Key-User als Treiber des Wandels

22.10.2010
Große IT-Projekte gelingen nur, wenn die Mitarbeiter auf Veränderungen vorbereitet werden. Das nahm sich die Munich Re bei der Einführung einer IT-Geschäftsanwendung zu Herzen.

Wenn sich im Unternehmen etwas ändert, sind Mitarbeiter zuerst skeptisch. Sie können Veränderungen kaum oder gar nicht beeinflussen, sie wissen nicht, was sie am Ende erwartet. Mangelnde Akzeptanz kann große Projekte zum Scheitern bringen. Das wollte der Rückversicherer Munich Re vermeiden und begleitete die Erweiterung seiner weltweit genutzten Underwriting-Plattform inklusive Buchhaltung und Schadensverwaltung mit einem Change-Management.

Das Change-Management-Team unter Leitung von Florian Föhr sollte alle 1400 betroffenen Mitarbeiter ansprechen, ihr Feedback in die IT-Projekte einbringen, sie von den Vorteilen der Plattform überzeugen und sie schulen. Zur Unterstützung holte sich das Unternehmen die Change-Spezialisten der Esprit Consulting AG in Haus. Das Change-Management-Team nahm acht Monate vor dem ursprünglich geplanten Rollout seine Arbeit auf. "Der Start lag für ein Projekt dieser Größenordnung relativ spät", sagt Föhr. "Deshalb waren wir nicht unglücklich, als die Plattform um einige Funktionen erweitert werden musste und sich der Go-Live-Termin um sechs Monate auf Oktober 2009 verschob." So hatte das Team mehr Zeit, den Systemwechsel vorzubereiten.

Ein 25-köpfiges Change-Management-Team wird selbst in der Munich Re, dem weltweit größten Rückversicherer, nicht für jedes IT-Projekt gebildet. Die neue Underwriting-Plattform, über die ein Großteil des Geschäfts läuft (siehe Kasten "Underwriting"), ist für das Unternehmen eine zentrale Anwendung: Sie sollte über 30 IT-Systeme an weltweiten Standorten und in verschiedenen Geschäftsbereichen ersetzen sowie über eine Schnittstelle mit dem neuen Accounting- und Claims-System verbunden werden. Dadurch sollten Daten nur einmal erfasst und gleiche oder ähnliche Risiken effizient verwaltet werden. Die Plattform sollte es ermöglichen, Risiken nahtlos zu bewerten.

"Um die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, die neuen Systeme anzunehmen und anzuwenden, haben wir sie von Betroffenen zu Beteiligten gemacht", sagt Dorothea Wack, die das Change-Projekt auf Seiten des Beraters federführend begleitete. Dazu war es notwendig, Macht- und Fachpromotoren zu identifizieren und zu gewinnen, die das IT-Projekt unterstützen. Eine davon war Heike Trilovszky, die den Zentralbereich des Corporate Underwriting der Munich Re leitet. In den Augen von Föhr, Leiter des Change-Management-Teams, ist es entscheidend, dass der Hauptsponsor auf der Geschäftsseite inhaltlich kompetent ist. Er müsse nicht unbedingt aus dem Topmanagement kommen.

Vorteile indirekter Kommunikation

Das Rückgrat der Veränderung aber waren die Key-User in den Fachabteilungen: Das Change-Team informierte sie als Erste über Erfolge und Schwierigkeiten im Projekt. Sie sammelten das Feedback ihrer Kollegen ein und formulierten, wenn nötig, formelle Change-Requests. Sie fungierten als Barometer für die Stimmung in den betroffenen Abteilungen. Sie wurden als Erste geschult, um Feedback für die Gestaltung der Trainings der restlichen User geben zu können. Projektleiter Föhr beschreibt die Key-User als "Persönlichkeiten, die auch in schwierigen Situationen Rückgrat zeigen, sich mit den bestehenden Systemen sehr gut auskennen, von ihren Kollegen akzeptiert und offen für Neues sind".

Die Key-User bündelten die Feedbacks der Endbenutzer, was Föhrs Change-Team die Arbeit erheblich erleichterte. Dadurch wurden auch die IT-Teams nicht mit redundanten Change-Requests überhäuft. Als Nebeneffekt dieser indirekten Kommunikation "konnten wir mit schwierigen Situationen auch rationaler umgehen, als wenn wir uns direkt mit den Betroffenen hätten auseinandersetzen müssen", sagt Föhr. Die Key-User waren teilweise von ihren normalen Aufgaben freigestellt. Noch ein Jahr nach dem Rollout finden alle vier Wochen Key-User-Meetings statt, damit die Helfer in den Fachabteilungen auch weiter ihre Kollegen unterstützen können. Das entlastet den User-Support und hilft, die Plattform zu verbessern. "Die Key-User haben uns geholfen, die Anlaufschwierigkeiten der Endanwender zu verringern. Die Anwender orientierten sich schneller und waren vom Start weg besser für den Umgang mit dem System und den Prozessen qualifiziert", so Föhr.

Neben den vielen Informationsveranstaltungen – allein Föhr leitete über 70 Meetings – basierte die Kommunikation sehr stark auf Online-Komponenten wie einer eigenen Projekt-Page, E-Mails und Web-Meetings. Das betraf vor allem den Kontakt mit den Auslandsniederlassungen. In einer Online-Dokumentation und -Hilfe finden Mitarbeiter Anwendungsbeispiele und genaue Anleitungen. Für die richtige Mischung aus persönlicher Information und Online-Hilfe gibt es laut Wack kein Patentrezept: "Das hängt sehr stark von den Zielen des Change-Management-Projekts, der Unternehmenskultur und den Bedürfnissen der Mitarbeiter ab. Um für die Munich Re die richtigen Elemente zu finden, hat uns am Anfang des Projekts die Veränderungsanalyse sehr geholfen."

Ein wichtiger Erfolgsfaktor waren die Trainings der Endanwender, die etwa die Hälfte der Change-Projektkosten ausmachten. "Trainings zu organisieren für 1400 Mitarbeiter an 20 internationalen Standorten ist alles andere als trivial", berichtet Föhr. "Mitunter hatten wir Schwierigkeiten, genug Trainer zu den vorgesehenen Zeiten zu bekommen. An der Infrastruktur haperte es bei einigen ausländischen Standorten schon mal. Die größte Herausforderung war, dass wir die meisten Mitarbeitenden binnen acht Wochen vor dem Go live schulen mussten."

"Für mich waren Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber allen Beteiligten das Wichtigste. Das schafft Glaubwürdigkeit, ohne die kein Change-Projekt gelingen kann." Diesen Satz würde Föhr wahrscheinlich gern anderen Change-Managern ins Stammbuch schreiben – wohl, weil es seine persönlichste Erfahrung war. (am)

Underwriting

Hier bewerten Rückversicherer ein Risiko systematisch. Beispiel Kfz-Versicherung: In die Bewertung fließen Fahrzeugtyp, Region, in der das Fahrzeug angemeldet ist, Fahrpraxis und Schadenhistorie des Versicherten ein. Aus der Bewertung des Risikos und seiner Häufigkeit im Portfolio des Versicherers resultieren die Kosten für den Rückversicherungsvertrag. Eine Underwriting-Plattform stellt sicher, dass die Regeln, nach denen Risiken bewertet und abgesichert werden, einheitlich sind und von jedem Underwriter eingehalten werden. Außerdem wird hier das Geschäft erfasst und dokumentiert. Nach Abschluss des Geschäfts müssen die Rückversicherungsverträge in den Accounting- und Claims-Prozessen verwaltet werden.

Der gelungene Change

Tipps von Projektleiter Florian Föhr

  • Beginn möglichst weit vor dem geplanten Go live;

  • frühe Einbindung des Managements;

  • verantwortungsvolles Erwartungs-Management;

  • Transparenz über Ziele und Auswirkungen des Gesamtprojekts für alle Beteiligten;

  • Vorteile für die Betroffenen herausarbeiten und Unumkehrbarkeit der angestrebten Veränderung betonen;

  • ehrliche und offene Kommunikation.