Ohne motivierte Beschäftigte geht es nicht

Klassische Personalarbeit wieder gefragt

16.02.2001
Flexible Gehaltsmodelle, Mitarbeiterbindung und die strategische Ausrichtung der Personalabteilungen waren die zentralen Themen der siebten "Handelsblatt"-Jahrestagung in Berlin. Die Menschen im Unternehmen rücken wieder in den Mittelpunkt des Interesses, klassische Instrumente der Personalarbeit erleben eine Renaissance. Von CW-Mitarbeiterin Ingrid Weidner

Diskutierten die Experten vor einigen Jahren auf der gleichen Konferenz noch über Lean-Management und Entlassungen, stand in diesem Jahr plötzlich der Mitarbeiter als wertvollstes und knappes Gut eines erfolgreichen Unternehmens im Zentrum des Interesses. Zukunftsweisende Strategien und Techniken können nur hoch qualifizierte und motivierte Beschäftigte entwickeln, davon ist Wayne Brockbank, Professor für Business Administration an der Universität von Michigan, überzeugt. Schätzten 1992 in einer Studie nur 27 Prozent der befragten Manager die Bedeutung des Mitarbeiters als wichtiges Kriterium für den Unternehmenserfolg ein, sind es heute bereits 84 Prozent, Tendenz steigend.

Der amerikanische Human-Resources-Experte Brockbank ging in seinem Vortrag noch einen Schritt weiter. Seiner Meinung nach ziehen Analysten in den USA schon heute zur Beurteilung von Aktien Faktoren wie Entwicklungspotenziale des Unternehmens, Firmenkultur und das Human-Resource-Management heran. "Die Finanzanalysten kommen häufig in die Firmen, unterhalten sich mit den Mitarbeitern und sehen sich die Unternehmenskultur genau an, um einen differenzierteren Eindruck zu gewinnen", so Brockbank.

Nüchterne Statistiken und Unternehmenskennzahlen reichen ihnen nicht mehr aus. Ernst & Young befragte 1998 Aktienhändler, welche Komponenten sie für ihre Prognosen heranziehen. Demnach fließt das intellektuelle und kreative Potenzial mit bis zu 35 Prozent in die Bewertung eines Unternehmens ein. Einen der Gründe für den Bewusstseinswandel sieht Brockbank darin, dass in fast allen Bereichen hochqualifizierte Mitarbeiter fehlen. Zusätzlich nimmt das verfügbare Wissen im elektronischen Zeitalter rasant zu. Um als Unternehmen die neuen Herausforderungen zu meistern, sind talentierte und kreative Mitarbeiter notwendig, die neue Technologien und zukunftsweisende Strategien entwickeln können. Mit einer Renaissance des Humanismus im modernen Unternehmen haben solche Motive allerdings wenig zu tun, denn als dritte Größe beeinflussen die Interessen der Aktionäre den veränderten Fokus. Schließlich sollen die Beschäftigten mit optimalem Einsatz die Umsätze und Gewinne steigern und nach Möglichkeit nicht zur Konkurrenz wechseln.

Der Personalbteilung kommt künftig in viel stärkerem Maß eine strategische Position im Unternehmen zu. "Personalplanung wird in Zukunft genauso wichtig wie Finanzplanung", prognostiziert Bernhard Fink, der für die europäische Rückversicherungsgruppe von General Electric (GE) als CEO der GE Frankona Gruppe in München und London verantwortlich ist. Bei GE zählt die Personalentwicklung schon heute zu den Kernaufgaben jeder Führungskraft. Intensive Beurteilungsgespräche, Zielvereinbarungen und Erfolg im Job gehören zur Karriereplanung. Problematisch sind laut Fink die Mitarbeiter, die gute Ergebnisse erzielen, aber die Kultur des Unternehmens ignorieren. Die Strategie des Konzern in dieser Frage ist klar: Beschäftigte mit dieser Einstellung sind nicht haltbar.

Ohne Personalentwicklung kein ErfolgGerade in Wachstumsbranchen sind die Personaler stark mit Recruitment und administrativen Aufgaben beschäftigt. Sollen die Unternehmen in Zukunft erfolgreich bleiben, müssen sie sich wieder verstärkt um die klassische Personalentwicklung kümmern, so die Empfehlung der Referenten. Die Mercer Consulting Group, Zürich, befragte HumanResources-Manager nach den neuen Herausforderungen im E-Business-Zeitalter. In den letzten beiden Jahren entwickelten viele traditionelle Unternehmen eine E-Strategie, gründeten Teilbereiche aus und etablierten Inkubatoren. Die große Herausforderung der kommenden Jahre stellt nach Einschätzung der Berater von Mercer Consulting der Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen dem Konzern und den ausgegründeten Unternehmenseinheiten.

Die hoch qualifizierten Mitarbeiter der Startups sehen im Unternehmertum eine echte Alternative zur Konzernkarriere. Besonders schätzen sie individuelle Gestaltungsmöglichkeiten und flachere Hierarchien. "Die digitale Revolution wird auch die Kultur etablierter Unternehmen nachhaltig verändern", so Leonhard Fopp, Vice President bei Mercer. "Gerade hier sind die Personal-Manager gefragt, die Veränderungen im Unternehmen mitzugestalten".

Aber auch Startups müssen sich den neuen Herausforderungen stellen. Speziell in Wachstumsbranchen kommt die Personalentwicklung oft zu kurz. Simone Danziger, Director Human Resources von Intershop in Hamburg, steht vor ganz anderen Herausforderungen als ihre Kollegen in traditionellen Firmen. Die Personalverantwortlichen des 1992 gegründeten Unternehmens hatten in den letzten Jahren alle Hände voll zu tun, genügend Personal zu rekrutieren. Deshalb blieb nach dem unterzeichneten Arbeitsvertrag wenig Zeit für die Integration und Personalentwicklung, denn administrative Aufgaben standen im Mittelpunkt.

Mit inzwischen über 1000 Mitarbeitern braucht das Unternehmen auch im Personalbereich klare Strukturen. Danziger sieht sich nicht nur als Personalbeschafferin. Mitarbeiterbindung und Aufbau einer strategischen Personalentwicklung bekommen nach der rasanten Aufbauphase für sie einen neuen Stellenwert. Allerdings musste sie zunächst die Führungskräfte von der strategischen Notwendigkeit ihrer Pläne überzeugen. Inzwischen gehören Führungskräftetrainings, Zielvereinbarungsgespräche und Jobbeschreibungen bei Intershop dazu. Trotz der klassischen Instrumente bleibt die Unternehmenskultur entscheidend für die Mitarbeiterbindung, davon ist Danziger überzeugt.

Allerdings möchte die Personalchefin nicht alle Instrument der Old Economy übernehmen. Sie kann sich beispielsweise nicht vorstellen, dass die Intershop-Mitarbeiter in nächster Zeit einen eigenen Betriebsrat im Unternehmen gründen. Ein offenes Kommunikationsnetz ersetzt zur Zeit ihrer Meinung nach solche Institutionen. "Ich sehe die Personalabteilung als Advokaten des Mitarbeiters", so die Personalchefin. Als nächstes strategisches Ziel soll ein neues und differenzierteres Gehaltsmodell folgen.

Sabbaticals stehen hoch im KursWie können Unternehmen ihre Mitarbeiter leistungsgerecht entlohnen und gleichzeitig stärker an ihr Unternehmen binden? Finanzielle Anreize wie abgesicherte Aktienoptionen, Fondsparpläne mit unterschiedlichen Risikoklassen und private Rentenvorsorge sind nur einige Möglichkeiten eines breiten Spektrums. Heinz Laber, Leiter des Zentralbereichs Personal, Beratung und Services der Bayerischen Hypo-Vereinsbank AG aus München, stellte in Berlin einige interessante Modelle vor. Neben den vielen finanziellen Möglichkeiten tragen die neuen Arbeitszeitmodelle auch dem Wunsch vieler Mitarbeiter Rechnung, eine zeitlich begrenzte Auszeit in Form von Sabbaticals zu nehmen. Kopfzerbrechen bereitet dem Personalchef gerade bei tariflich gebundenen Unternehmen die oft starre Haltung des Betriebsrates gegenüber flexiblen Modellen.

Neben einem attraktiven Gehalt, interessanten Aufgaben und der Unternehmenskultur kommt der persönlichen Weiterbildung eine wichtige Rolle für die Bindung an das Unternehmen zu. Zwar sprechen viele Personaler gern vom lebenslangen Lernen, mit der Realität haben solche Sonntagsreden bisher allerdings noch wenig zu tun. In der Bundesrepublik nehmen bei den Mitte 20-Jährigen die beruflichen Aus- und Weiterbildungsaktivitäten rapide ab. Besonders alamierend ist die Situation nach Ansicht von Hans-Peter Klös, Leiter des Referates Arbeitsmarkttheorie und -politik am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, bei älteren Erwerbstätigen. Ab dem 55. Lebensjahr bilden sie sich kaum noch weiter, Erwerbslose im gleichen Alter investieren fast überhaupt nichts mehr in ihre berufliche Qualifikation. Volkswirtschaftlich gesehen stellt das eine enorme Belastung dar. Der Experte des Kölner Instituts fordert Unternehmern auf, ältere Arbeitnehmer nicht als Auslaufmodelle zu behandeln oder gar hinauszudrängen. Die Beschäftigten ihrerseits müssten sich auch in späteren Phasen ihres Berufslebens weiterbilden.

"Gute Mitarbeiter wollen alles"Bei der Tagung in Berlin herrschte kein Mangel an Ideen und Strategien für die Personalarbeit des 21. Jahrhunderts. In den Pausengesprächen mischten sich aber die theoretischen Ansätze mit der Alltagserfahrung der Personaler. Einige interpretierten das neue Credo vom wertvollen Mitarbeiter etwas pragmatischer. "Die Leute, die wir suchen, gibt es sowieso nicht am Markt", war zu hören. "Finden wir welche, dann wollen sie alles, vom Dienstwagen über die Aktienoptionen bis zum kostenlosen Fitnessprogramm. Lockt die Konkurrenz mit noch mehr Geld, dann sind sie trotz interessanter Aufgaben und einem guten Betriebsklima weg." Einfacher sind die Aufgaben der Personalabteilungen wohl nicht geworden.

Abb: Der weite Weg zum lebenslangen Lernen

Ab 30 geht es rapide bergab: Nicht einmal mehr zehn Prozent der Erwerbstätigen nehmen dann an Maßnahmen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung teil. Quelle: Statistisches Bundesamt/Institut der deutschen Wirtschaft