Produkt Software ist noch schwer in herkömmliche Kategorien einzuordnen

Juristen bei Pleiten in der SW-Branche: ratlos

11.11.1988

Das Thema ist nicht nur aktuell, das zeigen die immer wieder zu lesenden Nachrichten über den Gang eines Softwarehauses zum Konkursrichter, sondern auch brisant. Denn die vielen Rechts-fragen, die sich aus der Behandlung von Software in der Insolvenz ergeben, sind so gut wie ungeklärt.

Das hängt in erster Linie damit zusammen, daß sich das Produkt "Software" nicht, oder nur sehr schwer, in die herkömmlichen Kategorien von Rechtsgütern einordnen läßt. Als hauptsächlich geistiges Werk entzieht es sich weitgehend der Zuordnung zu den Forderungsrechten oder Mobilien (den Immobilien ohnehin), auf deren Erfassung und Verwertung die geltende Konkursordnung hauptsächlich eingerichtet ist.

Ein Konkursverwalter, der beispielsweise den Konkurs eines Maschinenbau-Unternehmens abzuwickeln hat, muß gemäß Paragraph 117 Abs. 1 Konkursordnung (KO) als erstes das Vermögen "in Besitz und Verwaltung" nehmen. Das ist bei Maschinen kein Problem. Ebensowenig bei eventuell in der Konkursmasse enthaltenen Forderungen: Hier genügt der durch das Einzelzwangsvollstreckungsrecht vorgezeichnete Weg, dem Schuldner der Forderung die Leistung an den Gemeinschuldner zu untersagen.

Vollstreckung: Urheber muß zustimmen

Doch was soll ein Konkursverwalter machen, der die Pleite eines Softwarehauses zu bereinigen hat? Er findet etwa Disketten oder beschriebenes Papier vor, das ganz zweifelsfrei zur Konkursmasse gehört. Was aber soll er mit dem Programm als solchem anfangen, dessen Wert den der Diskette gegebenenfalls um den Faktor 100 000 übersteigt?

Neben die rein faktischen Probleme treten die rechtlichen. Das fertige ebenso - unter bestimmten Voraussetzungen - wie das noch in der Entwicklung befindliche Computerprogramm, ist möglicherweise ein urheberrechtlich geschütztes Werk; allein schon die Feststellung dessen ist nicht sehr einfach. Wenn es ein solches ist, überlagern sich unter Umständen die Insolvenz-Probleme mit den urheberrechterlichen Problemen. Denn ein urheberrechtlich geschütztes Werk unterfällt grundsätzlich nur dann dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger (also auch des Konkursverwalters), wenn der Urheber, das heißt der Schöpfer des Programms seine Zustimmung erteilt.

Die Probleme lassen sich noch steigern, indem man sich den Fall ausmalt, daß dieser Schöpfer des Programms - zu welchem Zeitpunkt auch immer - das bankrotte Unternehmen verlassen hat und nunmehr dasselbe (oder doch zumindest ein ähnliches Programm) im Eigenbetrieb vermarktet. Vergreift er sich damit an der Konkursmasse, über die allein der Konkursverwalter verfügen darf? Ganz unabhängig von der darin möglicherweise liegenden Arbeitsvertrags- oder Wettbewerbsverbotsverletzung ist die Antwort auf die Frage nach der Identität der beiden Programme außerordentlich diffizil. Dennoch muß sie der Konkursverwalter finden, weil er bejahendenfalls die Konkursmasse vergrößern und die erzielten Einnahmen, eventuell im Wege der Konkursanfechtung, den Gläubigern zu führen kann.

Der Konkursverwalter hat diese rechtliche Pflicht, aus der vorhandenen Masse die größtmögliche Verwertungssumme herauszuholen. Das führt zu einem Insolvenzrechtsproblem, das man mit Fug und Recht als die Achillesferse der Computerisierung unserer Gesellschaft bezeichnen darf: Will sich ein Unternehmen Software von einem Programmhersteller beschaffen, so kann es das - bei einiger Komplexität des Programmes - grundsätzlich nicht im Wege eines Kaufvertrages tun, der ihm ein für alle Male sämtliche Rechte an der Software verschaffen würde. Vielmehr schließen Unternehmer und Hersteller einen Lizenzvertrag, von dem immerhin so viel klar ist, daß es sich um eine langfristige vertragliche Beziehung handelt.

Das hat konkursrechtlich zur Folge, daß der Konkursverwalter unter den in den Paragraphen 19 ff. KO beschriebenen Voraussetzungen den Vertrag kündigen kann, beziehungsweise muß, wenn sich eine lukrativere Absatzmöglichkeit bietet. Dasselbe Schicksal droht dem Unternehmer mit seinem Wartungs- oder dem Werkvertrag, aufgrund dessen er sich die auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Software erst erstellen lassen will. Droht im letztgenannten Fall der Konkursverwalter mit einer Aufhebung der Vertragsbeziehungen (Paragraph 17 KO), kann er allein schon damit aufgrund des bisher vom Softwarebesteller bereits mitgeteilten Know-hows einen Neupreis in die Höhe treiben.

Kein Problembewußtsein im Justizministerium?

Aufgrund dieser Gefahr plant der US-amerikanische Gesetzgeber eine Änderung des Bankruptcy Reform Acts, demzufolge Lizenzen im Verlauf eines Konkursverfahrens durch den Konkursverwalter nicht mehr aufgehoben werden können.

Es wird eine eingehende Diskussion darüber geben müssen, ob der deutsche Gesetzgeber einen ähnlichen Schritt unternehmen soll, zumal das Bundesjustizministerium erst vor wenigen Wochen seinen Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts veröffentlicht hat, ohne die genannten Probleme auch nur zu erwähnen.

Die Lösungen, mit denen sich die Praxis zur Zeit begnügt, sind vertragsrechtlicher Art und weit davon entfernt, auf festem, das heißt rechtlich abgesichertem Boden zu stehen. Denn in der Sache laufen alle diese unter dem Stichwort "Hinterlegungsvereinbarung" laufenden Bemühungen auf die Schöpfung eines neuen Aussonderungsrechts hin; das heißt die Software soll dem Zugriff der Gläubiger des Software-Herstellers entzogen werden. Das ist jedoch genau der Punkt, an dem sich der Zorn aller gegen das geltende Konkursrecht entzündet, und der in dem Kürzel "der Konkurs des Konkurses" sein einprägsames Schlagwort gefunden hat. Denn die Aus- und Absonderungsrechte machen viele heutige Insolvenzverfahren zur Farce.

Insoweit stehen alle "Hinterlegungs"-Versuche gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand. Es kommt hinzu, daß sich bei entsprechenden Hinterlegungen Probleme faktischer Art ergeben: Was ist beispielsweise zu hinterlegen? Die Idee? Der Quellcode? Oder die gesamten Unterlagen? Und wie können Sabotierungen dieser Hinterlegung verhindert werden? Wenn der Softwarebesteller allen Hindernissen zum Trotz eine wirksame Sicherheit erlangt hat, entsteht die Frage, wie dem Software-Hersteller geholfen werden kann, falls der Besteller Konkurs anmeldet.

Wissenschaftliche Diskussion setzt ein

Das Thema "Software in der Insolvenz" birgt aber noch eine Fülle weiterer Probleme, die ebenso wie die voranstehenden weit von dem erstrebenswerten Zustand wenigstens vorläufiger Rechtssicherheit entfernt sind. Das hängt vornehmlich damit zusammen, daß die wissenschaftliche Diskussion über diesen Themenkomplex erst jetzt eingesetzt hat, und daß so gut wie keine Rechtsprechung dazu existiert.

Als eines dieser zusätzlichen Probleme mag beispielsweise die Frage nach der Bewertung von Computerprogrammen genannt sein. Sie wird für einen Konkursrichter immer dann aktuell, wenn er über den Antrag zur Eröffnung eines Konkursverfahrens über ein Softwarehaus zu entscheiden hat. Sein Beschluß setzt nämlich voraus, daß ein Konkurseröffnungsgrund vorliegt.

Das ist immer dann der Fall, wenn der Schuldner, also das Softwarehaus, zahlungsunfähig ist, je nach Rechtsform des Unternehmens aber auch dann, wenn es überschuldet ist. Beide Tatbestände haben gemeinsam, daß sie erst auf der Grundlage einer Bewertung erschlossen werden können. Es ist dies eine der Schnittstellen zwischen betriebswirtschaftlichen und insolvenzrechtlichen Vorgehensweisen, deren Ausrichtung auf den Software-Markt einer gründlichen Untersuchung bedarf; und zwar nicht nur als Hilfsmittel für den Konkursrichter, sondern auch - und vor allem - für den Software-Hersteller selbst. Denn eine Klärung der Bewertungsproblematik gibt eine Handhabe für die Bewertung von Computerprogrammen ganz allgemein und wirkt sich somit unter anderem auch auf das Kreditsicherungsrecht aus: Benötigt etwa ein Softwarehaus Kredit und kann als Sicherheit nur halbfertige und/oder fertige Programme anbieten, ist der Kreditgeber heute in aller Regel mit deren Bewertung überfordert.

Dieser Überblick genügt als Dokumentation der Brisanz des Themas. Angesichts der stattlichen Zahl von etwa 3000 Software-Herstellern allein in der Bundesrepublik wird es mit Erreichen einer (ersten?) Programm-Sättigungsschwelle voraussichtlich zu einer erhöhten Zahl von Pleiten kommen.