Konsolidierung im Softwaresektor

Jäger und Gejagte

03.09.2004

Der DV-Leiter eines mittelständischen Maschinenbauers klagte unlängst über "seine", vom Vorgänger hinterlassene ERP-Lösung: "Das schlimmste Programm, mit dem ich jemals arbeiten musste." Die Frage, wann und auf welche Plattform er denn angesichts der (genüsslich) berichteten Schwächen migrieren werde, überraschte ihn: "Ich führe mit Sicherheit kein neues ERP-System ein, solange das Alte noch halbwegs läuft."

Softwareanbieter haben die Zurückhaltung in Anwenderkreisen bemerkt - wenn schon nicht durch direkte Kundengespräche, dann zumindest über die Entwicklung ihres Lizenzgeschäfts. Die Luft ist raus aus der Branche, vor allem der Sommer hat die Hoffnung auf einen starken Aufschwung eingetrübt. So viele Umsatz- und Gewinnwarnungen wie zum zweiten Kalenderquartal hat es schon lange nicht mehr gegeben. Fußballreporter würden von einem "unansehnlichen Klein-Klein im Mittelfeld" sprechen und vehement den entscheidenden Pass in die Tiefe des Raums fordern. Dort stehen jedoch die Controller dicht gestaffelt und verteidigen ihre Budgets - um jeden Preis.

Die weiten Pässe der Anbieter kommen folglich immer seltener bei den Vorderleuten an: SAPs jüngster Vertrag mit dem US Postal Service (35 Millionen Dollar) und Peoplesofts Kontrakt mit Mexikos Steuerbehörden (50 Millionen Dollar) bilden die Ausnahmen. Statt dessen optimieren Anwender lieber die vorhandenen Systeme. Druck, neue Programme zu kaufen, gibt es gegenwärtig nur in Einzelfällen. Die Zeit der Sonderkonjunkturen (Jahr 2000, Euro) ist vorbei; innovative Vertriebsargumente wie Basel II oder die Erfüllung rechtlicher Vorgaben in den USA (Sarbanes-Oxley Act) ziehen nicht - im Gegenteil (siehe Kasten "Sarbanes-Oxley wirkt sich aus").

Betroffen von der Sommerschwäche waren wieder einmal die Softwerker der zweiten Reihe, etwa Siebel, BMC, Veritas, Sybase, Filenet und selbst Peoplesoft. Gründe für den Einbruch wurden viele genannt - hohe Ölpreise, Angst vor Terror und Krieg, starker Wettbewerbsdruck, Preisverfall, viele Arbeitslose. "Die makroökonomischen Belastungsfaktoren haben zugenommen und die Unsicherheit der Anwender verstärkt", fasst Knut Woller den Verlauf des Juni zusammen. Der Softwareanalyst der Hypovereinsbank (HVB) geht davon aus, dass das "Underspending der IT-Budgets" auch über die Monate Juli und August angehalten haben könnte. Für die Anbieter ist der Sommer folglich doppelt dumm gelaufen - Geld wäre zwar verfügbar gewesen, es wurde nur nicht investiert.

Satte Anwender - hungrige Anbieter

Dass viele Softwaremärkte, vor allem im Großkundensegment, gesättigt sind, kommt hinzu. Einstellige Wachstumsraten bestimmen gegenwärtig die Tagesordnung, eine rasche und grundlegende Belebung zeichnet sich zudem nicht ab. Scott Kriens, Chef des Netzausrüsters Juniper, fand den eingängigsten Vergleich: "Die wirtschaftliche Erholung wird keine Flut sein, die alle Boote gleichermaßen anhebt." Der Bericht Oracles zum ersten Fiskalquartal, der Mitte September ansteht, kann Zeichen setzen, wo die Reise der Softwarebranche in den kommenden Monaten hingeht.

Derweil schreitet die Konsolidierungswelle unter den Lieferanten weiter fort. Das Motto: Große Unternehmen kaufen andere Unternehmen und werden riesig; kleine Firmen hingegen lassen sich entweder kaufen, bleiben in ihrer Nische oder lösen sich auf. Beispiele für früher undenkbare Transaktionsansätze gibt es genügend: Sun Microsystems hatte mit dem Gedanken gespielt, Novell zu übernehmen; Microsoft war kurze Zeit hinter SAP her, Oracle hat es immer noch auf Peoplesoft abgesehen, Bea Systems und Siebel werden schon länger eine Zukunft als eigenständige Anbieter abgesprochen. Die Zahl der erfolgreichen Übernahmen im Softwaresegment von Januar 2004 bis Ende August schätzt der Börsen- und Wirtschaftsdienst Bloomberg auf über 800. "Damit haben die Aktivitäten das höchste Niveau seit dem Jahr 2000 erreicht", sagt Thomas Gumsheimer, Partner und IT-Experte bei der Strategieberatung Bain & Company.

Softwerker sägen am eigenen Ast

Vor allem die Anbieter der zweiten Reihe stehen vor dem Dilemma, dass sie ohne ein breites Wachstum des Marktes die Vorgaben der Analysten und Investoren nicht mehr erfüllen können. In diesem Fall sinken das Vertrauen und der Aktienkurs, so dass ihre einzige Übernahmewährung - sollten sie nicht auf großen Bargeldreserven sitzen - allmählich entwertet wird. Dies wiederum verstärkt den Preisdruck, denn Marktanteile müssen gekauft werden, was den Ausleseprozess beschleunigt und die Anbieter am Ast sägen lässt, auf dem sie sitzen - die Revolution frisst ihre Kinder. "Zahlreiche mittelgroße Softwareunternehmen sind geborene Übernahmekandidaten", folgert Bain-Partner Gumsheimer.

Dabei spielen nicht nur die leidlich wachsenden IT-Budgets der Anwender eine Rolle. Unternehmen haben in den vergangenen Jahren auch die Zahl der von ihnen bevorzugten Lieferanten ("preferred vendors") rigoros zusammengestrichen. "Im Tech-Boom kam es zu einer Dezentralisierung der Investitionsentscheidungen, und die Budgets wurden auf viele Anbieter verteilt", berichtet HVB-Analyst Woller. Der Trend habe sich in der Krise umgekehrt. Häufig sind von ehemals 50 IT-Anbietern nur noch drei auf der Liste übrig, die sich über die strategische Aufwertung freuen dürfen. Andere gehen leer aus - in der Regel kommen sie als technologische Sublieferanten der Konzerne zum Zug, wenn sie rechtzeitig ihre Hausaufgaben im Partnergeschäft gemacht haben.

Aus Angst, ihren strategischen Lieferanten zu verlieren, schaffen die Anwender durch ihr Kaufverhalten eine Handvoll starker Hersteller und setzen Standards. Der Begriff der "reifen Branche" macht die Runde, was in der Konsequenz heißt, dass neben fünf bis sieben internationalen Softwarekonzernen lediglich Platz für technologische sowie regionale Spezialisten bleiben wird. Die Frage ist, in welcher Region: Nordamerika oder Nordhessen?

Keine Experimente

Aufhalten lässt sich die Bereinigung der Branche nicht mehr. Wenn die wirtschaftliche Lage weiter fragil bleibt, wird sich die Konsolidierung beschleunigen. Zieht die Wirtschaft an, "werden vorerst weiterhin die großen Anbieter davon profitieren", prognostiziert Analyst Woller. Anwender, so seine Argumentation, seien kaum bereit, Experimente einzugehen. Best-of-Breed hat die besten Zeiten hinter sich, laut Gumsheimer verlangen die Kunden "Zuverlässigkeit und Einfachheit".

Auch die Wettbewerbsbehörden würden die Konzentrationswelle in der Branche nicht aufhalten können, so der Bain-Partner. Gumsheimer geht davon aus, dass innerhalb von fünf Jahren jeder zweite unabhängige Anbieter vom Markt verschwinden wird. "Für Softwarehäuser wird die Kontrolle der installierten Basis zum Schlüsselfaktor im Wettbewerb." Die Bedeutung der Produktinnovationen für die Hersteller tritt gleichzeitig in die zweite Reihe zurück. Das vorrangige Ziel sei es, "Skalenvorteile in Bezug auf die Kundenbeziehungen zu erreichen", so Gumsheimer. Eben dies gelingt derzeit nur über Zukäufe.

Die Konsolidierung kann sich noch über Jahre hinziehen, und sie wird nicht nur aus der Branche heraus angetrieben. Beteiligungsgesellschaften haben ihr Engagement in den vergangenen zwei Jahren deutlich gesteigert: "Die Perlen der Industrie werden zuerst aus dem Markt gekauft", sagt Gumsheimer. Der Rest kämpft gegen sein Schicksal an. Andere Branchen haben die Phase schon hinter sich. "In der Summe wird die Schere zwischen den großen und kleinen Softwareanbietern weiter aufgehen", prognostiziert HVB-Analyst Woller. Der Automobilbereich und der Pharmasektor geben dabei ein gutes Beispiel ab. Am Ende kontrolliert ein Oligopol, gebildet von wenigen Konzernen, das Softwaresegment: "Die Geschichte", resümiert Woller, "ist ein guter Lehrmeister."

Sarbanes-Oxley wirkt sich aus

Der Sarbanes-Oxley-Act, der neue Bilanzprü-fungs- und Haftungsregeln mit sich bringt, könnte gravierende Auswirkungen auf den Umsatz von Softwareanbietern haben - allerdings anders als ursprünglich gedacht. Die Investmentbank JMP Securities reduzierte vergangene Woche ihre SAP-Einschätzung von "market perform" auf "market underperform". Das Kursziel wurde auf 30 Dollar gesenkt, was etwa 20 Prozent unter dem aktuellen Kurs liegt.

Hintergrund sei die Entscheidung einiger US-amerikanischer Firmen, die Implementierung von ERP-Systemen einzufrieren. In den kommenden Monaten würden keine neuen Programme eingeführt, so JMP, sondern verstärkt die bestehenden Anwendungen an das Gesetz angepasst. Die größten Auswirkungen habe dies auf ERP-Anbieter, worunter vor allem der Marktführer SAP leiden werde, hieß es. Ein SAP-Sprecher in den USA widersprach dieser Einschätzung.

Die Investmentbank Piper Jaffray hatte bereits im Juli das schwache Abschneiden einiger Softwerker im zweiten Quartal mit den Auswirkungen des Sarbanes-Oxley-Acts begründet. Neben dem Testen und Dokumentieren sei schlicht keine Zeit gewesen, Entscheidungen über Neuanschaffungen zu fällen. Einig sind sich die Finanzexperten indes nicht: Konkurrierende Analysten äußerten Zweifel an der Theorie und werteten sie als einen weiteren Versuch, die Sommerkrise der Softwarebranche zu erklären.

Wer will wen?

"Wer nicht Marktführer ist, wird sich Marktanteile kaufen müssen", sagt Knut Woller, Analyst der Hypovereinsbank (HVB). Beispiele gibt es inzwischen viele:

- Oracle will Peoplesoft, die sich bereits JD Edwards einverleibt haben;

- Open Text kauft den Content-Markt auf;

- Brio und Crystal Decisions wurden im Business-Intelligence-Umfeld geschluckt.

Marktführer hingegen setzen auf die Akquisition neuer Technologien, um ihr Portfolio abzurunden. Die Funktionen werden dann - kostengünstig bis kostenlos - in einem Gesamtpaket angeboten, so dass sich die übriggebliebenen Spezialisten schwer tun, als Best-of-Breed-Anbieter zu überleben. Microsoft und inzwischen auch SAP haben die Strategie perfektioniert. "Die Segmentierung der Softwareindustrie verschwimmt immer mehr", sagt Woller, "und es kommt zu einer Konvergenz unterschiedlicher Bereiche."