Karrieresprungbrett für Universaltalente

22.01.2001
Von in Ingrid
Neben den Wirtschaftwissenschaftlern begeistern sich nun auch die Absolventen technischer Studiengänge immer mehr für den geregelten und gut organisierten Einstieg ins Arbeitsleben über ein Trainee-Programm.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Hochschulabsolventen bekommen vielseitige Unterstützung, um die ersten Hürden nach dem Besuch der Universität besser zu meistern und die Gepflogenheiten des Unternehmens in verschiedenen Abteilungen kennen zu lernen. Was traditionell bei den Ökonomen beliebt war, weckte anfangs wenig Begeisterung bei Informatikern.

Joachim Keltsch

Direkteinstieg, Training on the Job und Projektarbeit waren die Zauberworte für deren gelungenen Berufsstart. Norbert Thom, Professor am Institut für Organisation und Personal der Universität Bern, forscht seit vielen Jahren zum Thema Trainee-Programme. In seiner letzten Befragung im Jahr 1998 kündigten sich größere Veränderungen an. Im Gegensatz zur Untersuchung aus dem Jahr 1995 verdoppelte sich das Angebot an Trainee-Stellen. “Die Anforderungen im Arbeitsleben werden komplexer, und es bewerben sich nicht nur Diplomkaufleute für die Programme”, erklärt Vera Friedli, Assistentin am Institut.

Dafür spricht ein weiteres Ergebnis der Studie, denn die Hälfte der Programme bietet einen ressortübergreifenden Ausbildungsplan. Erstreckten sich die Einarbeitungskurse in den 90er-Jahren noch über zwölf, 18, teilweise sogar 24 Monate, fand Thom einen Trend zu kürzeren Ausbildungszeiten heraus. Im Durchschnitt liegen sie bei 16,8 Monate. Inhaltlich hat sich ebenfalls einiges geändert. “Die bisher den letzten Platz belegende Sozialkompetenz wird nun als wichtigstes und oberstes Lernziel eingestuft”, so der Professor. Bei den Aufstiegsmöglichkeiten halten sich die Arbeitgeber allerdings stärker zurück als in der Vergangenheit: Nur ein Drittel der Unternehmen möchte sich bei den späteren Aufgaben des Mitarbeiters bereits zu Beginn festlegen.

Standen solche Programme in der Vergangenheit ausschließlich Hochschulabsolventen zur Verfügung, gibt es auch hier Veränderungen. Mittlerweile weiten die Firmen das Angebot auf alle Mitarbeiter aus – unabhängig von der Ausbildung. Inzwischen nutzen vermehrt Studienabbrecher sowie Geistes- und Naturwissenschaftler ihre Chance für einen systematischen Einstieg in das Arbeitsleben.

In der schnelllebigen IT-Branche sind die Einsteiger-Einarbeitungsvorhaben kürzer, aber das ist keine Erfindung der letzten Monate. “Trainee-Programme gab es bei SAP schon immer”, weiß Unternehmenssprecher Markus Berner. Im Gegensatz zu den Direkteinsteigern wählen circa fünf Prozent der Berufsanfänger ein Trainee-Programm beim Walldorfer Softwareriesen, um sich zunächst einen Überblick über das Unternehmen zu verschaffen. Während der sechsmonatigen Einarbeitung bewegen sich die Gehälter der jungen Kollegen in einem Rahmen vergleichbar denen der Direkteinsteiger. Im vergangenen Jahr nahmen knapp 50 Bewerber am Programm teil. Kennen die Neuen das Unternehmen bereits durch ihre Diplomarbeit oder ein mehrmonatiges Praktikum, bietet ein Direkteinstieg vermutlich die besseren Karrierechancen.

Aber nur selten übernehmen die neuen Mitarbeiter direkt und ohne systematische Einarbeitung komplexe Aufgaben. Inzwischen finden sich unter den IT-Arbeitgebern immer mehr, die sich mit einer gezielten und festgelegten Ausbildung für die neuen Mitarbeiter anfreunden. Sie haben auch kaum eine Alternative, denn was das Anwerben neuer Mitarbeiter aus dem Ausland betrifft, beurteilen sie ihre Chancen eher zurückhaltend. “Für uns versprach die Green-Card keine Entlastung. Wir brauchen Bewerber mit hervorragenden Sprach- und Kulturkenntnissen, die unsere Konzepte verkaufen können. Beim direkten Kundenkontakt vor Ort oder am Telefon ist Englisch nicht die gängige Umgangssprache”, so Joachim Keltsch, Leiter des Trainee-Programms bei der Science + Computing GmbH in Tübingen. Deshalb entschloss sich das Unternehmen, die fehlenden Fachkräfte in einem sechsmonatigen Training selbst auszubilden.

Zwölf Trainees begannen im Juni vergangenen Jahres. Die Hochschulabsolventen kommen in erster Linie aus naturwissenschaftlichen und Ingenieurstudiengängen. “Neben dem Interesse und Vorkenntnissen aus dem Studium sollten die Bewerber gute analytische Fähigkeiten und viel Engagement mitbringen”, erläutert die Personalchefin Ingrid Zech das Anforderungsprofil der Bewerber. Für Keltsch steht die eigentliche Bewährungsprobe der Absolventen noch bevor. “Wir haben den zwölf Teilnehmern eine Mischung aus Theorie und Praxis angeboten, bei der sie sich bei kleineren Projekten durchbeißen mussten. Im Juli 2001 soll die zweite Trainee-Ausbildung beginnen. Zwar haben die Schwaben unter den Bewerbern einen sprachlichen Heimvorteil, aber auch Bewerber aus anderen Bundesländern meisterten die Sprachhürde ganz bravourös”, so Keltsch augenzwinkernd.

Im Frühjahr 1999 befragte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln 700 Unternehmen zur Trainee-Ausbildung. Neben der beruflichen Qualifikation nannten die befragten Firmen vor allem kommunikative und soziale Schlüsselkompetenzen als Lernziele. “Nach dem akademischen Einzelkämpferdasein bietet ein Trainee-Programm die Möglichkeit, Teamarbeit zu erlernen und sich im Unternehmen und seinen Strukturen zu orientieren”, erklärt Christiane Konegen-Grenier, Referatsleiterin Hochschule und Wirtschaft am Kölner Institut. Erfreulich sei die Situation für Informatiker und Wirtschaftsinformatiker: Von den 117 befragten Unternehmen bot jedes zweite Programme für Absolventen dieser Studienrichtungen an. Zahlreiche neue Angebote zeigen, dass die Zahlen noch steigen.

Trainee-Programme beschränken sich aber keinesfalls auf die Old Economy. “Anfang vergangenen Jahres dachten wir über Wege aus dem personellen Engpass nach”, erzählt Björn Kunze vom Softwarehaus Infopark in Berlin. “Da wir qualifizierte Mitarbeiter suchen, entschlossen wir uns, verstärkt in die Ausbildung zu investieren”, so die Strategie des Personalchefs. Die Umsetzung der Idee ließ nicht lange auf sich warten. Im März starteten die ersten zehn Trainees ihr dreimonatiges Intensivprogramm. Zu den Bewerbern gehörten neben Informatikabsolventen und Naturwissenschaftlern auch Studienabbrecher.

“Fundierte Grundlagen in der Programmierung, Linux-Kenntnisse und kommunikative Fähigkeiten sind für uns im Consulting-Bereich sehr wichtige Voraussetzungen”, erklärt Kunze. Alle drei Monate schließen zwischen acht und zehn Trainees die Ausbildung ab. Als Belohnung für die anstrengenden Monate winkt ein fester Arbeitsvertrag. “Wir können alle Absolventen beschäftigen”, so der Infopark-Manager stolz. Neben der Ausbildung möchten die Berliner in Zukunft gemeinsam mit den Berufsakademien in der Hauptstadt und in Dresden weitere Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung stellen.

Variiert eine klassische Einarbeitungsphase zwischen zwölf und 24 Monaten, zeichnen sich die Kurse für die Informations- und Telekommunikationsbranche vor allem durch wesentlich kürzere Zeitspannen aus. “Die IT-Trainee-Programme sind meistens nicht so generalistisch angelegt wie die betriebswissenschaftlichen”, weiß Susanne Culo, Beraterin High Potentials bei Kienbaum aus eigener Erfahrung. Wenigstens drei unterschiedliche Stationen und eine Dauer von höchstens einem Jahr hält sie für sinnvoll. “Es ist schwer, einem Informatiker ein 18-monatiges Programm anzubieten, das entspricht nicht seinen Vorstellungen.” Gerade für Absolventen mit wenig Praxiserfahrung und Quereinsteiger aus anderen Fachrichtungen bietet der Start als Trainee aus Sicht der Beraterin langfristig Vorteile: “Manche Stärken stellen sich erst im Laufe der Zeit heraus; es kommt immer wieder vor, dass ein Absolvent viel Talent

für den Vertrieb entwickelt, obwohl er bisher seine Stärke beim Programmieren sah.” Beim Direkteinstieg lerne ein Absolvent meistens weniger Fassetten eines Unternehmens kennen; dagegen erleichtere ein Trainee-Programm vielen die spätere Karriere-Planung, selbst wenn das Gehalt in dieser Zeit geringer ausfällt.

Mobilität spielt für angehenden Trainees oft eine größere Rolle als für Direkteinsteiger. Bei Sun Microsystems beispielsweise ist mindestens eine Reise nach Kalifornien für jeden neuen Mitarbeiter Standard. Seit zwei Jahren bietet der IT-Hersteller in Deutschland den Trainee-Einstieg an. Im vergangenen Geschäftsjahr nahmen insgesamt 45 Hochschulabsolventen am intensiven Training teil. In sechs bis maximal zwölf Monaten durchlaufen die Young Professionals bis zu zwölf Abteilungen, die bis auf eine im Ausbildungsplan vorab festgelegt wurden. “Bei uns gibt es klare Zielvorgaben; dazu gehört neben den fachlichen Schulungen ein persönlicher Coach für jeden Trainee und viele Persönlichkeitsschulungen, etwa Präsentations- und Kommunikationstraining”, so Knut Müller, der als Director Sales Support an der Konzeption und Umsetzung mitarbeitet.

Neben einem besseren Verständnis für das Unternehmen sieht Müller einen entscheidenden Vorteil in der Netzwerkbildung der Teilnehmer. “Wenn der neue Mitarbeiter schon in der Hamburger Niederlassung gearbeitet hat, dann kennt er die Leute, die er bei Fragen jederzeit anrufen kann.” Das Netzwerk endet allerdings nicht an den europäischen Grenzen, denn zwei Wochen Kalifornien-Aufenthalt in der Konzernzentrale gehören für jeden Sun-Trainee dazu.

Das internationale Trainee-Programm bei Cisco verläuft in vier Phasen. Die europäischen Bewerber starten ihre Ausbildung mit einem zehnwöchigen Theorieblock in Brüssel. Im “Graduate Training Center” gehören neben zahlreichen fachlichen Kurseinheiten auch kulturelle Aspekte dazu. Bereits hier arbeiten die Hochschulabsolventen mit angehenden Kollegen aus anderen Ländern zusammen. Unterrichtssprache ist Englisch. Nach den zehn Trainingswochen heißt es für die Kursteilnehmer, die gelernten Inhalte in die Praxis umsetzen. In den folgenden drei bis vier Monaten arbeiten sie in den Niederlassungen mit einem erfahrenen Kollegen zusammen und lernen Arbeitsalltag sowie Probleme der Kunden kennen. Anschließend verbringen die Cisco-Einsteiger noch einmal vier Seminarwochen in Brüssel. “In der zweiten Schulungseinheit geht es uns um eine Vertiefung des bereits Gelernten; gleichzeitig heißt es für die

Absolventen “hands on”. Sie sollen im Labor schwierige Situationen und mögliche Netzwerkprobleme unter realen Bedingungen üben”, so Jürgen Ruthotto-Doubek, Manager Internet Learning Solutions Group Emea in Hallbergmoos bei München.

Jürgen Rothotto-Doubek

In der zweiten Praxisphase, die ebenfalls drei bis vier Monate dauert, arbeiten die angehenden Netzwerkspezialisten in den Niederlassungen zwar noch unter der Supervision eines Seniors, teilweise aber auch alleine an Projekten. Seit zwei Jahren bietet der Netzwerkriese jungen Hochschulabsolventen aus Europa das zehn- bis zwölfmonatige “Graduate Training Program” (GTP) an. Im ersten Jahr startete der Kurs mit 70 Absolventen, im zweiten Jahr durchliefen bereits 200 Teilnehmer das Training, und jetzt sind es bereits mehr als 400. “Momentan gibt es nicht genügend Fachkräfte am Arbeitsmarkt, deshalb überlegen wir, ob wir die Ausbildung für unsere Partner erweitern und noch mehr Absolventen in das GTP aufnehmen sollen”, so Ruthotto-Doubek.

Gleich ein halbes Jahr ins Ausland können die Trainees beim Siemens-Konzern. Mit 18 Monaten haben die Münchner zwar längere Ausbildungszeiten als die Konkurrenz, aber über fehlende Nachfrage kann sich der Elektroriese nicht beklagen. “Im vergangenen Jahr nahmen 80 Trainees an unserem ‚High Potential Program‘ teil, beworben hatten sich aber wesentlich mehr”, so Unternehmenssprecherin Sabine Metzner. Die Teilnehmer sollten während der Ausbildung mindestens zwei unterschiedliche Geschäftsbereiche kennen lernen. Bei der Bewerberauswahl achtet das Unternehmen vor allem auf fünf Kernkompetenzen. Dazu gehören neben Kreativität, Lern- und Teamfähigkeit auch Erfolgs- und Kundenorientierung. Gerade bei einem Unternehmen dieser Größe fällt den Trainees die Orientierung anschließend leichter.

“In Vorstellungsgesprächen merken wir immer wieder, dass Hochschulabsolventen ganz froh sind über Maßnahmen, die sie auf die neuen Aufgaben systematisch vorbereiten”, so Christine Rother, Personalbetreuerin im Debis Systemhaus in Stuttgart. Seit drei Jahren bietet das Unternehmen mehrere Einarbeitungskurse für verschiedene Fachrichtungen deutschlandweit an. Die in der Regel einjährigen Programme unterscheidet sich in einem Punkt ganz wesentlich von anderen Trainee-Konzepten: Die Teilnehmer arbeiten von Anfang an in einem Fachbereich in unterschiedlichen Projekten mit. Neben fachlichen Schulungen absolvieren sie Seminare und Workshops in Kommunikation, Projekt-Management und Teamfähigkeit. Für das Programm bewerben sich in erster Linie Hochschulabsolventen; aber auch Quereinsteiger oder Absolventen einer Umschulung können mit der konzentrierten Einarbeitung in der IT-Welt besser Fuß fassen. Im zurückliegenden Jahr nutzten beim Debis Systemhaus

deutschlandweit rund 60 Teilnehmer die Chance des Einstiegsprogramms. Seit Oktober 2000 integriert die Deutsche Telekom in einem Joint-Venture das Debis Systemhaus in die neue Konzernsäule T-Systems. Aber auch das neue Unternehmen möchte nicht auf eine systematische Einarbeitung verzichten. “Einstiegsprogramme sind uns auch in Zukunft sehr wichtig. Deshalb werden wir die Ideen aus allen Einheiten sinnvoll zusammen führen”, so Unternehmenssprecher Stefan König.