Können statt Kennen

25.10.1991

So mancher Anbieter in der DV-Trainingsszene erinnert an einen Gastronomen, der bei seinen Gästen irreführende Erwartungen weckt: Das Restaurant ist stilvoll eingerichtet, es herrscht ein niveauvoller Umgangston, und die Preise verheißen lukullische Hochgenüsse. Hier wird - so muß man annehmen - auf Solidität, Qualität und Service größter Wert gelegt.

Doch leider: Zuvorkommende Kellner erklären, daß sich auf der Speisekarte zwar alles finde, was der Gaumen begehre, doch könne man bis auf weiteres nur Vorspeise und Dessert servieren. Gute Lammgerichte gebe es beim Griechen etwa 500 Meter weiter und wer einen hervorragenden Fisch wünsche, müsse leider zum Portugiesen fahren, der drei Kilometer entfernt residiere.

Übertragen auf den Trainingsmarkt heißt das: Es fehlt fast überall an durchgängigen, kompletten und bedarfsgerechten Aus- und Weiterbildungsofferten. Wo man auch hinsieht - ringsum dominieren Schulungskonzepte, die nur auf einzelne Wissens- oder Anwendungssegmente abzielen. Sie weisen damit zwar einen fachspezifischen, aber zugleich auch insularen Zuschnitt auf, der in vielen Fällen als ausgesprochen praxis- und zukunftsfeindlich eingestuft werden muß.

Während die Vor- und Querdenker in allen Bereichen der Informationstechnik - in der Hard- wie in der Software-Welt - vernetzten Architekturen huldigen, interdisziplinäre Ansätze verfolgen und integrierte Lösungen anstreben, tut man im "Brainware"-Markt so, als lebe man noch in den scheinbar heilen, doch leider linear ausgestalteten DV-Landschaften der siebziger Jahre.

Wie kann sich ein derartiger Anachronismus behaupten? Die Antwort ist so einfach wie betrüblich, und sie manifestiert sich überall im betrieblichen Geschehen: Im Hinblick auf Auswahl und Einsatz externer Schulungsleistungen sind mündige Benutzer - ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten beim Erwerb von Hard- und Software - weit eher noch die Ausnahme als die Regel.

Obwohl sich die Anforderungen an informationstechnisches Know-how entsprechend dem branchenweiten Gesamttrend zu übergreifenden und verknüpften Betrachtungs- und Vorgehensweisen gewandelt haben, begnügt sich das Gros der Anwenderfirmen mit der herkömmlichen, also segmentorientierten DV-Aus- und -Weiterbildung.

Bislang vermochten sie gegenüber den kommerziellen wie staatlichen Wissensvermittlern noch nicht jenes bemerkenswerte Selbstbewußtsein zu entwickeln, mit dem sie die Lieferanten von Computern, Zubehör und Programmen schon seit geraumer Zeit zu bedarfskonformen Produkt- und Absatzstrategien veranlassen.

Auf den Punkt gebracht: Im allgemeinen werden Schulungsprogramme von gestern für Problemlösungen von heute und morgen feilgeboten. Und dies, obwohl die kostenmäßigen, innovationsbedingten und wettbewerblichen Sachzwänge in allen Branchen unaufhaltsam zunehmen, wodurch praktisch jeder DV-Anwender auf die optimale Ausschöpfung der Informationstechnik als Erfolgsinstrumentarium angewiesen ist. Davon ist man aber schon deshalb meilenweit entfernt, weil der Aufwand für Wartung und Pflege überalteter Programme durchschnittlich - also quer durch die Wirtschaft gesehen um die 80 Prozent der DV-Manpower beansprucht.

Dieser Mißstand ist letztlich die Ursache dafür, daß man auch in der informationstechnischen Aus- und Fortbildung ob nun in eigener Regie oder mit Hilfe von außen - im Kurieren an Symptomen hängenbleibt.

Im Anwender-Alltag stellt sich das dann so dar: Für die DV-Profis eine Portion DB2 oder CASE, für das Management einen halben Tag computergestützte Unternehmenssteuerung oder PC-Applikation und für die Endbenutzer ein Intensivseminar über AS/400 oder Unix.

In den Chefetagen ist zu hören, ein systematisches Trainingskonzept werde es sicher irgendwann in den nächsten Jahren geben. Aber im Augenblick müsse man - darüber seien sich alle Beteiligten im Unternehmen weitgehend einig - punktuell schulen und da oder dort auch mal improvisieren. Dieser Bedarfssituation, die mehr oder minder auf eine Aus- und Fortbildung in der Form von Feuerwehr-Einsätzen abgestellt ist, entspricht zwangsläufig die Seminar- und Tagungspalette all jener Anbieter, die der Gewinnmaximierung und nicht der Personalentwicklung den Vorrang einräumen.

Mit kurzfristigem Profitdenken und dem Dreh, aus der DV-Not des Anwenders eine Tugend geschäftlicher Art zu machen, ist niemandem geholfen. Auf lange Sicht wird davon auch die Glaubwürdigkeit der Trainingsanbieter in Frage gestellt.

Zweifellos geht es im Schulungsgeschäft auch anders als derzeit noch üblich, und damit wären nicht etwa Einbußen, sondern vor allem neue Chancen für die Akteure in diesem Metier verbunden. Gemeint sind alle Maßnahmen, die den DV-Anwendern das benötigte Know-how in sämtlichen Bereichen so vermitteln, daß der Weg zum "Nutzen durch Nutzung" aufgetan wird.

Wer immer in dieser Richtung vorankommen will, gelangt sehr bald zu einer weiteren Leitlinie, die bedauerlicherweise seit geraumer Zeit mißbräuchlich zitiert und gedankenlos inflationiert wird. Sie lautet "Können statt Kennen" und sollte von jedem verantwortungsbewußten Anbieter in der DV-Aus- und -Weiterbildung als unverzichtbar - weil "praxis- und zukunftskompatibel" eingestuft werden. Die logische Konsequenz aus diesen Gedankengängen: Ein optimaler Effekt der Informationstechnik ist nur erreichbar, wenn wirkliche Könner am Werke sind. So simpel diese Aussage auch klingen mag, so eindeutig entspricht sie den - häufig genug ignorierten - realen Herausforderungen in den Unternehmen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn mit der DV-Aus- und -Weiterbildung nicht nur Kennen, sondern vor allem Können vermittelt werden soll? In erster Linie ist es erforderlich, jegliche theoretische Wissensvermittlung mit praktischer Projektarbeit zu koppeln. Dies gilt sowohl für die Grundausbildung und das Standard-Lehrprogramm als auch für weiterführende und fachspezifische Veranstaltungen. Die Mensch-Maschine-Kommunikation sollte dabei immer so angestrebt werden, daß ein Abgleiten in den zuweilen anzutreffenden Techno-Fetischismus möglichst nicht droht.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß das computergestützte Training zwar viele Vorteile aufweist, aber niemals den Kontakt und den Meinungsaustausch zwischen Trainer und Trainee ersetzen kann. Dies gilt um so mehr, als zahlreiche DV-Lehrstoffe aufgrund ihrer Komplexität eine intensive und auch individuelle Betreuung der Kursteilnehmer erfordern. Eine moderne informationstechnische Aus- und Weiterbildung kommt schließlich auch nicht daran vorbei, ein psychologisch fundiertes Verhaltenstraining einzubeziehen.

So sind zum Beispiel im Rahmen vieler DV-Vorhaben Interviewtechniken, Konfliktbewältigung, positive Kommunikation und Präsentationsmethoden unverzichtbar, wenn man mit möglichst geringen Reibungsverlusten einen maximalen Lernerfolg erzielen will. Tatsache ist: Es gibt keine Projekte ohne Probleme und keine Problemlösungen ohne Profis. Diese sollten von Menschen allerdings genausoviel verstehen wie von Hardware und Software.

Uwe Todte ist Leiter des Aus- und Weiterbildungszentrums der Ploenzke Informatik, Kiedrich im Rheingau.