Kartellamt gegen neue Bundesbehoerde Regulierung beherrscht die Szenarien kuenftiger Maerkte

20.10.1995

MUENCHEN (gh) - Welches Mass an Regulierung benoetigt ein wettbewerbsorientierter Telecom-Markt? Mit dieser Frage befasste sich der juengste Kongress des Muenchner Kreises, bei dem die "Chefregulierer" wirtschaftlich starker Staaten, darunter die USA, Frankreich, Grossbritannien und Japan, ihr Stelldichein gaben. Deutschland ist, das wurde auf der Veranstaltung deutlich, in Sachen Liberalisierung auf dem Weg zu einer weltweit fuehrenden Nation - sofern der eingeleitete Gesetzgebungsprozess nicht ins Stocken geraet.

"Regulieren bedeutet Ordnen mit leichter Hand", machte sich der deutsche Telecom-Sachverstaendige und Vorsitzende des Muenchner Kreises, Eberhard Witte, fuer das von ihm und anderen Experten favorisierte angelsaechsische Modell einer neutralen und unabhaengigen Regulierungsbehoerde stark. Oberstes Ziel einer deutschen Oftel (= die britische Regulierungsbehoerde, Anm. d. Red.) muesse, so Witte, die Sicherstellung angemessener Preise fuer Telekommunikationsdienste samt hinreichende Auswahlmoeglichkeiten sowie die Gewaehrleistung einer dem internationalen Massstab entsprechenden Qualitaet sein.

Ziele und Probleme einer solchen Behoerde skizzierte Reed Hundt, Chef der amerikanischen Federal Communications Commission (FCC), der aeltesten und wohl bekanntesten Regulierungsinstitution der Welt. Die FCC ist in ihren Entscheidungen unabhaengig. Hundt zufolge erreichen die Aufgaben der FCC zunehmend auch gesellschaftspolitische Dimensionen, etwa die Sicherung der Demokratie durch verbesserte Informationsmoeglichkeiten via Telekommunikation oder der Ausgleich des technologiebedingten Stellenabbaus durch Schaffung neuer Arbeitsplaetze.

Die Interconnection stellt ein grosses Problem dar

Dass mehr Wettbewerb den Markt erweitert und Innovationen foerdert, war auf der Veranstaltung des Muenchner Kreises die einhellige Meinung aller Gastredner. So betonte Norimasa Hasegawa, Generaldirektor im japanischen Postministerium, dass sich in Japan seit der 1985 begonnenen Liberalisierung die Zahl der Netzbetreiber mehr als verzehnfacht hat, gleichzeitig aber die Tarife deutlich gesunken sind. Mut zu mehr (kontrolliertem) Wettbewerb propagierte auch Bryan Carsberg, langjaehriger Direktor von Oftel und jetzt Leiter des Londoner Office of Fair Trading. Der jeweilige Oftel-Chef koenne, so Carsbergs Rueckschau, im Rahmen der geltenden Gesetze "ziemlich autonom entscheiden" - eine, wenn man so will, historisch bedingte Souveraenitaet, denn die Briten sprachen sich seinerzeit fuer ein System aus, das vor allem im Fruehstadium der Liberalisierung rasche Entscheidungen zuliess.

Als eines der groessten Problemfelder im Zusammenhang mit Regulierungsfragen gilt nach wie vor die Interconnection, also die Verbindung von Netzen unterschiedlicher Betreiber und deren jeweiliger Tarifstruktur. Das Beispiel USA, wo die Preise nach wie vor reguliert sind, mache dies, wie es auf dem Kongress hiess, besonders deutlich. Aehnliches gilt aber auch fuer Deutschland, wo nach Ansicht von Klaus-Dieter Scheurle, Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesministerium fuer Post und Telekommunikation (BMPT), die Verrechnung bei der Zusammenschaltung von Netzen der Telekom und ihrer privaten Konkurrenz zunaechst durch "private Verhandlungen" geregelt werden sollte.

Der Boetsch-Beamte machte aber zugleich deutlich, dass sein Haus parallel zum derzeitigen Gesetzgebungsverfahren an einer Interconnection-Richtlinie arbeitet, die einen gewissen Rahmen vorgeben soll. Wo immer es dann zu keiner Einigung komme, muesse die kuenftige Regulierungsbehoerde als "Schiedsstelle fungieren". Diese Aussage ist auch insofern von Brisanz, als die Telekom derzeit offenbar bestrebt ist, durch spezifische Einzelabkommen mit ihren kuenftigen Wettbewerbern im Telefondienst das Problem der Netzzusammenschaltung aus der Welt zu schaffen, bevor Richtlinien durch den Regulierer formuliert worden sind. Die Mehrzahl der neuen Netzbetreiber ist allerdings gegen ein freies Aushandeln der Anschaltebedingungen ans Ortsnetz der Telekom und fordert, dass das ehemalige Postunternehmen per Gesetz respektive Verordnung gezwungen wird, seine Kalkulation offenzulegen und sich an festgelegte Tarifgrundsaetze, Qualitaetsmerkmale und Fristen zu halten.

Apropos Regulierungsbehoerde: Kritik an den Plaenen fuer das neue Gesetz, vor allem was die Schaffung einer fuer Regulierungsfragen zustaendigen obersten Bundesbehoerde angeht, wurde nun ausgerechnet von seiten des Bundeskartellamtes laut, das bis dato von Telekom- Chef Ron Sommer und vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) als kuenftige oberste deutsche Regulierungsinstanz favorisiert wird. Ziel einer Reform des deutschen Telecom-Marktes muesse es sein, die liberalisierten Bereiche in die Marktwirtschaft mit ihren allgemeinen Regeln zu entlassen, hiess es vergangene Woche in einer Stellungnahme der Berliner Wettbewerbshueter. Dort sieht man die Gefahr politischer Abhaengigkeiten, da der Chef der Behoerde auf Antrag der Bundesregierung jederzeit abberufen werden kann. Das Bundeskartellamt spricht sich daher fuer eine institutionelle Trennung von technischen und postspezifischen Belangen einerseits und der Wettbewerbssicherung andererseits aus.

Auf Stolpersteine in der foederativen Struktur der Bundesrepublik machte indes Eberhard Witte vor den Tagungsteilnehmern aufmerksam. Durch das Zusammenwachsen von Rundfunk und Telekommunikation tue sich ein neues Konfliktpotential auf, weil die Telecom- Gesetzgebungskompetenz samt Regulierung beim Bund liege, waehrend die Rundfunkhoheit bei den Laendern angesiedelt sei. Zudem haetten auch die Kommunen die Bedeutung ihrer Wegerechte beim Aufbau neuer Netze erkannt. Man muesse daher, so Witte, aufpassen, "dass nicht der Bund entstaatlicht, waehrend Laender und Kommunen wieder mehr Staat wollen". Wittes Ausblick: "Wir springen jetzt in eine Zukunft, in der wir bei der Oeffnung des Marktes weiter gehen als etwa die USA."