Computergestütztes Warenwirtschaftssystem beim Bekleidungshaus Wöhrl, Nürnberg:

Jeder zwölfte Bayer in der Sesam-Datenbank

28.03.1978

NÜRNBERG - Die in den größeren bundesdeutschen Handelsunternehmen realisierten EDV-Lösungen gehören zu den modernsten in ganz Europa, und der Halle zählt zu den Branchen mit der höchsten EDV-Durchsatzrate. Der Schwerpunkt bei gegenwärtigen EDV-Lösungen hat sich eindeutig auf mittlere Unternehmen und dort vor allem auf den Bereich der Warenwirtschaft verlagert, nachdem die kaufmännischen Probleme als organisatorisch gelöst betrachtet werden.

Ein ebenso interessantes wie datentechnisch ausgefeiltes Gesamtkonzept für die Warenwirtschaft wird in diesen Monaten das Bekleidungshaus Wöhrl - mit Zentrale in Nürnberg - realisieren. Das Bekleidungshaus Wöhrl beschäftigt rund 900 Mitarbeiter in zehn - auf Bayern beschränkte - Verkaufshäusern.

Der Artikelbestand des Bekleidungshauses schwankt saisonal sehr stark, jedoch geht man von etwa 750 000 "Größensätzen" aus, die insgesamt in der Warenwirtschafts-Datenbank geführt werden müssen. Das Gesamtsortiment wird von etwa 1000 Lieferanten bezogen, 55 Prozent der Artikel laufen über den zentralen Wareneingang, während der Rest direkt vom Lieferanten an die Verkaufshäuser ausgeliefert wird.

Nixdorf-Kassen - Siemens-Host

Das gesamte System arbeitet lochkartenlos und interaktiv; alle zu verarbeitenden Daten werden über Bildschirm-Tastaturen ins DV-System ein- und über Drucker oder Displays ausgegeben. Im Bereich der Verkaufsdatenerfassung und -speicherung arbeiten intelligente Kassensysteme, mit denen der Warenkreislauf organisatorisch erfaßt und zu einem Warenwirtschaftssystem aufgewertet wird. In den Verwaltungsbereichen wird der interaktive Betrieb über zehn Arbeitsbildschirme gesteuert, von denen sieben in der Zentralverwaltung und drei in den etwa 200 Meter entfernt eingerichteten Abteilungen Buchhaltung und Stammkunden-Bearbeitung sowie Programmierung installiert werden. Die Verbindung stellt eine Standleitung mit einer Übertragungsleistung von 9600 Baud her.

Das zentrale Großsystem einschließlich der Peripherie und der Arbeitsbildschirme wird von der Siemens AG und die intelligenten Systeme im Verkauf von der Nixdorf Computer AG geliefert (siehe Konfigurations-Schaubild). Das Bekleidungshaus Wöhrl hat insgesamt 25 Kassenterminals (System Nixdorf 8812) geordert, von denen in den zehn Häusern zunächst 23 Geräte installiert werden. Die Datenkassen arbeiten nach dem Master-Slave-Prinzip: Neben einer Hauptkasse pro Haus werden - je nach Filialgröße - eine bis drei Nebenkassen eingerichtet.

Intelligenz am Point-Of-Sale

Das Kassensystem besitzt eigene Intelligenz, die ermöglicht, daß vielfältige Informationen bereits in den Filialen abgerufen werden können. So werden beispielsweise der Erfolg bestimmter Werbeaktionen, der Preisnachlaß im Verhältnis zum Umsatz oder die Verkäuferleistung vom Geschäftsführer der Filiale nach Kassenschluß abgerufen. Jede Nebenkasse ist über eine eigene Leitung mit der Hauptkasse verbunden (Speicherkapazität der Hauptkassen: 24 KB, der Nebenkassen: 12 KB); in dieser werden die eigenen und die Verkaufsdaten der Nebenkassen auf einer Diskette gespeichert und - per Datenfernübertragungs-Wählleitung in den gebührenarmen Abend- und Nachtstunden - zum Großrechner (Siemens System 7.722) übertragen (durchschnittliche Übertragungskosten pro Haus und Monat: 6 Mark).

Auch die Weiterverarbeitung der Verkaufsdaten geschieht unter dem Aspekt der Aktualität: Die wichtigsten Informationen - so zum Beispiel der Gesamtumsatz eines Hauses im Vergleich zum Vorjahr sowie der kumulierte Monatsumsatz - werden für die Geschäftsleitung noch in der gleichen Nacht verdichtet und liegen am Morgen zur Vorlage bereit.

Der Informations-Kreislauf ist im Bekleidungs-Haus Wöhrl an den physischen Warenkreislauf gekoppelt. Doch bereits vor Anlieferung der Wareneingänge werden die Daten der Lieferantenaufträge über vier mit angeschlossenen Druckern im Wareneingang installierten Arbeitsbildschirmen ins Computersystem eingegeben. Dadurch kann beim Wareneingang der Orderbestand mit dem Zugang - per Bildschirm - verglichen und - sofern Übereinstimmung besteht - direkt verbucht werden. Gleichzeitig mit dem Wareneingang werden die Auszeichnungsetiketten von den angeschlossenen Druckern - in OCR-A-Schrift - erstellt.

Verdichtung durch die Datenbank

Für die etwa 45 Prozent der Anlieferungen, die nicht über die zentrale Warenannahme, sondern direkt über die einzelnen Verkaufshäuser laufen, ist folgender Ablauf vorgesehen: Die Warenbegleitpapiere (Lieferscheine) werden zur zentralen Erfassung nach Nürnberg geschickt, dort in OCR-A-Etiketten umgesetzt und sofort wieder an die einzelnen Filialen zurückgeschickt. Es ist aber auch denkbar, die Direktlieferungen künftig über die POS-Systeme zu erfassen; in diesem Fall würden die Wareneingangsdaten auf der Diskette der jeweiligen Hauptkasse gespeichert und - gemeinsam mit den Verkaufsdaten des Tages - per Wählleitung zum Hauptrechner übertragen. Die Warenauszeichnung (genauer: Etikettenerstellung) soll auf jeden Fall von einer zentralen Stelle aus erfolgen.

Auf allen Warenfluß-Stufen werden die für eine Weiterverarbeitung relevanten Daten der Lieferanten-Bearbeitung, der Disposition, der Stammkunden-Pflege, der Personalkontrolle und der Rechnungslegung in Form einer - durch eine Datenbank realisierten - integrierten Verarbeitung verdichtet. Diese "Warenwirtschafts-Datenbank" ist in mehrere Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt besteht aus sogenannten "Orderkopf-Datensätzen"; hier sind die Informationen über die Verkaufshäuser und Artikel enthalten. Ein weiterer Abschnitt umfaßt die Filialdaten (Belieferungszeiten für einzelne Häuser), und im dritten Abschnitt steht eine hierarchisch aufgebaute Ordernummer (die Größensätze).

Mit Hilfe der Ordernummer können beliebige Selektionen vorgenommen werden, ohne daß jeweils ein neues Programm geschrieben werden müßte. Ein Größensatz enthält Informationen über die bestellte Menge je Artikel, über bereits gelieferte Mengen, über den Bestand und den Abverkauf. Außerdem sind Felder für den Inventurbestand vorgesehen; ein Größensatz hat eine Länge von etwa 40 Bytes.

Eine für Handelsbetriebe echte Novität ist die bei Wöhrl geschaffene Möglichkeit der direkten Verkäufer-Erfolgskontrolle. Dazu muß jede Verkaufskraft nach einem erfolgreichen Verkauf ein Zusatzetikett - ebenfalls in OCR-A-Schrift - (seine Personaldaten) auf das Warenetikett kleben. Diese Personalnummer wird mit der Erfassung an der Kasse eingelesen und ermöglicht bei der späteren Auswertung eine Erfolgskontrolle einzelner Verkäufer - eine Möglichkeit, die der Einzelhandel bisher immer gefordert, aber noch nicht realisiert hat. Zudem wird dadurch auch das gesamte Prämiensystem - in Verbindung mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung - computermäßig erfaßt.

Verkäufer unter Kontrolle

In Zukunft soll auch der den Wöhrl-Mitarbeitern gewährte Personalrabatt mit dem POS-System erfaßt werden. Dazu bekommen alle Mitarbeiter eine Ausweiskarte mit ihrer Personalnummer und dem Paßfoto als Identifikationsmerkmal. Gemeinsam mit den Artikeldaten wird dann mit Hilfe der OCR-Lesepistole die Personalnummer erfaßt, und die Datenkasse errechnet den richtigen, um den Personalrabatt reduzierten Einkaufsbetrag. Alle auf dem Etikett befindlichen Informationen werden durch eine Prüfziffer abgesichert.

Ein weiterer "Hit" bei Wöhrl ist die "Stammkunden-Datenbank": Rund 800 000 Wöhrl-Stammkunden - etwa jeder zwölfte Einwohner Bayerns - werden in der (Sesam-) Datenbank gespeichert. Geplant ist, die zur Zeit mit Namen, Adressen und Geburtsdaten abgespeicherten Kunden um weitere Stammdaten wie kundenindividuelle Kaufgewohnheiten, Familienstand, Konfektionsgrößen, bevorzugte Farben, Modebewußtsein etc. zu ergänzen. Dadurch würde die Werbung - alle Stammkunden erhalten schon heute einmal im Jahr einen Geburtstagsglückwunsch und darüber hinaus regelmäßige Werbeinformationen - in Zukunft noch Zielgruppen-orientierter arbeiten.