Es fehlt an Jahr-2000-fähiger Behördensoftware

Kommunen kooperieren bei Euro und Datum 2000

30.01.1998

Die Städte Essen, Dortmund, Leverkusen und Oberhausen sowie das Kommunale Gebietsrechenzentrum Wiesbaden wollen gemeinsam Softwareprogramme auf Basis des SAP-Pakets R/3 entwickeln, die all jene Bereiche abdecken sollen, die ihr Lieferant nicht im Portfolio hat. Zwar arbeiten die Walldorfer an einer kameralistischen Lösung für die Behörden, zu der vor allem Finanzwesen und Haushaltsplanung gehören. SAP-Anwendungen für hoheitliche Aufgaben sind jedoch nicht geplant (siehe Kasten SAP und Baan auf Seite 14). Darunter fallen die wichtigen Einnahmequellen der Kommunen wie das Erheben von Steuern und Gebühren, das Einwohnermeldewesen, aber auch soziale Dienstleistungen, die Kfz-Zulassung und Führerscheinverwaltung. Die dafür eingesetzten Anwendungen, die nicht selten aus den 60er Jahren stammen, müssen bis zum Jahr 2000 auf vierstellige Jahreszahlen umgestellt werden. Der Schritt lag nahe, die alten Programme abzuschaffen und statt dessen das eben erworbene R/3 um die entsprechenden Funktionen zu erweitern.

Die Kommunen stehen aber angesichts nahezu leerer Kassen nicht nur vor dem Problem, das Euro- und Jahr-2000-Problem zu lösen. Von ihnen wird zudem erwartet, daß sie ihre Altanwendungen effektiv und bürgernah modernisieren. Für sich allein sieht sich kaum eine Kommune dazu in der Lage - zumal die beteiligten Städte gerade erst viel Geld für die R/3-Einführung ausgegeben haben. Durch eine Entwicklungsallianz wollen die genannten Kommunen daher teure Doppelentwicklungen vermeiden und die oft sehr ähnlichen Individuallösungen durch ein integriertes Gesamtpaket ersetzen. Auf diese Weise sollen nicht nur Mehrfachentwicklungen vermieden, sondern generell eine bessere Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung erreicht werden. Um die örtlichen Besonderheiten berücksichtigen zu können, ist eine durch Parametrisierung anpaßbare Standardsoftware in Arbeit.

Die Behörden sehen es als ineffektiv an, daß die gesetzlich bundesweit einheitlichen Regelungen etwa für die Ausstellung eines Personalausweises DV-technisch unterschiedlich umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang liegt es auch nahe, die kommunale Software-Entwicklung nicht nur unter technischen, sondern auch unter organisatorischen Aspekten zu reformieren.

Um der Gefahr zu entgehen, daß endlose Arbeitskreisdebatten eine rechtzeitige Umstellung auf moderne Software verhindern, wird das Projekt von einem privatwirtschaftlichem Dienstleister, der ivl GmbH aus Leverkusen, koordiniert. Für besonders wichtig hält Werner Stich, Geschäftsführer des Kommunalen Gebietsrechenzentrums Wiesbaden, aber das technische Know-how und die methodische Erfahrung des Dienstleisters.

Das Fachkonzept für die Entwicklung neu zu erstellen hätte die Einhaltung des durch den Kalender fest vorgegebenen Schlußtermins gefährdet. Das Vorgehensmodell des Dienstleisters sieht vor, das Projekt in Bauelemente zu zerlegen, von denen jedes sämtliche Projektphasen (Konzeption, Design, Prototyping, Realisierung und Test) durchläuft. Die Anwendung wächst, indem nach und nach die fertigen Module integriert werden. Entwickelt wird von einem ivl-Partner in Indien.

Erste von den Kommunen angestrebte Funktionen wie das Führerscheinwesen liegen beim Dienstleister bereits in Form von Softwarebausteinen vor. Komponenten für Fahrzeugzulassung sowie Steuern und Abgaben sollen bis Ende des Jahres folgen. Der Grundpreis (bis 100000 Einwohner) für die Module liegt zum Beispiel bei 70000 Mark für das Führerscheinwesen oder 140000 Mark im Falle der Gewerbesteuer-Funktion. Für die gemeinsam entwickelten Anwendungen erhalten die Kommunen Rabatte in nicht genannter Höhe, weil sie ihre Fachleute für die Erarbeitung des Konzepts zur Verfügung gestellt und damit dem Dienstleister zu einer neuen Jahr-2000-fähigen Produktgeneration verholfen haben.