Standardisierte Massenprodukte bringen selten Erfolg (Teil 2)

Kollektives Unternehmertum - die Strategie der Zukunft

13.10.1989

Robert B. Reich, Professor an der John F. Kennedy School der Harvard University, beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Unternehmensstrategien und Organisationsstrukturen in der Wirtschaft. Der zweiteilige Artikel, der in dieser und in der nächsten Ausgabe der COMPUTERWOCHE erscheint, beruht auf einem Referat von Reich vor dem Seybold Executive Forum in Boston sowie auf ergänzendem Material aus seinem neuen Buch "Tales of a New America". Die Übersetzung und Bearbeitung des Textes übernahm Felix Weber.

Solange in einer Volkswirtschaft alles nach dem herkömmlichen Schema abläuft, bei dem wenige Unternehmer sich ganze Heerscharen von Arbeitern auf Zeit halten, stellen sich eigentlich nur zwei Fragen:

- Wie gut sollen die Unternehmer für ihr Risiko und ihre Tätigkeit entschädigt werden?

- Wie kann man die Arbeitskräfte kontinuierlich beschäftigen und wie hält man sie bei der Stange?

Je nach wirtschaftlichem, politischem und moralischem Standpunkt sind die Ansichten verschieden; endgültige Antworten gibt es nicht.

Wenn aber die Zukunft dem (im ersten Teil beschriebenen) kollektiven Unternehmertum gehören sollte, bei dem die Unterschiede in Status und Tätigkeit der Beteiligten viel geringer sind als in herkömmlichen Betrieben, so sind diese beiden Fragen nicht mehr so wichtig.

Alle Beteiligten müssen investieren

Kollektives Unternehmertum verlangt gemeinsames Engagement oder, nüchterner ausgedrückt, gemeinsames Investment. Die Besitzer einer Firma investieren in die Mitarbeiter, indem sie diese ausbilden und ihnen zu Erfahrungen mit netten Technologien verhelfen.

Die Angestellten investieren in sich selber, indem sie gegenseitig Ideen und Einsichten austauschen. Sie investieren aber auch in das Unternehmen, wenn sie mit ihren Lohnforderungen maßvoll sind. Die Zulieferanten wiederum investieren, indem sie sich auf ihre Kunden einstellen und diesen beispielsweise maßgeschneiderte Komponenten liefern. Auch die Gläubiger engagieren sich: Sie stellen dem Unternehmer Geld zur Verfügung und lassen ihm mehr oder weniger freie Hand, wie er die Kredite einsetzen will.

Diese Art von Investment unterscheidet sich von der herkömmlichen dadurch, daß sie in erster Linie auf Vertrauen basiert. Alle Beteiligten hoffen, daß ihr Beitrag gut eingesetzt wird und zum Gelingen des Ganzen beiträgt.

Die mit jedem Geschäft verbundenen Unsicherheiten und Veränderungen machen es aber unmöglich, alle Absichten und Zielvorstellungen voll im voraus zu spezifizieren und rechtlich zu regeln. Dies ist ein Charakteristikum des kollektiven Unternehmertums - und zugleich seine Achillesferse: In einer Welt wie der unseren, in der hervorragende Einzelleistungen einen so hohen Stellenwert haben, ist das Vertrauen auf andere Personen ein fragiler Wert.

Die Angst vor dem Mißbrauch des Vertrauens ist denn auch ein Hauptgrund, warum es so schwierig ist, von der Strategie standardisierter Maßenprodukte wegzukommen. In einem System, wo Güter in Massen hergestellt werden, geht man dieses Risiko nicht ein: Die meisten Verantwortlichkeiten kann man im voraus vertraglich festlegen.

Die Tätigkeit der Arbeitnehmer besteht aus repetitiven Schritten, die man auf standardisierte Prozeduren reduzieren kann. Die Lieferanten brauchen sich nicht extra zu bemühen - sie schicken Bauteile und Materialien von der Stange. Für die Geldgeber ist es nicht schwer zu sehen, wozu ihre Dollars gebraucht werden. Sogar die Aktionäre können Risiko und Gewinnchancen einigermaßen abschätzen. Die Konsumenten schließlich erleben - in der Regel - auch keine großen Überraschungen.

Eine solche standardisierte Geschäftswelt basiert nicht primär auf Vertrauen, sondern auf harten Facts. Die Firmen, die Angestellten und die Investoren suchen einfach, bis sie auf dem entsprechenden Markt (Stellenmarkt, Bauteilemarkt, Kreditmarkt, Aktienmarkt etc.) ein günstiges Angebot finden; dann greifen sie zu und schließen vielleicht zur Sicherheit noch einen Vertrag ab, der genau festlegt, wer was tun muß.

Wenn die Produkte mehr oder weniger standardisiert sind, ist man dabei auch sehr flexibel. Arbeitnehmer zum Beispiel können ihre Firma verlassen und anderswo einen ähnlich gelagerten Job finden. Lieferanten hängen nicht von einem einzigen Kunden ab, sondern versorgen auch andere, mit den gleichen Bauteilen.

Den Konsumenten steht es frei, ein Konkurenzprodukt auszuprobieren: die Aktionäre können ihr Geld auch anderswo investieren; sogar das Management einer Firma ist austauschbar. Das ganze Unternehmen und sein Umfeld ist wie eine Maschine, bei der man die Teile fast beliebig ersetzen kann.

Die Stabilität solch herkömmlichen Unternehmertums bricht mir dann zusammen, wenn wieder mal eine neue "große Idee" auftaucht und alles vorhergehende über den Haufen wirft. Die Erfindung der elektrischen Lampe war eine solche Zäsur: Für alle, die im Geschäft mit den Kerosinlampen engagiert waren, war das ein riesiger Schock. Es gab Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit, bis sich die Situation mit dem Durchbruch und der Vermarktung der Elektrolampen wieder stabilisierte. Dann war es Zeit, Verträge aufzusetzen, die der neuen Situation Rechnung trugen.

Alle hängen von allen andern ab

Die Entwicklung einer Firma, die sich dem kollektiven Unternehmertum verschrieben hat, ist nicht exakt vorhersagbar - einfach deshalb, weil sie nicht nach einem starren vergangenheitsorientierten Schema organisiert ist. Die Verantwortlichkeiten der Beteiligten können auch nicht lange im voraus festgelegt werden, weil niemand genau weiß, wohin sich der Markt bewegt und welche Anstrengungen nötig sein werden, um eine stetige Fortentwicklung zu erzielen.

Die Strategie des kollektiven Unternehmertums beruht auf zwei Punkten: der stillschweigenden, aber schwer durchsetzbaren Abmachung, daß sich die Anstrengungen aller Beteiligten über längere Zeit die Waage halten, und auf der Überzeugung, daß das gemeinsame Unternehmen jedem Beteiligten mehr bringt, als wenn er als Einzelkämpfer in den Ring stiege. Mit andern Worten: Alle hängen von allen andern ab.

Löhne in guten und schlechten Zeiten

Stillschweigende Abmachungen und ein gewisses Maß an Vertrauen gibt es natürlich auch in den traditionellen Unternehmungen. Ein Beispiel dafür ist die Beibehaltung des Lohnniveaus in Zeiten, wo der Geschäftsgang es gar nicht mehr erlauben würde.

Man mag nun einwenden, die Löhne reflektierten den Geschäftserfolg sowieso nur schlecht, sonst müßte man die Saläre alle paar Monate wieder neu festlegen; außerdem wäre es auch zu teuer, bei jedem Anziehen der Konjunktur das Personal aufzustocken und auszubilden. Hinter dem Entgegenkommen, (kurzfristige) finanzielle Durststrecken zu überbrücken, steckt natürlich die Hoffnung, daß die Mitarbeiter in späteren Boornzeiten auch loyal bleiben und nicht gleich zur Konkurrenz wechseln werden.

Auch beim Verkauf spielen häufig solche mittelfristigen Überlegungen mit: Wenn das Angebot knapp ist, erhöhen die Anbieter die Preise nicht sofort. Sie hoffen, daß die Kunden dem Unternehmen auch dann treu bleiben, wenn die Konkurrenz ausnahmsweise einmal billiger ist.

Solche stillschweigenden Vereinbarungen erklären, weshalb sich die Preise und Lohne nicht im Gleichtakt mit der Konjunktur bewegen. Wichtig dabei ist die Erkenntnis, daß die Loyalität im Geschäftsleben offenbar einen eigenen ökonomischen Wert hat. Selbst knallhart rechnende Firmen wagen es häufig nicht, mit kurzfristig erzielbaren Zusatzprofiten den guten Willen ihrer Kunden aufs Spiel zu setzen. Für Firmen, die sich dem kollektiven Unternehmertum verpflichtet fühlen, spielt der Begriff der Loyalität noch eine größere Rolle.

Kein Schutz für Investition in Ausbildung

Natürlich ist Vertrauen allein ein ziemlich schwaches Organisationsmittel für die Geschäftswelt. Selbst wenn jeder Partner davon profitiert, ist es doch gut möglich, daß einer überproportionale Vorteile herausholen und so das Gelingen des Ganzen aufs Spiel setzen kann.

Das folgende Beispiel zeigt, wo das Problem liegt. Ein Firmenchef, der auf die Loyalität seiner Mitarbeiter zählt, beschließt, in ihre Produktionsausbildung zu investieren. Statt Bauteile einfach wie bisher fix und fertig in Japan zu kaufen, will er sie in Zukunft in der eigenen Firma herstellen.

Weil man dabei erst Erfahrungen sammeln muß, ist die interne Beschaffung teurer - sie kostet die Firma rund 1000 Dollar pro Arbeitnehmer. Aber diese 1000 Dollar investiert der Chef gerne, denn die Firma gewinnt dadurch Know-how, das ihr später zugute kommen wird. Das läßt sich sogar in Zahlen ausdrücken: Langfristig, so schätzt unser Manager, bringt ihm die 1000-DoIlar-Investition Einnahmen von 1500 Dollar pro Mitarbeiter - also schreitet er zur Tat.

Ein Jahr später stellt er erfreut fest, daß seine Rechnung aufgegangen ist: Das neu gewonnene Know-how befähigt seine Arbeiter, nicht nur die Bauteile selber herzustellen, sondern auch andere Aufgaben besser zu lösen.

Ende gut - alles gut? Leider nein! Die Mitarbeiter haben im Verlaufe des Jahres auch gemerkt, daß sie jetzt mehr wert sind - etwa 1500 Dollar mehr. Beim nächsten Lohngespräch setzen sie deshalb den Firmenchef unter Druck: "Entweder wir kriegen eine Saläraufbesserung von 1450 Dollar, oder wir gehen zur Konkurrenz; die wäre bereit, sogar 1550 Dollar mehr zu zahlen."

Der Manager, eben noch stolz auf seinen klugen Schachzug, sieht seine Felle davonschwimmen und erklärt sich widerwillig bereit, die Lohnkonzession zu machen, obschon damit der ganze Gewinn seines Investments dahin ist. In Zukunft, so sein grimmiger Entschluß, wird er neue Komponenten wieder in Japan kaufen.

Leider können Investitionen in Ausbildung und Know-how nicht geschätzt werden, wie Investments in Immoblien oder in den Maschinenpark. Was in den Köpfen der Leute ist, kann man eben nicht anbinden. Man kann auch niemanden zwingen, bei einer bestimmten Firma zu bleiben.

Auch Patente bieten da keinen Schutz, weil sich das Lernen im Gegensatz zu den "großen Ideen" nicht auf ein paar technische Spezifikationen reduzieren läßt, sondern zu verbessertem Wahrnehmungsvermögen und schärferer Beurteilungskraft führt - Qualitäten, die nicht meßbar, aber bei der Mitarbeit an Entwicklungsprojekten sehr wichtig sind.

Das geschilderte Problem ist ein Hauptgrund, weshalb viele westliche Industriefirmen sich mit japanischen Bauteilelieferanten zusammentun: Das Aufkaufen fertiger Produkte ist eben billiger als die Ausbildung eigener Leute - vor allem, wenn man damit rechnen muß, daß diese nach genossener Ausbildung flugs zur Konkurrenz abwandern. In Japan ist das anders, weil dort die Ingenieure traditionellerweise ihrer Firma treubleiben.

Verpaßte Chancen ...

Als der Computerhersteller Sperry 1985 ankündigte, er wolle Kleincomputer nicht mehr wie bisher selber herstellen, sondern von Hitachi einkaufen und unter eigenem Namen verkaufen, waren das für die Finanzanalysten gute Nachrichten.

Sie errechneten, daß Sperry zig Millionen Dollar sparen würde, die das Unternehmen sonst für die Entwicklung der nächsten Kleincomputer-Generation ausgeben müßte - ohne sicher zu sein, je wieder davon profitieren zu können. Die Kritik einiger weniger, das sei eine allzu kurzfristige Denkweise, verhallte ungehört.

Was den Gewinn für Sperry betraf, ging die Sache tatsächlich auf. Für die amerikanische Wirtschaft als Ganzes hingegen war der Entscheid allerdings weniger weise: Sie hätte langfristig viel mehr profitiert, wenn Wissenschaftler, Techniker und Produktionsarbeiter mit der Entwicklung einer nächsten Computergeneration Erfahrungen gewonnen hätten.

. . . und Plünderung von Know-how

In der Industriegeschichte der achtziger Jahre findet man eine ganze Reihe von Beispielen, die zeigen, wie Unternehmen gutgemeinte Investments anderer schamlos ausnutzten. Als die Firma Guardian Industries ins Glasfasergeschäft einsteigen wollte, lockte sie ganz einfach sechs in dieser Technologie erfahrene Leute von der Manville Corporation weg.

Manville hatte in sieben Jahren neun Millionen Dollar investiert, um diese Spezialisten auszubilden; nun waren sie praktisch über Nacht bei der Konkurrenz. Dank dieses rücksichtslosen Überraschungscoups war Guardian in nur 18 Monaten voll im Geschäft. Je häufiger solche Know-how-Plünderungen vorkommen, desto weniger sind die Unternehmen bereit, viel Geld in die Ausbildung ihrer Leute zu stecken.

Zwar haben einige Firmen versucht, ehemalige Angestellte zu verklagen, die ihr Wissen anderswo versilberten. Der Erfolg solcher Sanktionen war aber in den meisten Fällen mäßig.

Im Silicon Valley, dein Innovations-Eldorado, waren Diskussionen und Streitereien über den Wissenstransfer eine Zeitlang gang und gäbe. Das ist weiter nicht verwunderlich - schließlich ist das Know-how dort das wertvollste Kapital vieler Firmen.

Wenn dieses eines Tages einfach weg ist, weil Schlüsselfiguren das Unternehmen verlassen, so fühlen sich die Investoren düpiert: Ihr Entscheid, sich für diese Firma zu engagieren, basierte ja auf einer Situation, die sich vor dem Wechsel völlig anders präsentiert hatte. Das Paradebeispiel dafür ist der Abgang Steve Jobs von seiner eigenen Firma Apple Computer. Die vom Verwaltungsrat erzwungene Trennung war nicht nur für Jobs ein Schock, sondern auch für zahlreiche Aktionäre.

Um 1985 waren Personalwechsel im "Valley" praktisch an der Tagesordnung: Sehr viele begabte Ingenieure verließen ihre Firmen, um sich selbständig zu machen, wobei sie all das Wissen mitnahmen, das sie vorher im Laufe der Jahre gewonnen hatten.

Wer in ihre Ausbildung oder auch in das Unternehmen als Ganzes investiert hatte, konnte nicht mehr damit rechnen, die Früchte später ernten zu können. Kein Wunder also, daß potentielle Geldgeber immer vorsichtiger wurden. Die Boom-Zeiten im Silicon Valley gingen langsam, aber sicher zu Ende.

Das Risiko, ausgenutzt zu werden, droht aber nicht nur den Investoren, sondern auch - und vor allem - den Mitarbeitern. Man stelle sich ein einst blühendes Unternehmen vor, dessen Produkte langsam nicht mehr gefragt sind. Das Management sucht verzweifelt nach Auswegen - und sieht tatsächlich einen Silberstreif am Horizont: Wenn nicht alles täuscht, sollten sich mit einer UmstelIung der Produktion die Probleme lösen lassen.

Der Firmenboß schreitet zur Tat. Als erstes wendet er sich an seine Mitarbeiter, an die Zulieferer, an die Steuerbehörden, erzählt ihnen von der Durststrecke, die man gemeinsam überwinden müsse, bevor das Unternehmen wieder in alter Stärke aufblühe und alle am Erfolg teilhaben könnten.

Seine Bitte um Vertrauen und einstweilige Nachsicht hat Erfolg: Die Arbeiter verzichten auf Lohnerhöhungen, die Lieferanten sind zu weitgehenden Konzessionen bereit, die Steuerbehörden handeln einen großzügigen Spezialtarif aus. Und siehe da: Das Unternehmen gesunder tatsächlich; zwei Jahre später geht es wieder glänzend.

Doch in der Zwischenzeit hat sich noch etwas anderes getan: Ein größeres Unternehmen hat begonnen, systematisch Aktien der genesenden Firma aufzukaufen. Eines Tages wird sie geschluckt; die Aktionäre freuen sich über den happigen Kursgewinn.

Finanziert wird die ganze Transaktion auf Pump: Die Zinsen für den Kredit zahlt man mit dem seit kurzem wieder erzielbaren Betriebsgewinn; als Sicherheit nimmt man das Firmenvermögen, das größtenteils aus Immobilien besteht.

Nun ist aber plötzlich alles anders: Der Firmenboss, der die Restrukturierung eingeleitet und erfolgreich zu Ende gebracht hat, tritt zurück. Die neuen Investoren übernehmen die Steuer und scheren sich einen Deut um die Versprechungen, die der alte Herr zwei Jahre vorher gemacht hat: Die Arbeitnehmer sollen zum gleichen Lohn weiterarbeiten oder die Firma verlassen; der Zulieferer muß günstiger werden, sonst geht der Auftrag an die Konkurrenz.

Die Erschütterungen erreichen sogar den Finanzmarkt: Durch die hohe Verschuldung ist die Kreditwürdigkeit des Unternehmens gesunken, was sich negativ auswirkt auf den Kurs der Obligationen, die das Unternehmen vor ein paar Jahren ausgegeben hat.

Gewonnen haben nur die neuen lnvestoren

Niemand, der in der Krise um Milde angegangen wurde, hat jetzt etwas davon - im Gegenteil: Er hat vergeblich auf eine Kompensation der gemeinsamen Opfer gehofft.

Statt vertrauensvoll mitzuarbeiten und im Hinblick auf bessere Zeiten in den sauren Apfel zu beißen, wäre es für die meisten gescheiter gewesen, sie hätten während der Krise einen Strich unter die Affäre gezogen. Gewonnen haben nur die neuen Investoren - sie profitieren voll von den Konzessionen, die andere zwei Jahre lang gemacht haben.

Ein Schulbeispiel für mißbrauchtes Vertrauen liefert die Geschichte des US-Autoherstellers Chrysler. Als es dem Unternehmen Ende der siebziger Jahre schlecht ging, verlangte - und bekam - es während der Krisenjahre Konzessionen von den Angestellten, den Zulieferern, den Kreditgebern und dem Staat. Jedermann machte mit aus Angst, daß Chrysler sonst untergehen würde.

Als das Schlimmste ausgestanden war und es dem Unternehmen wieder merklich besser ging, zeigte es sich nicht wie erwartet von der dankbaren Seite, sondern legte noch mehr Fabriken still und entließ noch mehr Arbeiter. Ein Teil der Chrysler-Wagen wurde jetzt sogar in Japan produziert. Von der gewaltigen Umstrukturierung profitierten eigentlich nur die smarten Manager, die fleißig einen Bonus nach dem anderen einheimsten, und die lnvestoren, die sich über die steil ansteigenden Aktienkurse freuten.

Jene Arbeiter, die den Ausnahmezustand überlebten, wurden mit minimalen Lohnerhöhungen abgespeist. Von ihnen muß man solche Opfer sicher kein zweites Mal verlangen.

Wenn Manager die eigene Firma plündern

Aber auch die Aktionäre sind nicht immun gegen Ausbeutung. Ihnen können die Firmenkapitäne einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen. Die Erosion gutgläubigen Vertrauens manifestiert sich zum Beispiel in der Konstruktion des "Goldenen Fallschirms" (Golden Parachute), die während der Übernahmewelle in den frühen achtziger Jahren in Mode kam.

Sie besteht in einer überaus großzügigen Ablösungszahlung, die in der Regel ein Mehrfaches des Jahressalärs plus einen zusätzlichen Bonus beträgt. Der goldene Fallschirm öffnet sich automatisch, wenn die Firma von einer andern geschluckt wird.

Top-Manager begründen die Notwendigkeit einer solchen Absicherung damit, daß sie sonst Übernahmeangebote fremder Firmen nicht neutral beurteilen könnten: Ohne die Sicherheit des Fallschirms würden sie jeden Übernahmeversuch vehement bekämpfen, auch wenn dieser im besten Interesse des Unternehmens und seiner Aktionäre sei.

Mit fremdem Geld Besitz erwerben

Das ist allerdings eine äußerst seltsame Logik: Die Firma soll also dafür, daß die Top-Manager ihr ohnehin komfortables Nest - auf Kosten der Aktionäre - nicht noch mehr ausstaffieren, diesen schon von Anfang an ein optimal ausstaffiertes Nest liefern - natürlich ebenfalls auf Kosten der Aktionäre!

Mitte der achtziger Jahre kam die Technik des "Leveraged Buyout" in Mode. Das Rezept ist ganz einfach: Manager borgen sich Geld von einer Bank oder am Kreditmarkt, um die Aktien ihrer eigenen Firma aufzukaufen. Gedeckt werden diese Kredite nicht etwa durch das Vermögen der Manager, sondern durch das Firmenvermögen, das meist in Form von Immobilien blockiert ist.

Nach diesem simplen Schachzug gehört die Firma den Managern - sie ist von den Aktionären in Privatbesitz übergegangen. Nun kann man argumentieren, das sei gar nicht so schlecht: Wenn die Manager sich so engagierten für das Unternehmen, würden sie sicher besser wirtschaften, unternehmerischer denken, härter und besser arbeiten, weil das Wohlergehen der Firma ja in ihrem ureigensten lnteresse liegen müsse.

Vom Standpunkt der Aktionäre aus gesehen ist eine solche Argumentation völlig abstrus: Wenn das "going private" einer Firma den Geschäftsgang so stark verbessern würde, so war er in der Vergangenheit alles andere als optimal, denn fundamental hat sich durch den Verkauf ja nichts verändert.

Viel eher muß man annehmen, daß die Manager trotz hoher Saläre nicht genügend motiviert waren, daß sie tatenlos in ihren Büros herumhockten und davon träumten, wie doch alles viel besser und schöner wäre, wenn der Laden ihnen selber gehörte. Oder vielleicht hatten sie irgendeine Superidee, die sie erst realisieren wollten, wenn sie selber den vollen Profit einheimsen konnten. Im Prinzip braucht sich die Firma nicht einmal besser - oder überhaupt nicht - zu rentieren, damit diese Rechnung aufgeht. Meist sind allein die Immobilien des Unternehmens mehr wert als die gesamte Aktienkapitalisierung - ein saftiger Profit ist damit dem neuen Besitzer so gut wie sicher.

Wenn nun die Manager selber als potentielle Käufer auftreten, wird es doppelt absurd: Ausgerechnet sie sollen die bisherigen Besitzer neutral beraten, ob und zu welchem Preis diese verkaufen sollen oder nicht! Es wäre ja gelacht, wenn die kaufgierigen Manager nicht versuchen würden, ihren Informationsvorsprung - schließlich kennt niemand den Laden so gut wie sie - in klingende Münze umzuwandeln. Die Aktionäre tun jedenfalls gut daran, das Angebot kritisch zu prüfen, und das heißt wohl in den meisten Fällen, sich gegen den Aufkauf zu wehren.

Systematischer Verlust von Vertrauen

Wer knallhart rechnet, wird zum Ergebnis kommen, daß sich Vertrauensbrüche in der Geschäftswelt öfter mal lohnen. Auf der negativen Seite verbuchen muß er sicher den schlechten Ruf, den er sich durch das Nichteinhalten von Abmachungen einhandelt. Wer Vertrauen mißbraucht, wird es in Zukunft schwerer haben, neues Vertrauen zu gewinnen.

Auf der andern Seite steht aber der (meist einmalige) Gewinn, den ihm sein Verhalten einträgt. Dieser kann die negativen Konsequenzen weit übertreffen - vor allem in unserer höchst mobilen, anonymen Gesellschaft. Wer sich schnell genug bewegt, kann seinen schlechten Ruf abschütteln - zumindest für eine gewisse Zeit.

Hohe Fluktuation

In den USA ist das dafür nötige Tempo längst erreicht: 1985 veränderte sich der durchschnittliche Manager alle viereinhalb Jahre, der Firmenschef alle vier Jahre und die Angestellten noch öfter. Die Firmen selber wechselten in zügigem Tempo den oder die Eigentümer, den Namen, den Unternehmenssitz oder alles zusammen.

Bei Firmenübernahmen wird das Management in der Regel innerhalb eines Jahres völlig umgekrempelt. Ein typisches Beispiel: 1983 kaufte Esmark die Norton Simon Inc.; ein Jahr später wurde Esmark von Beatrice Food geschluckt - natürlich mit den entsprechenden personellen Konsequenzen. 1986 wurde Beatrice selber von einer Investorengruppe übernommen, zu der frühere Esmark-Manager gehörte. Ganz klar, daß diese die Firmenleitung nochmals neu bestellten.

Konsequenzen für unfeines Verhalten

All diese Unternehmensspielchen sind nicht nur teuer, sondern volkswirtschaftlich völlig unsinnig, weil sie wertvolle Substanz verbrauchen, während der Produktionsprozeß meist unverändert bleibt.

Wer derartig das Vertrauen bricht, hat trotzdem eine gute Chance, sich den Konsequenzen für sein unfeines Verhalten zumindest teilweise zu entziehen - einerseits, weil alles so schnell geht, anderseits, weil sich der Schaden meist in die Breite verteilt und deshalb schwer erfaßbar ist. Bei Chrysler zum Beispiel trugen Tausende von Angestellten gemeinsam den Schaden, den ihnen einige wenige Manager eingebrockt hatten. Niemand glaubt im Ernst daran, daß diese Manager den ihnen zustehenden Teil der Last übernommen haben.

Im Endeffekt läuft die Sache darauf hinaus, daß das in der Geschäftswelt noch vorhandene Vertrauen rasch erodiert: Arbeiter, die sich vom Management mißbraucht fühlen, werden bei der nächsten Gelegenheit nicht nochmals denselben "Fehler" machen.

Umgekehrt werden Manager, die sich von den Angestellten betrogen fühlen, dieses Mißtrauen neuen Angestellten spüren lassen. Auch die Aktionäre werden sich in Zukunft ihre Firmen genauer anschauen und nicht mehr einfach alles glauben, was in den Hochglanzprospekten steht.

Wie betrogene Liebhaber werden diese Partner in Zukunft viel vorsichtiger sein, bevor sie sich wieder voll engagieren. Und andere, die solche leidigen Erfahrungen noch nicht gemacht haben, lernen durch Beobachtung.

Diese systematische Erosion von Vertrauen schlägt sich in einer ganzen Reihe von Vorsichtsmaßnahmen nieder. Geschäftsbedingungen werden durch immer kompliziertere Vertragswerke abgesichert. Alles wird genau im voraus festgelegt, damit es möglichst keine Überraschungen mehr geben kann. Das schlechte Verhalten einiger weniger reduziert die Flexibilität des ganzen Systems; kollektives Unternehmertum wird schließlich unmöglich.

Wenn Schlitzohrigkeit sich aber einmal eingebürgert hat, gibt es keinen Weg mehr auch nicht über Gesetze und Verträge -, sie aufzuhalten. Sprache ist nie eindeutig genug, um alle Möglichkeiten abzudecken. Schlupflöcher gibt es auch in den detailliertesten Vertragswerken. Ihre Ausnützung führt dazu, daß die Regeln in Zukunft noch viel strenger festgelegt werden.

Jeder neue Vertrag wird noch komplizierter. Das gilt für Abwehrdispositive genauso wie für Lohnverhandlungen und Pensionskassenverträge. Jeder gelungene Versuch, die Bürokratie zu umgehen, bläht sie erst recht auf. Am Schluß verklagen die Angestellten den Manager, die Aktionäre den Direktor, die Gläubiger den Buchhalter und alle zusammen die Haftpflichtversicherer.

Welche Spielchen da laufen, kann man jeden Tag in der Finanzpresse nachlesen. In den USA hat sich die Zahl der Vertragsdispute vor dem Federal Court zwischen 1970 und 1985 auf 35 000 verdreifacht. Für die Zukunft sieht es nicht besser aus, denn wer da nicht selber mitmacht, ist eindeutig im Nachteil.

Das Gefühl, Recht zu haben, mag ja schön sein, aber es hilft in der Praxis nicht viel weiter. Wenn das Geschäftsleben schon zum "Catch-as-Catch-can" verkommt, will man doch lieber Nutznießer als Ausgenutzter sein: Jeder schaut erst mal auf sich.

In diesem Klima des gegenseitigen Mißtrauens werden selbst Informationen, die zum gemeinsamen Vorteil genutzt werden könnten, als strategische Waffe gegeneinander benutzt.

Diese "Jeder-für-sich"-Strategie, so rational sie für die Beteiligten auch erscheinen mag, braucht Zeit, Kraft und verbarrikadiert den Weg zu gemeinsamen Zielen. Sie macht es letztlich einem Unternehmen unmöglich, sich zu entwickeln und neue kommerzielle Gelegenheiten rechtzeitig beim Schopf zu packen. Kurz: Sie reduziert die Kapazität einer Volkswirtschaft langfristig Wohlstand zu schaffen.

Eine Kultur mit opportunistischem Individualismus verdrängt jeden Ansatz zum kollektiven Unternehmertum und führt in ein kollektives Patt.

Ein Beispiel aus dem Alltag zeigt, wie kurzsichtig das ist: Wenn Automobilisten auf eine Kreuzung fahren, obschon sie wegen des Staus gar nicht mehr durchkommen, blockieren sie damit den Querverkehr. Letzteres ist zwar nicht ihre primäre Absicht; sie handeln aber so, weil sie nicht von anderen am Fortkommen gehindert werden wollen.

Mit dieser Strategie kommen sie auch relativ ungeschoren davon, weil das Autofahren genügend anonym ist: Bei solchen Tricks kann man zwar gehässiges Hupen ernten, aber nicht den guten Ruf verlieren. Nach kurzer Zeit wird die Situation auf der Kreuzung allerdings so schlimm, daß der Verkehr völlig zum Erliegen kommt. Mit einem rücksichtsvolleren Verhalten ließe sich die Patt-Situation natürlich vermeiden - aber dazu braucht es eben den guten Willen aller Beteiligten.

Unsere heutige westliche Industriegesellschaft generiert unzählige Möglichkeiten für gemeinsames Vorgehen und gemeinsame Gewinne, aber gleichzeitig leider auch unzählige Möglichkeiten, dies zu torpedieren.

Schlimm ist, daß dieses Wissen und die Angst, benachteiligt zu werden, immer mehr dazu führt, auf Zusammenarbeit zu verzichten - wie auf der Straßenkreuzung. Damit wird aber die Evolution des Systems letztlich verhindert. Dies - und nicht der Kampf zwischen einsamen Unternehmern und ganzen Heerscharen von Arbeitern ist das eigentliche Dilemma, das uns droht.