Karriereperspektiven in der Rezession (Teil 14) Fehlende Zukunftswuensche lassen auf starke Verstimmung schliessen

04.02.1994

Ein falsch formuliertes Arbeitszeugnis kann haeufig den Anfang einer Langzeitarbeitslosigkeit bedeuten. Jeder Arbeitnehmer sollte sich daher um ein gutes Zeugnis bemuehen. Bernd Andersch* sprach im Auftrag der COMPUTERWOCHE mit dem deutschen "Papst" fuer Arbeitszeugnisse, Professor Arnulf Weuster aus Offenburg, ueber die Bedeutung dieses Papiers und die aktuelle Rechtslage.

Andersch: Wie lange kann ein Arbeitnehmer gegen ein Zeugnis und dessen Berichtigungen Einspruch erheben?

Weuster: Der Anspruch verfaellt nach 30 Jahren. Man kann allerdings nur so lange die Ausstellung eines Zeugnisses verlangen, wie der Arbeitgeber dazu in der Lage ist. Wenn jemand vier Wochen als Aushilfskraft beschaeftigt war und nach 20 Jahren ein Zeugnis haben moechte, kann dies niemand mehr ausstellen, weil wahr-scheinlich keine Unterlagen mehr da sind; die Umstaende spielen demnach eine grosse Rolle.

Andersch: Haeufig stellen Arbeitnehmer erst in der Krise die Bedeutung guter Zeugnisse fest. In einem Fall bekam ein Angestellter 1992 ein Zeugnis von seinem vorherigen Arbeitgeber ausgestellt. Nach seinem heutigen Kenntnisstand weiss er, dass es duerftig ausgefallen ist. Kann der Betreffende jetzt noch protestieren?

Weuster: Das sieht fuer den Arbeitnehmer nicht gut aus. Es gibt zwei Urteile, die beide Berichtigungen von Zeugnissen betrafen. In einem Fall hat das Bundesarbeitsgericht nach zehn Monaten und in einem anderen Fall sogar nach fuenf Monaten einen Berichtigungsanspruch in Bezug auf das ausgestellte Zeugnis verneint. Diese Ergebnisse sind aber nicht generell uebertragbar. Im Einzelfall muss geprueft werden. Hat der Arbeitnehmer jedoch, wie in diesem Fall, seit 1992 nichts unternommen, sieht es schlecht aus. Hier kann der Betroffene nur an den guten Willen des Arbeitgebers appellieren.

Andersch: Wann sollte man gegen vermeintlich unzutreffende Zeugnisse protestieren?

Weuster: Vor dem Hintergrund dieser schnellen Verwirkung, insbesondere wenn das Zeugnis ausgestellt worden ist, sollte so schnell wie moeglich der Experte aufgesucht werden. Dies sind insbesondere Fachanwaelte fuer Arbeitsrecht.

Der Arbeitgeber kann jedoch nicht einfach dem Arbeitnehmer das Zeugnis geben und sagen "Setzen Sie sich in die Ecke, lesen Sie das Zeugnis einmal durch. Akzeptieren Sie, ja oder nein?" Dem Arbeitnehmer muss so viel Zeit eingeraeumt werden, dass er den Weg zum Anwalt finden kann.

Andersch: Wie kommt man an solche Anwaelte heran?

Weuster: Ein Weg ist, seine Rechtsschutzversicherung anzurufen und sich einige Fachanwaelte fuer Arbeitsrecht nennen zu lassen. Ansonsten kann man sich auch an jeden anderen Anwalt wenden.

Andersch: Im Fall eines Lesers fehlt die gesamte Abschlusspassage des Zeugnisses. Es ist also nicht angegeben, weshalb der Arbeitnehmer das Unternehmen verlaesst, ob dies etwa "auf eigenen Wunsch geschieht". Auch fehlen die ueblichen Zukunftswuensche in der Art von "Wir wuenschen ihm fuer seinen weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute." Die Bewertungen der Arbeitsleistungen sind jedoch gut.

Weuster: Dies ist aeusserst negativ. Die Beendigungsformel "Geht auf eigenen Wunsch" oder "...im gegenseitigen Einvernehmen" sollte auftauchen. Ein ordentliches Zeugnis enthaelt unbedingt auch Zukunftswuensche. Sie sind nach meinen Untersuchungen in ueber 90 Prozent der Zeugnisse enthalten. In der Literatur ist man sich einig, wenn in einem Zeugnis Zukunftswuensche fehlen, laesst dies auf eine ganz starke Verstimmung schliessen. Die Dank- und Bedauernsformel hat dagegen eine Bekraeftigungsfunktion. Fehlt die Bekraeftigung, kann etwa die Bewertung der guten Arbeitsleistung mit "gut minus" eingestuft werden.

Andersch: Was kann der Arbeitnehmer konkret tun? Soll er einen Arbeitsgerichtsprozess riskieren?

Weuster: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Bei guten Zeugnissen rate ich eher von gerichtlichen Auseinandersetzungen ab, um kleine Verbesserungen zu erreichen. Moeglicherweise braucht man spaeter den Arbeitgeber als Referenzgeber. Wenn ein Arbeitnehmer dennoch Verbesserungen haben moechte und der Arbeitgeber stimmt nicht zu, bleibt nur die Klage.

Andersch: Ein weiterer Leser moechte aus einem "guten" Zeugnis ein "sehr gutes" machen. Sollte auch er klagen? Was erwartet ihn?

Weuster: Da muessen natuerlich Gruende vorgebracht werden koennen. Es gibt zwei Entscheidungen vom Landesarbeitsgericht in Duesseldorf.

Die eine klingt zunaechst recht positiv fuer den Arbeitnehmer. Ein Arbeitnehmer, der nie kritisiert worden ist, hat Anspruch auf eine gute Beurteilung. Da kann der Arbeitgeber nicht nach Jahren kommen und sagen: "Heute sage ich Ihnen, so zufrieden war ich nicht mit Ihren Leistungen." Das haette er vorher sagen muessen, dann haette der Arbeitnehmer die Chance gehabt, sich zu aendern. Umgekehrt sagt man aber, wer eine sehr gute statt gute Beurteilung haben moechte, der muss von sich aus das eine oder andere Highlight nennen, was er glaubt, vollbracht zu haben.

Andersch: Und wovon haengt es nun ab, ob der Bewerber die Note "sehr gut" erhaelt?

Weuster: Der Richter ist natuerlich in einer schwierigen Situation. Er muss ja neutral sein und kann der einen Seite nicht mehr glauben als der anderen.

Und hier kommt es letztlich auf Beweise an, wie entschieden wird. Es empfiehlt sich daher, alle Unterlagen, die Indikatoren fuer gute Arbeitsleistungen sind, zu sammeln. Dies sind etwa Bescheinigungen nach der Gehaltserhoehung, wo auf sehr gute Leistungen hingewiesen wird, persoenlich adressierte Belobigungsschreiben an den Aussendienst, Turnusbeurteilungen etc.

Andersch: Arbeitnehmer erhalten haeufig gute Zwischenzeugnisse, das Abschlusszeugnis ist dann aber eine ganze Note schlechter. Wie soll der Betroffene reagieren?

Weuster: Ich habe eine Sammlung von 1000 Zeugnissen. In 114 Faellen habe ich Zwischenzeugnisse und darauf folgende Endzeugnisse verglichen. Bei den Zwischenzeugnissen fielen weit ueber 60 Prozent mit "gut" und "sehr gut" aus, bei den Abschlusszeugnissen knapp ueber 50 Prozent. So kann statistisch geschlossen werden, dass Zwischenzeugnisse haeufig besser ausfallen als Endzeugnisse.

Ein Arbeitnehmer kann nicht durchsetzen, dass er in einem Endzeugnis den gleichen Wortlaut erhaelt wie im Zwischenzeugnis, auch wenn das Zwischenzeugnis erst vor kurzem erstellt wurde. Es steht dem Arbeitgeber frei, neu zu formulieren. Die meisten Arbeitgeber werden sich allerdings keinen Doppelaufwand machen.

Allerdings geht von dem Zwischenzeugnis eine Bindungswirkung aus. Nehmen wir an, ein Arbeitnehmer war fuenf Jahre beschaeftigt. Nach vierjaehriger Taetigkeit wurde ihm ein gutes Zwischenzeugnis ausgestellt. Dann halte ich es fuer unmoeglich, dass ein Jahr spaeter ueber die Gesamtzeit nur ein befriedigendes Zeugnis ausgestellt wird. Weniger bindend ist das Zwischenzeugnis, wenn es bereits vier Jahre alt ist.

Andersch: Aber wie sieht es in den beruehmten Faellen aus? Es geht um die Trennung von einem Mitarbeiter, es wird ueber einen Aufhebungsvertrag verhandelt. Jetzt kommt der Arbeitnehmer mit dem Wunsch, ein Zwischenzeugnis ausgestellt zu erhalten. Und das Abschlusszeugnis faellt drei Monate dennoch schlechter aus.

Weuster: Ein Zwischenzeugnis dieser Art hat eine ganz erhebliche Bindungswirkung. Wir haben vorhin ueber Beweise gesprochen. Wer dem Richter in dem genannten Fall ein wesentlich besseres Zwischenzeugnis vorlegen kann, der gewinnt den Prozess.

Andersch: Kann man dem Arbeitnehmer also empfehlen, sich vor der Kuendigung sich erst einmal ein Zwischenzeugnis erteilen zu lassen?

Weuster: Ja, ich wuerde jedem Arbeitnehmer raten, jede Gelegenheit zu nutzen, sich ein Zwischenzeugnis geben zu lassen. Zwar wird man als Arbeitnehmer dann meist von der Seite angeschaut. Besser ist es, unverfaengliche Anlaesse zu waehlen: Man selbst wird innerhalb der Firma versetzt, der Vorgesetzte scheidet aus etc. Vorbeugend ist jedoch einem qualifizierten Arbeitnehmer zu raten, sich in den Arbeitsvertrag schreiben zu lassen, dass er jederzeit auf Wunsch oder alle zwei Jahre ein Zwischenzeugnis erhaelt. In der Praxis duerfte einem solchen Wunsch nachgekommen werden.

Andersch: Das Wort "Zwischenzeugnis" taucht in den einschlaegigen Paragrafen nicht auf. Gibt es ueberhaupt den Anspruch auf ein Zwischenzeugnis?

Weuster: Fuer viele Arbeitnehmer ist es tarifvertraglich geregelt. Aber die Formulierungen sind so wachsweich, dass man sich erneut streitet. Bei aussertariflichen Mitarbeitern oder Arbeitgebern, die nicht an den Tarif gebunden sind, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein Zwischenzeugnis auszustellen. Allerdings muss der Arbeitnehmer einen triftigen Grund haben wie Versetzung, oder er sagt offen, dass er gehen will. Also der Grund ist entscheidend. Es gibt einige wenige Stimmen in den letzten Monaten, die sagen, man muesste eigentlich dem Arbeitnehmer einen generellen Anspruch einraeumen. Aber das ist Zukunftsmusik.

Andersch: Welche Chancen haben Arbeitnehmer bei Arbeitsgerichtsprozessen? Wie gross sind die Erfolgsaussichten?

Weuster: Das ist natuerlich sehr schwer zu beantworten. Es haengt vom jeweiligen Fall ab.

Aus meiner Beratungstaetigkeit habe ich aber schon bei dem einen und dem anderen Arbeitnehmer den Eindruck gewonnen, dass er sich oft toller einschaetzt, als er ist. Wenn es irra- tional ist, was der Arbeitnehmer will, wird er sich nicht durch- setzen koennen. Es ist letztlich eine Frage der beweisbaren Fakten.

Andersch: Ist es denn notwendig, gleich den Gerichtssaal aufzusuchen, um bessere Zeugnisse durchzusetzen?

Weuster: Nein, keineswegs. In der Unternehmensbefragung, die ich vor kurzem gemacht habe, sagt die Haelfte der Arbeitgeber, dass sie einem protestierenden Arbeitnehmer das bessere Zeugnis ausstellen wuerden. Es geht also oftmals auch ohne grosse gerichtliche Auseinandersetzungen.

Fragen zum Karriere- und Bewerbungsgeschehen beantwortet der Autor der Serie unter der Rufnummer 052 31/355 88. Die Gespraechszeit ist allerdings auf zehn Minuten beschraenkt.