Unternehmen reagieren mit kreativen Personallösungen auf die schwierige Lage

IT-Jobmarkt: In der Realität angekommen

28.02.2003
FRANKFURT/M. (hk) - Seit dem Platzen der Dotcom-Blase ist der IT-Arbeitsmarkt im Umbruch. Zu viele schlecht qualifizierte Mitarbeiter waren eingestellt und befördert worden. Der Weg zurück zur Normalität ist schmerzhaft.

"Die Branche konsolidiert sich", so lautet die häufig geäußerte Diagnose zur aktuellen schwierigen Situation in der IT-Industrie. Verbandsvertreter wollen von Krise nichts wissen, sie sprechen lieber von "titanischen Geschäftschancen", wie es neulich ein Bitkom-Repräsentant tat.

Was den Personal-Management-Aspekt angeht, ist der Computerzweig auf jeden Fall in der Realität angekommen, zeigte ein Kongress der Hans-Böckler-Stiftung und der IG-Metall in Frankfurt am Main. Ulrich Schäfer, Berater bei der Meta Group, kritisiert, dass es in den Unternehmen während der extremen Wachstumsphase zu keiner Personalplanung gekommen ist. Motivierte Studenten und Quereinsteiger strömten in die Firmen, aber für deren weiteres Fortkommen fühlte sich keiner so richtig zuständig. Die Qualifikation der Mitarbeiter war Nebensache. Jetzt mache sich das Know-how-Defizit bemerkbar, und viele dieser Mitarbeiter haben ihren Job wieder verloren. Vor allem mit den Managern geht Schäfer hart ins Gericht: "Es gibt in dieser Branche viel mehr unfähige Führungskräfte als in anderen." Das schnelle Wachstum habe "Techniker und Vertriebler in den Unternehmen hochgespült", die nicht managen können.

Die Firmenchefs hätten es in der Wachstumsphase versäumt, Strukturen für einen effizienten Geschäftsablauf aufzubauen. Überdurchschnittlich viele Personen säßen jetzt im mittleren Management, für die die Unternehmen kaum noch Verwendung fänden. Insgesamt erhöhe das hohe Gehaltsniveau in Deutschland den Kostendruck auf die Unternehmen. Laut einer aktuellen Gehaltsstudie der internationalen Vergütungsberatung Towers Perrin varieren die Einstiegsgehälter in Westeuropa um über 50 Prozent, wobei Deutschland nach der Schweiz an zweiter Stelle liegt. Schäfer ist deshalb überzeugt, dass die Offshore-Arbeit in Zukunft stark zunehmen wird. Auch Meta selbst sei dabei, sich stärker auf dem Balkan zu engagieren: "Die Leute sind billiger, gut ausgebildet, engagiert, die Entfernung ist kurz, und auch von der Mentalität her sind uns die Menschen näher als von anderen Kontinenten". Siemens-Business-Service(SBS-)Chef Paul Stodden, der auf dem Kongress über Trends im Dienstleistungsgeschäft referierte, ist der gleichen Meinung, was den Offshore-Trend betrifft. Er verwies auf eine aktuelle Untersuchung aus den USA. Bereits jetzt haben demnach die US-Amerikaner 600000 Arbeitsplätze ins billigere Ausland ausgelagert , und Prognosen zufolge werden es in einigen Jahren drei Millionen sein. Als künftige ausgelagerte Werkbänke sieht Stodden die Länder Russland, China, Argentinien, Venezuela und Rumänien.

Mit positiven Nachrichten konnte auch Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg nicht aufwarten. So habe sich die Zahl der arbeitslosen IT-Spezialisten von Januar 2001 von 22000 bis zum Januar 2003 auf 58000 fast verdreifacht. Fast jeder zehnte IT-Profi sei inzwischen arbeitslos - ein Wert, der von der Arbeitslosenstatistik insgesamt nicht mehr weit entfernt ist.

Ältere Mitarbeiter sind die Ausnahme

Computerfachleute verlieren überdurchschnittlich häufig ab dem 53. Lebensjahr ihren Job. Die 58-Jährigen und Älteren tauchen in der Statistik kaum noch auf, was aber laut Dostal damit zusammenhängt, dass sich die Experten in den Vorruhestand verabschieden oder in einen anderen Job wechseln. Und noch eine Beobachtung hat der Beschäftigungsforscher gemacht. Immer mehr IT-Profis sind bei IT-Herstellern, Softwarehäusern und Dienstleistern und immer weniger bei Anwenderunternehmen beschäftigt. Arbeitete früher ein Viertel der IT-Fachleute bei Herstellern, sollen es heute fast drei Viertel sein. Das hängt nach Dostals Meinung mit dem Trend zum Outsourcing und einer zunehmenden Professionalisierung der Branche zusammen.

Dass Unternehmen nicht unbedingt gleich mit Entlassungen auf die IT-Krise reagieren müssen, zeigte sich auf dem Kongress ebenfalls. So hat Oracle Deutschland seit Anfang November die Arbeitszeit seiner rund 600 Berater verkürzt, um Entlassungen zu vermeiden. Eine Analyse hatte zuvor ergeben, dass rund 100 Consultants nicht in Projekten beschäftigt waren. Vereinbart wurde eine Vier-Tage-Woche, also eine Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent bei einer gleichzeitigen Kürzung des Gehalts um 15 Prozent. Dieses Programm läuft bis Ende Mai, dann soll neu entschieden werden, wie es weitergeht.

Eine Dauerlösung sieht das Oracle-Management darin nicht, zumindest konnten aber im ersten Schritt Entlassungen vermieden werden. Oracle möchte verhindern, dass eingearbeitetes und kompetentes Personal freigestellt und möglicherweise schon nach einem halben Jahr aufgrund der verbesserten Auftragslage wieder eingestellt werden muss.

Arbeitszeitreduzierung als Alternative

Dass sich ein amerikanisches Software- und Beratungshaus auf eine solche Lösung einlässt, ist in der IT-Branche ungewöhnlich. Der Normalfall sind eher kurzfristige Maßnahmen, sprich Entlassungen, um am Ende des Quartals bei den Analysten "Restrukturierungserfolge" nachweisen zu können.

Auch Vodafone griff auf eine ähnliche Methode zurück. Als die Anrufe in den fünf Call-Centern dramatisch zurückgingen, errechnete die Geschäftsführung, dass 240 Mitarbeiter von etwa 1000 zu viel an Bord seien. Man einigte sich auf eine Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden ohne Lohnreduzierung. Allerdings wurde die pauschale Schichtzulage von 150 Euro ersatzlos gestrichen.

Interessant ist auch die Möglichkeit der Kurzarbeit, auf die das mittelständische Softwarehaus Zeda aus Wuppertal für die Dauer von drei Monaten zurückgriff. Die meisten größeren Unternehmen lehnen Kurzarbeit aus Organisations-, aber auch aus Imagegründen ab. Betriebsratschef Dieter Steinbrück gab zu, dass der bürokratische Aufwand sehr groß gewesen sei, dass man aber 22 Arbeitsplätze habe retten können.