Kirmesmessen zur Herbstzeit

04.11.1994

Dieter Eckbauer

Die Tradition der deutschen Computermessen - nimmt man die heilige Kuh CeBIT einmal aus - ist zerbroeselt. Die Koelner Orgatec und die Systec in Muenchen lieferten zuletzt negative Schlagzeilen, so sie denn in der Berichterstattung der Publikumspresse ueberhaupt noch vorkamen. Obwohl unterschiedlich nicht nur von der Groesse her, verstanden sich doch beide als Leitmessen: die Orgatec sah sich als erste Bueroadresse, die Systec wollte im Fertigungsbereich fuehrend sein. Bei geschrumpftem Angebot, was die Flaeche und die Ausstellerzahl betrifft, verzeichneten beide 1994 einen gravierenden Besucherschwund. Der Zustand der DV-Messen laesst sich nicht mehr schoenreden. Doch noch sind die Verantwortlichen nicht bei einer ernsthaften Ursachenforschung angelangt.

Was tut der Messe-Manager, dem sich die grossen Anbieter als Aussteller verweigern, weil nach und nach die Besucher wegbleiben? Er konsultiert den Ausstellerbeirat, in dem die grossen Anbieter sitzen. Der sagt erfahrungsgemaess nichts, womit die Messeleitung etwas anfangen koennte. Es folgt das Warten auf den naechsten Misserfolg. Aber soweit muss es nicht kommen.

Zunaechst signalisiert der Besucherrueckgang bei den etablierten deutschen DV-Messen, dass auch hierzulande ein gewisser Grad an Normalitaet erreicht ist, eine Abgeklaertheit, von der jedoch die IT-Branche letztlich profitieren wird, wie Beispiele vor allem in den USA gezeigt haben: Die Anwender sind anspruchsvoller geworden - mit reinen Info-Veranstaltungen, mit Kirmesmessen zur Herbstzeit, kann man sie nicht mehr aus der Reserve locken.

Nun macht etwas daraus, moechte man den Koelnern und den Muenchnern zurufen. Die Messemuedigkeit der Anwender laesst Rueckschluesse auf eine Saettigung in bestimmten Marktsegmenten zu, etwa bei Commodity-Produkten wie PCs und Workstations, was indes nicht gleichbedeutend mit einem Ausverkauf der Messen sein muss. Andere Technologien haben das Potential, Schrittmacherdienste zu leisten, neues Wachstum der Computerindustrie hervorzurufen. Die Marketing- Strategie fuer das Produkt DV-Messe muss neu definiert werden.

Innovation waere das Salz in der Suppe. Gibt es noch sehr viele Deutsche, die sich am Messeschaufenster die Nase platt druecken, um einen Nullachtfuenfzehn-PC zu sehen? Nicht einmal dem duemmsten Messe-Manager wird man noch derartige Ansichten unterstellen. Daraus folgt zweierlei: Nur derjenige Veranstalter hat Erfolg, der in seinem Konzept die Bedeutung attraktiver, neuer Technologien betont. Das setzt schnelle Reaktion und Kreativitaet voraus - Eigenschaften, die man den deutschen Messeverantwortlichen bisher nicht nachsagen konnte.

Orgatec und Systec sind schon von ihrem zweijaehrigen Turnus her nicht auf rasche Marktveraenderungen eingestellt. Hinzu kommt die Abhaengigkeit von Verbaenden und Herstellergremien, typisch fuer die hiesige Messeszene. Mit ueber Bord gehen muesste also der Subventionscharakter - womit wir beim zweiten Punkt waeren -, die Messe als halbamtliche Institution. Doch eben dies ist schwer vorstellbar. Oder?