie mit ihren 350 000 ausgegebenen Karten 1986 bereits 6,3 Prozent ihres Umsatzes. Auch die zum Quelle-Konzern gehörende Noris-Bank und die Kaufhauskette Massa versuchten sich bereits erfolgreich auf diesem Terrain.

Die Zahl der Kreditkarteninhaber steigt jährlich zwischen 20 und 35 Prozent. Zur Zeit sind in Deutschland rund 1,6 Millionen Karten im Umlauf. Die Zahl der ausgegebenen EC-Karten liegt bei 20 Millionen. Bei den im Vorfeld einer bundesweiten Einführung des POS-Banking von der Gesellschaft für Zahlungssysteme angesetzten drei Pilotprojekten wurden kürzlich die Weichen für die Zulassung von mehreren Kartentypen gestellt. Nach einem im ersten Quartal 1987 erarbeiteten Konzept werden die POS-Terminals sowohl Chip- als auch Magnetstreifenkarten lesen können. Der Zahlungsverkehr soll auch nicht mehr wie geplant über das GZS-Netz (Autorisierungsnetz), sondern über eine neutrale Datenschiene abgewickelt werden. Es ist vorgesehen, bei Chipkarten nur noch 20 bis 30 Prozent aller Transaktionen online zu autorisieren.

Ein wichtiges Detail ist darüber hinaus der Beschluß, das Banking-POS-System bei einer nationalen Einführung für andere Kartensysteme offenzuhalten. Sinnvoll erscheint es deshalb, die zahlungsspezifischen Informationen über ein besonderes Modul in ein "allgemeingültiges" Terminal einzubringen. So könnten künftig mehrere Kartensysteme in einem Terminal nachgerüstet oder ausgetauscht werden.

Zentral anschaffen - an Handel weitergeben

Um allerdings die Kosten für den im Frühjahr 1988 anlaufenden Feldversuch in Regensburg so gering wie möglich zu halten, empfiehlt sich aus IBM-Sicht, für den auf das Zahlungssystem EC-Karte beschränkten Test diese Funktion zunächst fest in das Terminal zu übernehmen (keine zusätzlichen Chipkartenleser). Günther Arndt, Leiter Anwendungsmarketing Kredit: "Wir empfehlen, daß die zu entwickelnde Kundeneinheit mit Hybridleser, PlN-Eingabe- und Verschlüsselungseinheit, MM-Einrichtung und Kundenanzeige einheitlich und zentral vom Kreditgewerbe angeschafft und an den Handel weitergegeben wird." IBM wolle sich an dem Regensburger Pilotversuch mit entsprechenden Produkten beteiligen und verspreche sich von diesem Test Erkenntnisse über Unterschiede in der Sicherheit zwischen Magnetstreifen- und Chipkarte.

Zur Verteilung der entstehenden Kosten besteht seitens der GZS folgender Plan: Der Handel übernimmt die Kosten für die benötigten EFT/POS-Terminals und die Leitungskosten bis zum Anschluß an den Netzknoten. Die Gesellschaft für Zahlungssysteme macht sich für das Netzwerk und den Knoten "stark". Sie wird diese Kosten und eine Gebühr für das Risiko des Kreditgewerbes (Zahlungsgarantie) in Form von Transaktionsgebühren an den Handel weiterbelasten: 0,2 Prozent vom Umsatz und 0,07 Mark pro Transaktion.

An dem Pilotversuch in Berlin ist IBM mit 21 Studienterminals mit von der Partie. Zum Schutz der elektronischen Zahlungsinformation vor Manipulation und zur Generierung von eindeutig fälschungssicheren elektronischen Unterschriften hat Big Blue ein spezielles Sicherheitssystem implementiert. Dieses Sicherheitssystem "agiert" zwischen EC-Kasse beim Händler und dem Konzentrator IBM Serie/1 in der Autorisierungszentrale und schließt die Nachrichtenübermittlung über das öffentliche Netz ein. Grundlage der Verschlüsselung gibt der Sicherheitsalgorithmus DES (Data Encryption Algorithm) ab.

Der zunehmende Wettbewerbsdruck führte bei den Banken auch zu einem Umdenken im Hinblick auf das Filialwesen. Die Bundesrepublik hat weltweit übrigens das dichteste Zweigstellennetz überhaupt. Bankkunden in Deutschland werden von 44 000 Bankstellen bedient, das heißt, für zirka 1400 Einwohner existiert eine Filiale. Zum Vergleich: In den USA kommen auf eine Geschäftsstelle zirka 4700 Einwohner.

Dieses große Vertriebsnetz ist auf die Dauer nur finanzierbar, wenn es gelingt, neue ertragsreiche Dienstleistungen dort zu etablieren. Andererseits lassen sich einfache Funktionen auf die Kundenselbstbedienung verlagern. Mehr Bankprodukte und mehr Dienstleistungen vor Ort erfordern eine umfangreiche Unterstützung durch die Informationsverarbeitung. In der Bundesrepublik werden 4140 Institute durch Gemeinschaftsdatenverarbeitung bedient.

Das heißt, mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze hängen von der Leistungsfähigkeit von 25 Verbund- und Konzernrechenzentren ab. So gibt es bei den Sparkassen nur noch 44 Einzelanwender, und bei Genossenschaftsbanken arbeiten nur noch 18 Institute mit eigener Datenverarbeitung. Nach IBM-Aussagen schaffte der Aufbau der Gemeinschaftsdatenverarbeitung die Voraussetzung für die optimale Nutzung von Rechenzentrumsressourcen und der Anwendungsentwicklung. Mit dieser Form der Datenverarbeitung seien gute Ergebnisse erzielt worden. Die Hardware-Kosten hätten sich wie folgt entwickelt: 1981 wendete man noch 50 Prozent der Kosten für die zentrale Rechnerausstattung auf. Bereits 1986 entfielen nur noch 40 Prozent auf zentrale Systeme, trotz erheblich gestiegener Terminalvolumen und wesentlich leistungsfähigerer Rechner.

Selbstbedienung und Information

Eine immer wichtigere Rolle spielt die Informationsverarbeitung bei der Kundenselbstbedienung. Derzeit sind etwa 4300 Geldausgabeautomaten und zirka 9200 Kontenauszugsdrucker in der Bundesrepublik installiert. Eine Marktstudie der Firma Diebold schätzt eine Marktdurchdringung von 20 000 Geldausgabeautomaten und zirka 50 000 Druckern für das Jahr 1995. Dieser Wandel in Richtung Selbstbedienung wird die Zweigstellenstrukturen verändern.

Marktexperten sehen in den nächsten zehn Jahren eine Entwicklung in Richtung von vier Zweigstellentypen. An erster Stelle rangiert das Service-Center, in dem grundsätzlich alle Bankdienstleistungen abgewickelt werden. Diese Center dienen auch als Stützpunkte für die auswärts arbeitenden Verkäufer. Hier sind außerdem Mitarbeitergruppen angesiedelt, die Kunden des Instituts unterstützen, die per Btx oder per POS Online-Verbindungen aufnehmen möchten. Es folgen Service-Stationen mit limitierten Bankdienstleistungen und reine Selbstbedienungszweigstellen ohne Mitarbeiter (oder nur stundenweise besetzt). Den letzten Typus verkörpert die Selbstbedienungszweigstelle ohne Personal, wie man sie außerhalb von Bankgebäuden (zum Beispiel in Kantinen, Bahnhöfen und Universitäten) an trifft.

Die der angestrebten Stückkostenverbesserungen durch SB-Techniken sind nicht von der Hand zu weisen. Von IBM zitierte Marktstudien zeigen, daß 90 Prozent aller Kunden den Geldausgabeautomaten kennen und rund 66 Prozent den SB-Drucker. 25 Prozent aller Kunden benutzen den GAA, davon über die Hälfte regelmäßig ein- bis zweimal im Monat. Als Gründe für das gute Abschneiden werden die zeitunabhängige Bargeldversorgung (50 bis 55 Prozent) der einfache Umgang (33 Prozent) und die verringerte Wartezeit (20 Prozent) genannt. Es stellte sich außerdem heraus, daß 70 Prozent der Automatenbenutzer nicht weniger Kontakt zu den Mitarbeitern ihrer Geschäftsstelle haben.

Höherqualifikation der Kundenberater

Da einfache Bankleistungen durch die Selbstbedienung ersetzt werden, steigen die Anforderungen an die Mitarbeiter, insbesondere den Kundenberater. In den Bereichen Betriebsrahmenplanung, Vermögensverwaltung, Kredit- und Wertpapiergeschäft oder Bilanzanalyse sind daher Expertensysteme stark im Kommen. Bislang wurde meist komplexe einschlägige Software mit zirka 2000 bis 6000 Regeln von großen Instituten vorwiegend im Ausland mit zum Teil immensem Aufwand erstellt. Um die Expertensystem-Technologie näher kennenzulernen, starteten einige deutsche Kreditinstitute kleinere Pilotprojekte. Erste Erfahrungen sammelte bereits die Bayerische Hypothekenbank unter anderem mit ihrer Filialanalyse. Über ein einschlägiges Projekt in der Zentralsparkasse Wien berichtete vor Ort im Rahmen der Fachtagung Franz Gily, stellvertretender Vorstand der Abteilung Organisation. Als Anwendungsgebiete wurden hier die Kundenberatung, die Beurteilung von Kundenbilanzen und das Operation im Rechenzentrum ausgewählt.

Einheitliches Niveau durch Expertensysteme

Zielsetzung des Expertensystems in der Kundenberatung der Zentralsparkasse ist es, das Spezialwissen der Experten in den einzelnen Geschäftssparten des Hauses auch den derzeit 170 Zweigstellen über EDV zur Verfügung zu stellen. Damit soll einerseits die Beratungsqualität auf ein einheitliches Niveau angehoben und andererseits ein rasches Wirksamwerden geschäftspolitischer und produktspezifischer Änderungen ermöglicht werden.

Als ersten Schritt realisierte die Wiener Sparkasse ein Expertensystem zur Vorsorge und Anlageberatung. Darin sind die wesentlichen Anlage- und Veranlagungsprodukte des Hauses, wie Versicherungssparen, Wertpapiere und die Sparprodukte in Form von Wissensbausteinen, enthalten. Das System bietet dem Berater die Möglichkeit, gezielt Informationen über die einzelnen Produkte abzurufen, Modellrechnungen durchzuführen sowie komplexe Anspar- und Entnahmepläne (Rentenpläne) nach individuellen Vorgaben zu entwickeln und dem Kunden in Form eines ausgedruckten Angebotes zu überreichen, und zwar im Zuge eines Beratungsgespräches. Dabei werden die Bedürfnisse des Kunden, die aufgrund der Kundensituation mögliche Steuerersparnis und die dazu passenden Produkte mit der jeweiligen Laufzeit berücksichtigt. Die Pläne können während des Beratungsgespräches beliebig oft modifiziert und durchgerechnet werden, bis die Ergebnisse den detaillierten Vorstellungen eines Kunden exakter entsprechen.

Die Anwendungsentwicklung wurde mit der Expertensystemsprache OPS5 begonnen, aufgrund der dabei auftretenden Integrationsprobleme in das bestehende, spezifische Online-System jedoch letzten Endes mit der Endbenutzersprache AS von IBM realisiert. Durch den Interpretermode und die Programmiersprache von AS konnten die Vorteile der Expertensystementwicklung gegenüber konventioneller Programmierung gewährleistet werden, wie zum Beispiel interaktive Wissensdefinition, einfache Systemänderungen und Ergänzungen, "rapid prototyping" und schrittweise Entwicklung gebrauchsfertiger Anwendungsteile. Eine zu jedem Ergebnis abrufbare Erklärung wurde ebenfalls eingebaut.

Für die Bilanzbeurteilung wird aus den Daten der Bilanzanalyse eine schriftliche Beurteilung der jeweiligen Unternehmenssituation erstellt. Dazu wurde das Wissen der Bilanzprüfungsexperten über Bilanzinterpretationen umfassend definiert. Ausgangspunkt für die Anwendung ist die im Rahmen der Bilanzanalyseprogramme der Zentralsparkasse erstellte komprimierte Gegenüberstellung der Gewinn- und Verlustrechnung, der Bilanz und der daraus errechneten Kennzahlen mehrerer Jahre.

Diese nur für den Experten verständlichen Zahlen interpretiert das Expertensystem und erstellt daraus einen schriftlichen Befund. Die ausgegebenen Texte werden vom Expertensystem aus Textbausteinen und einem Vorrat aus Bindewörtern zusammengesetzt. Dieses Expertensystem ist derzeit als Prototyp in der Expertensystemsprache Prolog realisiert und wird vorerst in der Fachabteilung in Probebetrieb gehen. Mit dem Expertensystem zur Operatingunterstützung im Rechenzentrum schließlich verfolgt das österreichische Geldinstitut das Ziel, die hohe Verfügbarkeit der Online-Anwendungen trotz steigender Komplexität der Systeme unter anderem durch rasches und fehlerfreies Reagieren des Operators auf Problemsituationen zu halten beziehungsweise zu verbessern.

Situationen in Wissensbasis aufgenommen

Für die Erstellung eines Prototyps wählte man vorerst den Bereich des IMS-Operating. Mit Hilfe des in das Expertensystem eingebrachten Operatorwissens werden die mit den Konsolmeldungen aufgezeigten Situationen beurteilt und entsprechende Maßnahmen veranlaßt. Dabei werden die dem System noch unbekannten Situationen mit den dazu vom Operator durchgeführten Maßnahmen laufend in die Wissensbasis aufgenommen und die Daten des vorliegenden Programmfehlers in das Expertensystem eingegeben. Aus den dazu signifikaten Daten der Wissensbasis wird eine problembezogene Situationsbeschreibung erstellt und ein Maßnahmenkatalog für eine Problemlösung ausgegeben. Für die Entwicklung dieser Anwendung diente die Expertensystem-Shell ESE (Expert System Environment) von IBM.