Kommerzielles Umfeld hat Vorrang Mit starkem Wendemanoever will IBM Unix-Konkurrenz ueberholen

16.07.1993

MUENCHEN (CW) - Nachdem die IBM den Trend Richtung Unix fast schon verschlafen hatte, startet sie nun offensichtlich zu einer Aufholjagd durch. Innerhalb der kommenden zwei Jahre will Big Blue sich als weltweit fuehrender Unix-Anbieter etabliert haben.

In diesem Sinne aeusserte sich jetzt Brian McBride, Marketing Director fuer AIX-Produkte der IBM Europe. Zur Realisation des hochgesteckten Zieles konzentrieren sich die blauen Ingenieure vor allem auf die Weiterentwicklung der RISC-Technologie.

Im Vordergrund stehen hierbei sowohl RS/6000-Systeme auf Basis der zweiten "Rios"-Chip-Generation, als auch die gemeinsam mit Motorola entwickelte Power-PC-Chip-Linie. Erste Systeme der in 0,6-Submikron ausgelegten Rios-2-Architektur sollen im vierten Quartal 1993 auf den Markt kommen.

McBride strich besonders die "hyperskalaren" Faehigkeiten des Rios-Bausteins hervor: Die Moeglichkeit, in einem Taktzyklus mehrere Befehle und Operationen abzuarbeiten, wird allgemein als Superskalaritaet bezeichnet. Der Rios-2-Chip hebe sich hier mit seinen sechs Instruktionen sowie acht Operationen besonders hervor, meinte der IBM-Manager, weswegen er den Begriff von der Hypermskalaritaet praegte.

Die Rios-CPU soll uebrigens nicht nur in Einprozessor-Systemen eingesetzt werden, sondern auch in Parallelprocessing-Maschinen zum Einsatz kommen. Solche Rechner, so McBride, wird die IBM naechstes Jahr praesentieren, gemeinsam mit Einstiegsvarianten von Systemen, die symmetrisches Multiprocessing offerieren. Auch Cluster-Konfigurationen werde es von der IBM geben.

Kommendes Jahr zu dieser Zeit wird die IBM der zweitgroesste Unix- Anbieter weltweit sein, gab McBride die Erwartungshaltung der IBM wieder. Nach Untersuchungen der Abteilung European Computer Systems Group des Marktforschungsinstituts Dataquest aus Denham, England, ist Big Blue umsatzbezogen weltweit 1992 bereits die dritte Kraft im Unix-Segment.

Von den insgesamt erzielten 18,9 Milliarden US-Dollar Umsatz mit Unix-Verkaeufen zwackte sich der blaue Riese 9,7 Prozent ab. Groesser sind nach Aussagen von Dataquest-Analystin Jane Doorly lediglich die Umsatzanteile von Sun mit 14,9 Prozent und von Hewlett-Pakkard (HP), das mit 15,2 Prozent die Spitzenposition unter den Unix- Anbietern einnimmt.

Doorly schraenkt IBMs rosige Perspektive allerdings insofern ein, als sie darauf hinweist, dass Big Blue den Loewenanteil seiner Unix- Umsaetze aus der existierenden Kundenbasis zieht: "IBM ist im Unix- Umfeld nicht wegen technologischer Fuehrungsqualitaeten so stark, sondern aufgrund der installierten IBM-Basis, die sich freut, dass Big Blue sich endlich auf Unix einschwoert."

Allerdings birgt dieses Argument auch einen positiven Aspekt: Da die IBM traditionell sehr stark im kommerziellen Umfeld vertreten ist, liegt sie mit ihrer Kundenpalette fuer das Unix-Angebot genau richtig. McBride bestaetigt denn auch, dass Big Blues Durchdringung der Unix-Arena vor allem bei kommerziellen Anwendungen stattfindet. Nach seinen Aussagen betraegt der Anteil von Unix am Geschaeft in kommerziellen Umfeldern - im Vergleich

zu technisch-wissenschaftlichen Aufgabenfeldern - mittlerweile 55 Prozent. In Europa neige dieses Verhaeltnis mit 60 : 40 sogar noch eindeutiger zu kommerziellen Applikationen hin.

Wie McBride ausserdem darlegte, wird die IBM ihre RISC-Aktivitaeten auch auf Laptop- und Notebook-Systeme ausdehnen. In den mobilen Systemen wird die energiesparende Variante "Power-PC-603" genutzt.