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Januar

22.12.1998
Von Michael Hufelschulte
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Jahr beginnt mit einem Paukenschlag: Für 17 Milliarden Mark übernimmt Compaq den Traditionskonzern Digital Equipment. DEC hatte sich zuvor einer Schlankheitskur unterzogen, in deren Verlauf unter anderem die Netz-Division an Cabletron und die Alpha-Fertigungsstätten an Intel verkauft worden waren. Für Compaq ist das Unternehmen vor allem wegen seiner 25 000 Mitarbeiter starken Servicecrew interessant.

Mit der Übernahme lacht sich der PC-Krösus jedoch eine ganze Palette von Problemen an. DEC verfügt über eine weitverbreitete Basis an proprietären Technologien, die kein Massengeschäft versprechen, aber aufgrund der Kundenverpflichtungen weitergeführt werden müssen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Kulturen: Hier die rasant gewachsene, agile PC-Schmiede, die sich kompromißlos am Markt und am vielzitierten Shareholder-Value orientiert. Dort das behäbige, aber technisch versierte Traditionshaus mit einer Belegschaft, der stets ein großes Mitspracherecht zugestanden wurde. Bis heute ist unklar, ob diese beiden Welten so zusammenwachsen können, daß ein schlagkräftiger und profitabler Allround-Anbieter entsteht.

Vergnügliches verkündet zu Jahresbeginn Karl-Heinz Krummeck, der seine Vision vom „Volkscomputer“ enthüllt - einem leicht zu bedienenden Handheld für das „Volk“ eben. Das Gerät namens „Mailpad/Eurodiver“ wurde von einem Firmenverbund mit Zuschüssen der Europäischen Union entwickelt. Es handelt sich um einen Kleinstrechner, der „ohne jeden technologischen Ballast“ auskommen soll, erklärt der Chef der deutschen Sema Group. Kritiker bemängeln jedoch das Konzept, da beispielsweise keine Kompatibilität zu gängigen PCs vorgesehen sei.

Microsoft ist zu diesem Zeitpunkt längst Gegenstand staatlicher Ermittlungen - wegen des Bundlings von Betriebssystem und Browser. Das Unternehmen hat dem Justizministerium zwar versprochen, beide Technologien zu trennen, doch gleichzeitig wird den Anwendern mitgeteilt, das Herauslösen des „Internet Explorers“ aus der neuesten Windows-95-Version bedeute eine Einschränkung der Funktionalität. Wenige Wochen später läßt Microsoft auf fortgesetzten Druck der Behörden das Internet-Explorer-Icon von Windows 95 verschwinden.

Doch das Unternehmen kämpft noch an anderen Fronten. Als Bedrohung empfindet Bill Gates offenbar Novells Strategie, mit seinen Verzeichnisdiensten eine klaffende Lücke im NT-Angebot von Microsoft schließen zu wollen. Der Softwaregigant läßt durchblicken: Wer als NT-Kunde mit Novell fraternisiert, kann keineswegs damit rechnen, von Microsoft weiterhin Support zu erhalten.

Bei Apple mehren sich die Anzeichen einer nachhaltigen Genesung. Nach fünf negativen Quartalen in Folge teilt der Unternehmenslenker auf Zeit, Steve Jobs, mit: Im ersten Quartal 1997/98 blieb ein Nettoerlös von 45 Millionen Dollar in der Kasse. Fortan gilt es für den krisengeplagten Mac-Hersteller, auch an der Umsatzschraube zu drehen. Den Kurs, die Produktpalette auf wenige profitable Linien zusammenzuschmelzen, setzt Jobs fort, indem er nun auch die Handheld-Serie „Newton“ einstellt. Wenige Monate später wird das ambitionierte Betriebssystemprojekt „Rhapsody“ ebenfalls zu den Akten gelegt - bereits entwickelte Bestandteile sollen in das Mac-OS einfließen. Für Furore sorgt Apple dann im Frühjahr mit der Ankündigung des „iMac“, einem All-in-one-Desktop im grünschimmernden

Designeroutfit.

Sun-Chef Scott McNealy erkennt, daß die hauseigene Risc-Plattform Sparc nicht das alleinige Maß aller Dinge ist. Er kündigt an, das Unix-Derivat „Solaris“ werde auf die 64-Bit-Plattform „IA 64“ (Merced) von Intel und Hewlett-Packard portiert. Sun selbst will jedoch keine Intel-Rechner produzieren, sondern lediglich für eine weitere Verbreitung von Solaris sorgen.

Wer Microsoft und Intel bislang für siamesische Zwillinge gehalten hatte, muß sich nun eines Besseren belehren lassen: Intel drängt mit dem IA 64 in den Unix-Markt. Abgesehen von IBM unterhalten zu diesem Zeitpunkt alle namhaften Unix-Anbieter Partnerschaften mit dem Prozessorhersteller.

Ein seit langem schwelender Streit zwischen Andersen Consulting und der verschwisterten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen kommt zum offenen Ausbruch. Die Consultants fühlen sich bei der internen Gewinnumlage benachteiligt und wollen den Verbund mit den Auditoren aufkündigen. Sie kritisieren auch, daß sich Arthur Andersen entgegen allen Absprachen im IT-Beratungsgeschäft breitmache, so daß Andersen Consulting de facto einen Wettbewerber finanziere.

Zu den Absteigern des Jahres gehört der kanadische Softwareproduzent Corel, der im Januar sein Entwicklungsprojekt „Office for Java“ erfolglos abbrechen und einen Quartalsverlust von 95 Millionen Dollar verschmerzen muß. Schlimmer noch trifft es den Festplattenriesen Seagate, der wegen Nachfrageschwäche 10 000 Mitarbeiter entläßt und mehrere Werke schließt.

Ebenfalls angeschlagen wirken die Netzwerkfirmen 3Com und Cabletron: Beide kämpfen mit starken Gewinneinbrüchen, bei Cabletron werden sogar zwei Produktionsstätten in den USA aufgegeben. Zu den Verlierern zählt schließlich auch Netscape: Der einstige Shooting-Star der Internet-Branche gibt seine Browser aufgrund der harten Konkurrenz von Microsoft kostenlos ab und muß einen Quartalsverlust von 20 Millionen Dollar in Kauf nehmen. Konsequenz: Netscape konzentriert sich auf seine Suitespot-Server-Palette für den Profimarkt und investiert in den Aufbau der Portal-Site "Netcenter".

Zum Dauerthema im Jahr 1998 wird das Datumsproblem: Schaffen Unternehmen die rechtzeitige Anpassung ihrer Datenverarbeitung an das Jahr 2000? Die großen Nutznießer der Krise sind die Anbieter betriebswirtschaftlicher Standardsoftware. SAP steigerte ihren Umsatz 1997 nicht zuletzt deswegen um 60 Prozent, weil die Kunden mit der Einführung eines neuen Komplettpakets reinen Tisch machen wollten.

Den Traum von der schnellen Mark im Internet hegen in diesen Tagen nicht nur Millionen von Anlegern, sondern auch die Gründer von Startup-Companies. Hotmail gehört zu den Firmen, die sich ihren Traum erfüllen. Microsoft schluckt den Pionier eines kostenlosen Web-basierten E-Mail-Dienstes für die horrende Summe von 630 Millionen Mark.

Ein Jahr des Ärgers beginnt für die Deutsche Telekom, die ihrerseits die neuen Wettbewerber auf die Palme bringt. Kunden, die im liberalisierten TK-Markt den Anbieter wechseln möchten, sollen nach Vorstellung des Carriers eine „Bearbeitungsgebühr“ von 95 Mark bezahlen. Hinzukommen sollen weitere 53 Mark für diejenigen, die ihre alte Telefonnummer behalten möchte. Klaus-Dieter Scheurle, Chefregulierer und ständiger Gegner von Telekom-Boß Ron Sommer, will die Sache prüfen - dafür erntet er einen Rüffel von EU-Kommissar Karel van Miert, der sofortiges Einschreiten für geboten hält.