IT made in Germany/Wo hiesige Unternehmen erfolgreich sind

IT-Standort Deutschland: Besser als sein Ruf

24.09.2004
Im internationalen IT-Geschäft gilt das Markenzeichen Made in Germany kaum etwas. Exportweltmeister Deutschland muss Handelsdefizite in Milliarden-Euro-Höhe verbuchen. Dennoch: Es gibt neben SAP und T-Mobile noch mehr international erfolgreiche Firmen in Deutschland. Von Hermann Gfaller*

In keinem Land wird die Standortdebatte so heftig geführt wie hier zu Lande. Verblüfft liest man, dass laut Statistischem Bundesamt nur 2,14 Prozent der deutschen Firmen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik (ITK) tätig sind. Da beruhigt es nur wenig, wenn der Branchenverband Bitkom hinterherschiebt, dass sie dabei mit sechs Prozent deutlich überproportional zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.

Zu diesen ernüchternden Werten passt, dass Deutschland im aktuellen "Global Information Technology Report" des World Economic Forum (WEF) nur auf dem zehnten Platz landet. Gemessen wird hier nicht nur die ITK-Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, sondern auch die von Gesellschaft (Akzeptanz) und Politik (Rahmenbedingungen). Die größte Bremswirkung geht von der schwachen wirtschaftlichen Situation und dadurch bedingt von der geringen Unterstützung der Politik sowie der vergleichsweisen geringen IT-Akzeptanz der deutschen Bürger aus. In allen drei Bereichen hat sich jedoch gegenüber dem Vorjahr viel getan, als Deutschland im Ländervergleich noch auf Platz 17 dümpelte. Die Richtung scheint also zu stimmen.

Intensive IT-Nutzung in den Unternehmen

Wirtschaftlich steht Deutschland nicht so schlecht da, wie oft behauptet wird. Das Land ist trotz der seit Jahren schwierigen Situation mit knapp 130 Milliarden Euro der größte Markt für Informations- und Kommunikationstechnik in Europa. Das liegt nicht nur am hohen Käuferpotenzial. Was den Ausbau der Infrastruktur und der Durchdringung der Unternehmen mit ITK-Techniken betrifft, steht das Land seit Jahren unangefochten an der Weltspitze. Mehr als die Hälfte der Industrieproduktion und über 80 Prozent der Exporte Deutschlands hängen vom Einsatz moderner ITK-Systeme ab. Insbesondere Internet-Techniken wie E-Mail, E-Commerce, E-Procurement, B2B-Marktplätze und Websites werden intensiver genutzt als anderswo in Europa. Nach diesen Informationen des vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Faktenberichts "Monitoring Informationswirtschaft" kann also von Technikfeindlichkeit zumindest in den Firmen keine Rede sein.

Betriebliche Prozesse vor Services

Beim weltweiten ITK-Umsatz belegt Deutschland den dritten Platz. Mit einem Marktanteil von sechs Prozent sind die Abstände zu Japan (12,3 Prozent) und den führenden USA (32,4 Prozent) allerdings beträchtlich. Ohne Kommunikationstechnik liegen wir nur noch auf Platz vier. Die Briten sind 2003 mit einem höheren IT-Umsatz insbesondere dank des hard- und softwareintensiven Service-Bereichs an uns vorbeigezogen. Neben dem Outsourcing-Boom der 90er-Jahre treiben dort vor allem Finanzdienstleistungen das IT-Geschäft.

Die positiven Werte verweisen trotz großer Nachfrageprobleme insbesondere im Consumer-Bereich auf einen relativ stabilen Binnenmarkt, der nicht zuletzt von mittelständischen Softwerkern und Dienstleistern getragen wird. Die einst im Dunstkreis der Mittelklasse-Rechner von IBM und Nixdorf entstandene Szene für betriebswirtschaftliche Programme hat sich inzwischen aus diesen Abhängigkeiten befreit und bietet ihre Leistung längst auch auf Wintel-Systemen oder auch plattformunabhängig an. Linux, Java und Browser-Oberflächen gelten hier als Techniken, die helfen, Kosten zu sparen und Entwicklern wie Kunden ein Höchstmaß an Flexibilität versprechen.

Das eigentliche Erfolgsgeheimnis dieser Anbieter ist jedoch ein anderes: Mittelständler gehen auf die wirtschaftlichen und funktionellen Anforderungen ihrer ebenfalls mittelständischen Kunden ein. Nicht einmal dem Weltkonzern SAP ist es bislang gelungen, nennenswert in diese intime Beziehung von Partnern einzubrechen, die einander verstehen. Mit Gelassenheit nehmen daher viele mittelständischen Anbieter die Bestrebungen von Microsoft zur Kenntnis, den Markt zu erobern. Interessant ist das Geschäft alle Mal: Kleine und mittlere Unternehmen gelten nach Meinung fast aller Marktbeobachter als Wachstumstreiber der Branche - nicht nur im ERP-Geschäft.

Nicht immer also vermittelt der Blick auf die Exportfähigkeit einer Branche ein realistisches Bild. Dennoch bleibt richtig, dass "Made in Germany" als internationales Markenzeichen in der IT nicht viel gilt. Kein Wunder bei einem ITK-Handelsdefizit von rund elf Milliarden Euro im Jahr 2002, möchte man meinen. Ein deprimierender Wert für ein Land, das sich ansonsten als Exportweltmeister sieht. Dahinter verbirgt sich jedoch eine Situation, mit der sich fast die ganze Welt mit Ausnahme der USA und der Tigerstaaten konfrontiert sieht. Traditionell stammen fast die gesamte Hardware und ein Großteil der systemnahen Software aus den USA (siehe Kasten: Standortvorteil USA). Würde man die elf Milliarden mit dem Wert aller nach Deutschland verkauften HP- und Dell-PCs sowie mit der darauf laufenden Microsoft-Software verrechnen - wer weiß, wie die Bilanz dann aussähe. Zudem gehen viele Produkte als Made in Germany ins Ausland, die Komponenten aus aller Welt enthalten. Umgekehrt wird die in Waschmaschinen und Autos verbaute Hard- und Software nicht mehr dem IT-Export zugeschlagen.

Geschäftsstrategien für Große und Kleine

Und doch gibt es deutsche Exportschlager. Wie es dem ERP-Weltmarktführer SAP gelang, die betriebswirtschaftliche Schwäche der US-Firmen für sich fruchtbar zu machen, so hat T-Mobile dort eine Infrastruktur-Lücke für sich genutzt: Die Unfähigkeit der US-Kommunikationsindustrie, sich auf einheitliche Standards zu einigen, gab T-Mobile die Chance, als erster Betreiber ein USA-weit einheitliches Mobilfunknetz zu schaffen. Und derzeit versucht die aus 1 38;#38;1 hervorgegangene United Internet AG, sich über Billigangebote als Internet-Provider in den USA zu etablieren. "Wer es dort schafft, schafft es überall", lautet die Regel.

Es gibt auch andere Strategien. Konzerne wie Siemens oder die Telekom kaufen sich in fremde Märkte ein. Kleinere Firmen hängen sich an den Erfolg großer Player. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Ixos AG. Jahre lang hat der Archivspezialist im Kielwasser der SAP den Weltmarkt erobert, sich jetzt aber in die Arme von Opentext geworfen, Das US-Unternehmen sieht sich als Weltmarktführer für Enterprise Content Managment (ECM).

Expansion unter fremder Flagge

Auch andere High-Tech-Firmen geben ihre Eigenständigkeit auf, um in einem wachstumsorientierten, meist amerikanischen Unternehmen aufzugehen. So ist der weltweit größte Unix-Distributor Suse ist bei Novell gelandet. Ein weiteres Beispiel ist die mit Klingeltönen und Handy-Bezahlsystem groß gewordene Jamba AG, Berlin, die seit kurzem der kalifornischen Netz-Security-Firma Verisign gehört. Zu den Gründen für den Verkauf gehört, dass organisches Wachstum mühsam ist. Zudem ist es seit der Dotcom-Krise und Basel II noch schwieriger geworden, Kredite von Banken zu bekommen; für Internet-Companies ist es fast unmöglich. Zwar gibt es inzwischen auch hier zu Lande reichlich Wagniskapital-Geber. Laut Luis Praxmarer, Senior Vice-President der Meta Group, fallen hier aber die meisten deutschen Interessenten durch, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, ihre Geschäftsideen international zu vermarkten. Was liegt näher, als sich eine Konzernmutter zu suchen, die diese Fähigkeiten schon bewiesen hat. Man kann darüber spekulieren ob dieser Know-how-Ausverkauf dem Standort Deutschland schadet oder nicht. Klar ist eines: Deutsche Unternehmen sind für ausländische Investoren attraktiv.

Hoffnungsträger Mobilfunk

Doch auch für ITK-Unternehmen, die selbstständig bleiben wollen, stehen die Chancen nicht schlecht. Viele Unternehmen haben ihre Prozesse gestrafft, Kosten reduziert und einfache Aufgaben ins Ausland verlegt. Laut der aktuellen Bitkom-Umfrage haben sich die positiven Prognosen für dieses Jahr auf der ganzen Linie bestätigt. Das Umsatzwachstum liegt bei rund 2,5 Prozent, und der Arbeitsplatzabbau ist gestoppt. "Unsere Branche ist auf dem richtigen Weg - nach oben", freut sich Bitkom-Präsident Willi Berchthold. In diesem Jahr wird der ITK-Markt um 2,5 Prozent wachsen, 2005 um 3,7 bis 4 Prozent. Dabei profitieren alle Bereiche, sogar das Sorgenkind Hardware.

Viele Hoffnungen auf eine goldene Zukunft fußen auf der These, dass der Markt für IT-Kommunikation und der für Unterhaltungselektronik enger zusammenrücken. Europa und Deutschland sind hier infrastrukturell gut vorbereitet. Gerade in den Bereichen Breitband-Zugänge und Mobilfunk erwarten ITK-Experten aus fast allen in Deutschland tätigen Anbieterunternehmen sowie aus den großen Anwenderunternehmen schon in nächster Zeit einen Durchbruch. Befragt wurden sie von tns infratest im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Analysten von Eito und IDC.

Die Forrester Group sieht für Telekommunikationsunternehmen und Carrier aus Westeuropa große Absatzchancen in den neuen EU-Mitgliedstaaten. Da die Einrichtung von Festnetzanschlüssen dort vergleichsweise teuer ist, sind in diesen Ländern mobile Telefone besonders gefragt.

Seit dem vergangenen Jahr gelten die mittelständischen Unternehmen als große Wachstumshoffnung der IT-Branche. Die Analysten der Meta-Group warnen jedoch vor überzogenen Erwartungen. Zwar sei hier für 2004 ein Umsatzwachstum um die sechs Prozent zu erwarten, doch ist diese Zielgruppe notorisch sparsam und vorsichtig. Umfangreichere Investitionen seien dort erst zu erwarten, wenn sich der wirtschaftliche Aufschwung einstellt.

Tiefer in die Tasche greifen dagegen Finanzdienstleister, Anbieter von Professional Services, die Telecoms und die IT-Anbieter selbst. Investiert wird auch bei den Versicherungen und in der Fertigungsindustrie, vor allem aber in der Pharmabranche sowie bei Reiseanbietern und in der Hotellerie. (ciw)

*Hermann Gfaller arbeitet als freier Journalist in München.

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- warum die ständige Schwarzmalerei übertrieben ist,

- woran die deutsche ITK-Industrie leidet,

- in welchen Segmenten sie einen besseren Ruf verdient und

- in welchen Bereichen ihre Hoffnungen liegen.

Warum die USA einen Standortvorteil hat

Traditionell ist die Ausgangssituation für deutsche und europäische IT-Unternehmen gegenüber der amerikanischen und fernöstlichen Konkurrenz nicht besonders günstig. Japan und die Tigerstaaten haben lange Zeit von den niedrigen Lohnkosten gezehrt und tun das zum Teil immer noch - auch wenn sie hier inzwischen von Indien und China unterboten werden. Ging es früher meist um Hardwarefertigung, so stehen heute Dienstleistungen (Offshoring) im Vordergrund. Als Absatzmarkt für die USA war Asien aufgrund der großen kulturellen Unterschiede immer besonders schwierig.

Gänzlich anders stellt sich die Situation in Deutschland und Europa dar. Zwar entstand hier nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls eine eigenständige IT-Industrie, doch konnte die sich nur unter Schwierigkeiten gegen die Konkurrenz aus Übersee behaupten. Die US-Unternehmen profitierten von einem riesigen und zudem homogenen Binnenmarkt. Dort konnten die IT-Konzerne zu einer Größe heranwachsen, die ihre europäischen Konkurrenten längst über die heimischen Grenzen in ausländische Märkte trieb, wo sie mit neuen Regeln und anderen Sprachen zurecht kommen mussten. Während die US-Regierung den Unternehmen mit einer meist konsequenten Industriepolitik (Militäraufträge, Raumfahrtprogramm, Information Highway) neue Techniken und ihren Export förderte, sorgten in Europa nationale Egoismen und Ressentiments aus zwei Weltkriegen für Uneinigkeit. Hinzu kam, dass die große räumliche, kulturelle und sprachliche Trennung der Technologiezentren die Entstehung von Know-how-Clustern verhinderte, wie sie jenseits des großen Teiches um die Universitäten in Boston und im Silicon Valley entstanden. "In solchen regionalen Clustern verkürzen sich die Innovationszyklen, dort entstehen Know-how-Inseln, auf die alle Zugriff haben", erklärt Meta-Group-Analyst Praxmarer. In Europa führte die Konkurrenz dagegen dazu, dass sich die Lokalmatadore Bull (Frankreich), ICL (UK), Olivetti (Italien), Philips (Niederlande), Siemens und Nixdorf trotz gelegentlicher Kooperationen (etwa für einen europäischen "Unidata"-Rechner) nach und nach gegenseitig ausschalteten.

Die Amerikaner haben aber nicht nur von der europäischen Uneinigkeit profitiert, sondern vor allem vom eigenen Erfindungsreichtum sowie von der Fähigkeit, Technologie in Produkte umzusetzen und diese aktiv zu vermarkten.

Im Ergebnis dominieren die US-Unternehmen heute fast alle Basis-Techniken, so dass europäischen und deutschen Firmen wenig anderes übrig bleibt, als ihr Geschäft auf Basis dieser Standards zu suchen. Bei der Chip-Produktion können trotz Intel-Dominanz inzwischen Japaner (Samsung, Toshiba) und Europäer (Philips, Infineon) mitreden. Beim Rechnermarkt dagegen hat sich in Europa von den namhaften Herstellern eigentlich nur Siemens (im Verbund mit Fujitsu) behaupten können. Systemnahe Software kommt von Microsoft, IBM, Oracle, BEA und anderen US-Konzernen.

Doch die Märkte ändern sich, insbesondere durch die Konvergenz von IT, Kommunikationstechniken und Unterhaltungselektronik. Hier sind die Karten noch nicht verteilt, so dass den Europäern alle Möglichkeiten offen stehen, ihr in Lissabon verkündetes Ziel umzusetzen, die USA wirtschaftlich zu überholen.

Abb.1: ITK-Wettbewerb der Nationen

Das Word Economic Forum misst die Wettbewerbsfähigkeit der Nationen bei der Informations- und Kommunikationstechnik nicht nur an der wirtschaftlichen Leistung. Auch die Akzeptanz der Bürger und die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen spielen eine Rolle. Quelle: World Economic Forum

Abb.2: Standortrisiko Politik

Laut Bitkom sehen die Unternehmen in der Politik das größte Standortrisiko. Quelle: Bitkom

Abb.3: Gute Kunden für die IT-Branche

Finanz- und IT-Dienstleister hängen am stärksten von der IT ab und investieren daher auch am meisten. Quelle: Meta Group