IT reloaded - Runderneuerung bei Miele

03.03.2008
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Der Haushaltsmaschinenhersteller hat unter anderem seine Geschäftsprozesse überarbeitet und Template-basierend eine neue ERP-Software eingeführt.

Wenn die IT-Kosten - gemessen am Benchmark - zu hoch sind, kann es sich dabei um eine Momentaufnahme handeln. Kritisch wird es erst, wenn sich daraus ein Trend entwickelt. Genau das stellte die Miele & Cie. KG, Gütersloh, vor fünf Jahren fest: Der Anteil der IT-Ausgaben am Umsatz war über die Jahre permanent gestiegen und drohte, weiter anzuwachsen. Es war die fortgesetzte Zunahme, die Miele Sorgen bereitete.

Die Marschroute

Der IT-Umbau bei Miele soll folgende Ziele erreichen:

eine vernünftige Leistungsverrechnung,

ein durchgängiges Anforderungs-Management,

die Harmonisierung der Geschäftsprozesse und

das Anpassen der IT-Prozesse an die neuen Business-Prozesse.

Best Practices für die Überarbeitung der Business-Prozesse

Bewusstsein dafür schaffen, wo Dinge gleich und wo sie unterschiedlich sind.

Dafür sorgen, dass dieser Erkenntnisprozess von den Geschäftsführern der Landesgesellschaften getrieben ist.

Die Geschäftsführer vor das System setzen, um sie die Prozesse erläutern und begründen zu lassen (High Level Involvement).

Die Manager aus unterschiedlichen Ländern über die Anforderungen diskutieren lassen (Harmonisierung, wo möglich, und Differenzierung, wo nötig).

Herausarbeiten, welche Gesellschaft wo führend ist und als Best Practice dienen kann.

Mit einer repräsentativen Auswahl von Gesellschaften einen gemeinsamen Nenner definieren (Set von obligatorischen Prozessen).

Die IT aus der Entscheidung heraushalten, die "Wünsch-dir-was"-Mentalität durch Diskussion der Fachbereiche bremsen.

Prozesse sauber als Blueprint spezifizieren (und zwar bereits im SAP-Standard).

Projektsteckbrief

Projektart: Konsolidierung und Neuorientierung der gesamten IT, Aufbau eines Anforderungs-Managements und Template-basierende SAP-Einführung (CRM).

Branche: Serienfertigung, Haushaltsgeräte.

Ziel: Reduzierung der Komplexität und damit der IT-Kosten relativ zum Umsatz.

Zeitrahmen: Konzeption ab 2003, Rollout im Frühjahr 2008.

Stand heute: erfolgreicher Rollout in Griechenland und der Schweiz.

Produkte: SAP CRM in der Version 5.0 mit R/3-Backend und Mobile-Sales-Anbindung.

Dienstleister: Droege & Comp.

Nächster Schritt: Weltweiter Rollout der Templates (bis 2013), Neustrukturierung der IT-Prozesse.

Folglich fragte sich das Management: Woran liegt es, dass wir ständig mehr für die IT ausgeben, ohne dafür deutlich mehr zu bekommen? Bei der Antwort auf diese Frage ließ sich Miele von dem Düsseldorfer Beratungsunternehmen Droege & Comp. GmbH unterstützen. "Gemeinsam haben wir festgestellt, dass unsere Systemlandschaft sehr heterogen, weil historisch gewachsen war", beschreibt Prokurist und IT-Leiter Christian Grotowsky das Ergebnis der Ist-Analyse.

Teure Heterogenität

Miele ist ein Familienunternehmen mit 16 000 Mitarbeitern in 38 Ländern. Bei den Auslandsniederlassungen handelt es sich meistenteils um Vertriebsgesellschaften unterschiedlichster Größenordnungen. Die Ländergesellschaften hatten in der Regel jeweils die Anwendungen installiert, die sich aus ihrer Perspektive am besten dazu eigneten, ihre tägliche Arbeit zu unterstützen.

Darunter gab es zwar durchaus schon einige SAP-Installationen. Aber bekanntlich kann sich eine SAP-Implementierung von einer anderen mindestens so sehr unterscheiden wie ein Indianerstamm in Nord-Dakota von einem in Südarizona. "Allein zwischen den R/3-Releases 3.1 und 4.7 hatten die einzelnen Gesellschaften so viel am Standard verändert, dass das System nicht mehr wiederzuerkennen war", erläutert Grotowsky.

Die Applikationen wurden nur zum Teil zentral supportet. Einige Vertriebsgesellschaften hielten für die Systemwartung eigene Teams vor. "Um die Kosten unter Kontrolle zu bekommen, mussten wir die Systemvielfalt also dringend harmonisieren", fasst der CIO zusammen.

Der heterogenen IT-Welt entsprach ein bis dato rudimentäres Anforderungs-Management. In den meisten Unternehmen ist damals wie heute der systematische Umgang mit Projektvorschlägen und -anträgen eher die Ausnahme als die Regel. Das bedeutet: Die Auswahl der Projekte ist wenn nicht willkürlich, so doch wenig transparent.

Die wichtigsten Anwendungen in den Landesgesellschaften drehen sich um die Themen Vertrieb und Service. Gerade in diesem für sie wettbewerbsentscheidenden Bereich tendieren die Fachbereiche zu einem gewissen Absolutismus. Die Anforderungen der jeweiligen "Landesfürsten" unter einen Hut zu bringen sei keine leichte Aufgabe gewesen, bestätigt Miele-CIO Grotowsky.

Hier kann ein Anforderungs-Management Wunder wirken. "Dadurch ändert sich die Kultur", konstatiert Torsten Frankenberger, Partner bei Droege & Comp. Plötzlich seien die Fachbereiche gezwungen, ihre Anforderungen zu präzisieren, den erwarteten Nutzen für ihre Kollegen aus anderen Ressorts verständlich darzustellen und das von ihnen gewünschte Projekt in einen transparenten Wettstreit mit anderen zu schicken.

Verantwortung der Fachbereiche

Diese Vorgehensweise sorgt nicht nur für eine an den Unternehmenszielen gemessen sinnvolle Priorisierung der IT-Vorhaben. Unter dem Strich senkt sie auch die Projektkosten - "allein dadurch, dass Projekte mit ähnlichen Anforderungen zusammengefasst beziehungsweise aussortiert werden", führt Grotowsky aus. Last, but not least nehme ein systematisches Anforderungs-Management den Entscheidungsdruck von den Schultern des IT-Managers: "Nicht die IT muss die Entscheidung vertreten, sondern die Kollegen aus den Fachbereichen sind verantwortlich."

Wenn aber das Anforderungs-Management tatsächlich einen spürbaren Effekt haben soll, reicht es nicht, den Nutzen nur zu proklamieren. Er müsse auch nachweisbar sein, warnt Frankenberger: "Viele Unternehmen haben ein tolles Anforderungs-Management, dokumentieren aber den Nutzen nicht."

Wie Grotowsky zu bedenken gibt, darf die Kosten-Nutzen-Analyse allerdings nicht von der IT vorgenommen werden. "Die IT kann den Nutzen ja nicht einfahren. Deshalb muss er von denjenigen definiert werden, die dafür verantwortlich sind: von den Fachabteilungen."

Fleißaufgabe nachgeholt

Das Anforderungs-Management war der erste Schritt zu einer völligen Neuorganisation der IT-Prozesse. "Re-Boot IT" nennt Frankenberger dieses Mammutvorhaben. Dazu wurde das gesamte Know-how auf drei Ebenen gebündelt: lokal, regional und zentral.

Zugleich hat die Miele-IT ihre Prozesse sauber strukturiert. "Da waren wir bei Miele lange Zeit weg von", bekennt Grotoswky. Vor 2003 hatte sich die Miele-IT recht wenig Gedanken über die Vereinheitlichung ihrer Abläufe gemacht, so dass die Heterogenität laut Grotowsky "teilweise induziert" war. Zusammen mit Droege & Comp. holte der CIO diese Fleißaufgabe nach.

An erster Stelle stand jedoch die Neuorganisation der Geschäftsprozesse. "Da muss man ansetzen", weiß Grotowsky: "Die IT-Prozesse zu harmonisieren bringt nichts, wenn man nicht weiß, wofür." Schließlich sollten die IT-Prozesse mit den Geschäftsabläufen übereinstimmen.

Miele untersuchte - wieder mit der Hilfe von Droege & Comp. - die Geschäftsabläufe in den unterschiedlichen Ländern und fand, wie erwartet, heraus, dass sie vielfach gar nicht so unterschiedlich waren wie von den Anwendern behauptet. Allerdings wurden sie von der IT zum Teil sehr divergent unterstützt. "Es galt, herauszuarbeiten, was wirklich landesspezifisch war und was sich vereinheitlichen ließ", berichtet Frankenberger.

Manager begründen die Abläufe

Diese Arbeit überließ die Miele-IT den Geschäftsführern der Landesgesellschaften: Sie sollten sich vor den Bildschirm setzen und anhand des Systems ihre Abläufe nicht nur beschreiben, sondern auch begründen. So entstand Problembewusstsein. Danach setzten sich die Manager der Gesellschaften zusammen und diskutierten über ihre Anforderungen. Gegenseitig mussten sie sich davon überzeugen, dass ihre jeweiligen Differenzierungen notwendig seien. Wo ihnen das nicht gelang, war Harmonisierung angesagt.

Gleichzeitig wurde herausgearbeitet, welche Miele-Niederlassung hinsichtlich welchen Ablaufs als Vorbild dienen sollte, denn die Stärken und Schwächen waren unterschiedlich verteilt. Schließlich ging eine repräsentative Auswahl von Gesellschaften unterschiedlicher Größenordnung daran, die Standardabläufe zu definieren, in Prosa zu beschreiben und als "Blueprint" im SAP-Standard festzuhalten.

Größter gemeinsamer Nenner

Die Auswahl der Software sei eigentlich nebensächlich gewesen, sagt Frankenberger: "Wie man das schließlich umsetzt, ist Sache der Berater." Die entschieden sich - selbstversändlich gemeinsam mit Miele - für die CRM-Suite von SAP in der Version 5.0 mit R/3-Backend und Mobile-Sales-Anbindung.

Für SAP habe vor allem gesprochen, dass das notwendige Basisfachwissen zum großen Teil bereits im Haus war, begründet Grotowsky die Entscheidung: "Know-how ist das einzige Thema, das wirklich zählt." Zudem vereinfache die Marktdurchdringung der Software aus Walldorf die Rekrutierung externer Berater.

Dank der zuvor spezifizierten Business-Prozesse konnten die Miele-Informatiker und die externen Berater (teilweise von SAP selbst, teilweise von Fremdanbietern) idealtypische Ablaufmuster ("Templates") definieren, die nun in jeder Landesgesellschaft eingeführt werden können - "als größter gemeinsamer Nenner", wie Frankenberger scherzt.

Lokale Besonderheiten wie Preisfindung oder gesetzliche Bestimmungen werden dann auf der Basis der Templates geändert. "Wir lassen Individualität ausdrücklich zu", verspricht Grotowsky. Das Ziel seien 80 Prozent Template-Abdeckung und 20 Prozent Anpassung. Außerdem müsse nicht jede Gesellschaft jedes Template komplett nutzen.

Viel Zeit und Energie hat es gekostet, die Frage zu beantworten, was eigentlich in ein Template gehört. "Man muss aufpassen, dass man nicht zu viel hineinpackt", warnt der Miele-CIO, "sonst steigt der Aufwand für die Auswahl der tatsächlich benötigten Abläufe." Die Kriterien seien gewesen: Wie viele Gesellschaften haben tatsächlich Bedarf dafür? Oder: Wo ist Wachstumspotenzial erkennbar?

Wie sich bei der Umsetzung der Template-Basis herausstellte, behandelten die Blueprints trotz ihres Umfangs längst nicht alle Details in ausreichender Tiefe. Und als die Fachbereiche begannen, sich intensiv mit ihrem neuen Werkzeug zu beschäftigen, stellten sie fest, dass die angebotenen SAP-Standardlösungen ihren Anforderungen "nicht in jeder Facette" genügten, wie es Grotowsky formuliert. Das Desgin der Eingabedialoge habe auf Effizienz und Geschwindigkeit getrimmt werden müssen. Intensive Nacharbeit sei auch erforderlich gewesen, um Fehler durch unsichere Anwender zu vermeiden.

IT-Unterstützung für Prozesse

Mittlerweile sind die Prozesse strukturiert und in wesentlichen Teilen auch den Ansprüchen der Anwender entsprechend umgesetzt, berichtet Grotowsky. Bis Mitte April soll die neue Software in den ersten Pilotländern (Schweiz und Griechenland) ausgerollt sein. Im Verlauf der Einführung werden die Templates weiter verfeinert.

Jetzt muss sich die IT so organisieren, dass sie den neuen, vereinheitlichen Geschäftsprozes-sen gewachsen ist. Denn diese erfordern weit mehr zentrale Unterstützung als die heterogenen Installationen der Landesgesellschaften. Neben einer vernünftigen Leistungsverrechnung und dem durchgängigen Anforderungs-Management benötigt Miele unter anderem ein weit leistungsfähigeres Projekt-Management. Resümiert Grotowsky: Während sich die IT bislang auf Deutschland fokussiert habe, vollziehe sie nun den Wandel zu einem international ausgerichteten Dienstleistungsbereich.