Jahresrückblick/Compaq kauft DEC, Nortel schluckt Bay Networks, CSC gibt CA Korb

IT-Größen ließen auch 1998 keine Gelegenheit zum Monopoly-Spiel aus

23.12.1998
Ob Hardware-, Software- oder Netzwerkmarkt: Bei den Big Playern saß 1998 das Geld wieder recht locker. Man versuchte sich mit Unternehmenszukäufen gute Ausgangspositionen im Spiel um "erste Lagen" im Weltmarkt zu sichern. Besonders turbulent ging es in der Distributionsszene zu. Dort wurde in so rascher Folge ge- und verkauft, daß selbst die Beteiligten den Überblick zu verlieren schienen. Beate Kneuse* hat den Spielverlauf begleitet.

Einen erstaunlich harten Kampf lieferten sich insbesondere Computer Associates und IT-Dienstleister Computer Science (CSC), wobei sich das Objekt der Begierde, CSC, seinem Schicksal nicht wehrlos ergab. Im Gegenteil: CA holte sich eine blutige Nase.

Die Enttäuschung von Charles Wang war nicht zu übersehen. Da hatte sich der CA-Chef im vergangenen Jahr in Sachen Firmen-Shopping eiserne Zurückhaltung auferlegt, um gleich zu Beginn des neuen Jahres zuschlagen zu können - und dann platzten seine Träume wie Seifenblasen: IT-Dienstleister CSC wehrte sich mit allen Mitteln gegen die drohende Übernahme durch den Softwaregiganten und behielt schließlich die Oberhand. Der erfolgsgewohnte Wang, der seit Beginn der 80er Jahre an die 50 Unternehmen zugekauft und mit harter Hand für CA-Zwecke umgebaut hatte, fand erstmals seinen Meister.

Die bei CA-Neuerwerbungen grundsätzlich rüden Umgangsformen dürften CSC-Boß Van Honeycutt übel aufgestoßen sein, als ihm Mitte Februar Wangs Kaufofferte in Höhe von rund neun Milliarden Dollar auf den Tisch flatterte. Einiges hätte dafür gesprochen, pfleglicher mit den Kaliforniern umzugehen, denn die renommierte Service-Company ohne Produktanhängsel sollte dem Softwareriesen den heißbegehrten Zutritt zum lukrativen IT-Dienstleistungsmarkt verschaffen. Doch der vorsorglich noch hinzugefügte Hinweis von Wang, CSC notfalls auch in Form einer feindlichen Übernahme zu schlucken, war nun gar nicht nach dem Geschmack des CSC-Chefs.

Was folgte, war ein öffentlich ausgetragener persönlicher Kleinkrieg der beiden Firmenbosse, der IT-Geschichte schrieb. Böse Briefe wechselten hin und her. Honeycutt spielte den Betrogenen und blieb beharrlich bei der Version, daß die zum Jahreswechsel geführten Gespräche mit Wang rein informeller Natur und niemals Fusionsverhandlungen gewesen seien. Der CA-CEO wiederum wurde nicht müde zu betonen, daß er wohl zwischen Gesprächen und Verhandlungen unterscheiden könne. Ultimaten wurden gestellt. Schließlich richtete Wang ein nachgebessertes Angebot direkt an die CSC-Aktionäre, Honeycutt verklagte seinen CA-Widersacher wegen Bestechung - Wang soll dem CSC-CEO rund 50 Millionen Dollar geboten haben, wenn dieser der Übernahme zustimmen würde -, und der CA-Boß konterte mit einer Gegen- klage.

Ende März war die Schlammschlacht vorüber. Wang setzte den CSC-Anlegern eine letzte Frist für sein Angebot, und diese gingen nicht darauf ein. Eine bittere Pille für den CA-Chef, der seinen überraschenden Rückzug dennoch schnell ins rechte Licht zu rücken wußte. Er habe sich vom Verhalten seines CSC-Kollegen und dessen Motiven offensichtlich täuschen lassen. Und mit den Worten: "Honeycutt hat Angst, sein Spielzeug zu verlieren", feuerte er noch eine letzte Salve in Richtung Kalifornien ab. Dann kehrte Ruhe ein, und die Beteiligten leckten ihre Wunden.

Seine Pläne, mit CA doch noch im IT-Servicemarkt ein Wörtchen mitzureden, hat Wang indes nicht begraben. Mitte Juni hob er den Unternehmensbereich Global Professional Services aus der Taufe, der nun über den Zukauf von kleinen Dienstleistern sukzessive verstärkt werden soll. So erwarb CA im August mit der amerikanischen Beratungsfirma Realogic einen Spezialisten in Sachen Netzwerke, Systemintegration, Intranet- und Internet-Lösungen sowie Produktionsplanungssysteme. Weitere dürften folgen. An einen großen Service-Anbieter aber wird man sich wohl nicht so schnell wieder heranwagen.

Mit weitaus weniger Gegenwehr hatte Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer zu kämpfen, als er Ende Januar um die Hand von Digital Equipment anhielt und dem seit Jahren angeschlagenen Minicomputer-Pionier sein Ansinnen mit 9,6 Milliarden Dollar schmackhaft machte. Der verspätete, dafür um so heftigere Silvesterknaller des gebürtigen Deutschen schreckte die noch in Jahresanfangsträgheit vor sich hindümpelnde Branche auf. Denn der Coup bescherte dem PC-Weltmarktführer einen Umsatzsprung auf knapp 38 Milliarden Dollar und katapultierte ihn ins Führungstrio der weltgrößten Computerunternehmen. Gleichwohl entledigte sich Compaq seines Kistenschieberimages und stieß endgültig die Tür zum High-end-Enterprise-Computing auf. Das Billet dafür hatte die texanische PC-Schmiede bereits 1997 mit dem Erwerb von Tandem, dem Spezialisten für ausfallsichere Rechner, gelöst. Und quasi über Nacht verfügte Pfeiffer über eine schlagkräftige Service- und Support-Truppe, die man, so sein freimütiges Bekenntnis, aus eigener Kraft kurzfristig nicht hätte etablieren können.

Für Digital Equipment wiederum endete damit ein Ausverkauf auf Raten. Nachdem der frühere IBM-Erzrivale Anfang der 90er Jahre ins Schlingern geraten war, wobei auch Firmengründer Ken Olsen über Bord ging, versuchte Nachfolger Robert Palmer mit Rückbesinnung auf die zweifelsohne vorhandenen Technologiekompetenzen, aber auch mit Entlassungen in großem Stil, einen neuen Digital-Fokus rund um den Superchip Alpha und die Serviceabteilung aufzubauen. Was nicht hineinpaßte, beispielsweise die Speicherplatten- oder Datenbankaktivitäten oder auch Firmenbeteiligungen wie die an Olivetti, wurde rigoros abgestoßen. Spürbaren Aufschwung aber erlebte die legendäre Company aus Maynard nicht. Als Palmer Ende vergangenen Jahres innerhalb weniger Wochen auch noch die Alpha-Chip-Fertigung an Intel abtrat und die Netzwerk-Division an Cabletron verkaufte, ahnte auch der letzte Optimist, daß eine Übernahme des Digital-Rests nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Zumal sich Compaq schon Monate zuvor selbst ins Gespräch gebracht und Verhandlungen mit DEC zugegeben hatte, die laut Pfeiffer aber wegen noch nicht kalkulierbarer Risiken wieder abgebrochen worden waren.

2000 auf der Suche nach einem neuen Job

Am 11. Juni 1998 war der Superdeal schließlich amtlich. Kartellbehörden wie Aktionäre erteilten ihren Segen - und entließen damit 53500 Digital-Mitarbeiter in eine ungewisse Zukunft. Denn daß es zu einem personellen Kahlschlag bei Compaqs Neuerwerbung kommen würde, stand bereits bei Ankündigung der Übernahme fest. Schritt für Schritt konkretisierte Pfeiffer in der Folgezeit seine Vorstellungen. Letzter Stand: 15000 Digital-Mitarbeiter, davon rund 800 der 2430köpfigen Belegschaft in Deutschland, sowie 2000 aus den Reihen Compaq/Tandem müssen sich einen neuen Job suchen.

Ob Pfeiffer die Digital-Integration tatsächlich in den Griff bekommt und künftig in der Weltliga der Allrounder agieren kann, steht bislang noch in den Sternen. Analysten gehen davon aus, daß der Prozeß des Zusammenwachsens mindestens noch ein Jahr dauert. Dies dürfte auch die Geduld der Aktionäre auf eine harte Probe stellen, denen Compaq für die ersten neun Monate des laufenden Geschäftsjahrs bedingt durch den Digital-Kauf einen Verlust von 3,5 Milliarden Dollar (Vorjahr: 1,2 Milliarden Gewinn) präsentierte. Pfeiffer selbst aber rechnet schon für das vierte Quartal mit ansehnlicheren Zahlen. Und immerhin hat er in den vergangenen Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, daß er es versteht, schwierige Situationen zu meistern.

Am Ende eines jeden Jahres ist über die Zukunft von Siemens-Nixdorf spekuliert worden. Wann präsentiert SNI-Boß Gerhard Schulmeyer den vielzitierten internationalen Partner, der die Siemens-Tochter zu dem Global Player macht, der sie schon immer sein wollte? Seit vergangenen Mai ist diese Frage beantwortet, aber anders als erwartet. Denn nichts wurde es mit einer schlagkräftigen Allianz. Siemens-Nixdorf verlor die Selbständigkeit und fungiert seit 1. Oktober 1998 als Abteilung Information und Kommunikation des Elektronikriesen. Von diesem Schritt, der laut SNI-Chef Schulmeyer für Siemens die Chance darstellte, im Zeitalter der verschmelzenden Informations- und Kommunikationstechnik eine einmalige Marktposition einzunehmen, profitierte der gebürtige Hesse am meisten: Schulmeyer wurde der Job des President und CEO der Siemens Corp. in New York angedient und konnte damit endlich in die USA zurückkehren.

Dies aber war keineswegs die einzige taffe Entscheidung des smarten Siemens-Oberhaupts Heinrich von Pierer. Seit offiziell feststeht, daß der Elektronikriese im abgelaufenen Geschäftsjahr (Ende: 30. September) gerade mal einen Gewinn von 917 Millionen Mark (Vorjahr: 2,61 Milliarden) erzielt hat, ist in München Großreinemachen angesagt.

In der nächsten Zeit werden 50 Geschäftsfelder mit einem Umsatzvolumen von 17 Millionen Mark und 60000 Mitarbeitern zur Disposition gestellt. Dazu gehören auch die noch unter dem Namen Siemens-Nixdorf laufenden Kassen- und Handelssysteme in Paderborn. Und: Beschlossene Sache ist die Trennung vom kompletten Bauelementebereich, den die Bayern über viele Jahre hinweg als Schlüsseltechnologie hochgehalten hatten. Doch die horrenden Verluste in Höhe von rund 1,2 Milliarden Mark, die im abgelaufenen Geschäftsjahr 1997/98 allein mit Speicherchips eingefahren wurden, lassen keinen Spielraum mehr für hochtrabende Sprüche. Von Pierer steht unter Zugzwang.

Gepuscht werden soll dagegen nun wieder der PC-Bereich. Aber nicht aus Überzeugung, sondern vielmehr aus Mangel an Alternativen. Noch im Mai schien das Schicksal des PC-Werks in Augsburg im Zuge der angekündigten Siemens-Nixdorf-Reorganisation besiegelt. Der taiwanische Elektronikriese Acer wollte die Produktionsstätte kaufen, Siemens fortan als Auftragsfertiger beliefern und - gepaart mit den bereits vorhandenen eigenen Deutschland-Aktivitäten - eine großangelegte PC-Offensive in Europa starten. Doch die Asienkrise und der schwache Chipmarkt machten Firmenchef Stan Shih einen Strich durch die Rechnung. Die Verhandlungen zogen sich immer mehr in die Länge. Mitte September stand schließlich fest, daß Acer nicht in der Lage war, den von Siemens geforderten Kaufpreis für die zwischenzeitlich in PCS GmbH & Co. KG umbenannten PC-Aktivitäten zu bezahlen.

So bleibt in Augsburg vorerst alles beim alten. Ein neuer Käufer ist nicht in Sicht, auch wenn immer wieder mal der Name Fujitsu fällt. Die Mitarbeiter selbst sind nicht unfroh darüber, in deutscher Hand zu bleiben, für von Pierer ist es indes eine bittere Pille: Von dem Deal, Exklusivlieferant der Taiwaner zu sein, hatte er sich Größenvorteile erhofft, die Siemens pro Jahr Summen in zweistelliger Millionenhöhe hätten bescheren können.

Bäumchen, wechsel dich

Finanzierungsprobleme waren auch die Ursache dafür, daß CHS-Chef Claudio Osorio, Distributorenaufkäufer aus Passion, erstmals eine Übernahme platzen lassen mußte. Im Juli 1998 meldete der Kölner Handelsgigant Metro, er werde seine Computersparte - bestehend aus Vobis, Peacock, und Maxdata - für 587 Millionen Mark an den amerikanischen US-Grossisten abtreten, der sich zuletzt gerade deutsche Distributoren reihenweise einverleibt hatte. Nachdem CHS 1996 mit dem Kauf der europäischen Merisel den Grundstein für die deutsche Präsenz gelegt hatte, angelte man sich in rascher Folge den Braunschweiger Vollsortimenter Frank & Walter, den Komponentenvermarkter Karma aus Troisdorf, den Münchner Spezialdistributor Metrologie Systems und die Hürther Micro Computer Dos GmbH, ebenfalls Komponentenvertreiber. So bestand in der Branche kein Zweifel daran, daß Osorio auch diesen dicken Brocken würde schlucken können.

Der Venezolaner selbst war sich seiner Sache ebenfalls sehr sicher, wies er seinen Deutschland-Statthalter Helmut Schmitt doch sogleich an, vor allem bei der defizitären Vobis AG eine umfassende Generalüberholung vorzunehmen. Vobis-Chef Gert Hügler mußte seinen Hut nehmen, an seine Stelle rückte Joachim Gut, bis dato Geschäftsleitungsmitglied von Maxdata. Und der stellte schon im August die direkte Angliederung der Vobis-Geschäftsbereiche an die deutsche CHS, Stellenstreichungen und Filialschließungen in Aussicht. Weit kam Gut mit seinem Ansinnen nicht. Denn nur noch wenige Wochen war Hügler bei Vobis wieder in Amt und Würden und Gut auf seinem angestammten Platz bei Maxdata. Der Grund: Die Metro, die immer noch auf die endgültige Vertragsunterzeichnung, vor allem aber auf das Geld von CHS wartete, hatte das Kommando wieder übernommen und traf Vorkehrungen für einen möglichen Rückzieher seitens CHS.

Der kam Anfang Oktober, weil der Aktienkurs des US-Grossisten, ohnehin schon seit Monaten auf Talfahrt, noch einmal einbrach. Firmenchef Osorio, auch in den USA gerade auf Shopping-Tour, war das Geld ausgegangen. Da half der Metro weder erzürntes Gezeter noch die Drohung, ein Schiedsgericht anzurufen, um das Geld doch noch zu bekommen. Nun ist der Kölner Handelsriese bemüht, eine Lösung für das ungeliebte Computergeschäft zu finden. Jüngsten Gerüchten zufolge sollen Einzelteile von Vobis verkauft und gutlaufende Ladengeschäfte an Metro-Töchter wie Saturn oder Media Markt angegliedert werden. Maxdata wiederum soll aus der Vobis-Gruppe ausgegliedert werden und 1999 an die Börse gehen.

Auch Tech Data sorgte für jede Menge Unruhe in der deutschen Distributorenszene. Nach der Übernahme des Münchner Großvermarkters Macroton Mitte vergangenen Jahres streckte der US-Vollsortimenter Anfang 1998 auch die Fühler nach C2000 aus, die der Viag-Konzern, des Computerhandels überdrüssig geworden, schnellstmöglich loswerden wollte. Im April wurde man sich einig: Der weltweit zweitgrößte IT-Distributor kaufte für rund 720 Millionen Mark den 80-Prozent-Anteil, den die Viag-Tochter Klöckner & Co. an C2000 gehalten hatte. Im Gegenzug erwarb der Münchner Mischkonzern Tech-Data-Aktien und Aktienoptionen im Rahmen einer Wandelschuldverschreibung.

Der C2000-Deal bescherte Tech Data zwar über Nacht einen Umsatzzuwachs von satten zehn Milliarden Mark und brachte den Grossisten mit nunmehr insgesamt 27 Milliarden Mark in die unmittelbare Nähe von Weltmarktführer Ingram Micro (30 Milliarden Mark). Doch damit hatte man nun auch die zwei größten deutschen Distributoren an Bord - ein Umstand, der nicht nur die Kartellbehörden auf den Plan rief, sondern auch C2000-Chef Walter von Szczytnicki mit den Muskeln spielen ließ: "Macrotron wird im deutschsprachi- gen Raum unser Wettbewerber bleiben", tönte es in Richtung USA. Ein Zusammenschluß schien undurchführbar, ein getrenntes Agieren jedoch nicht sinnvoll.

Noch während die hiesige Händler- und Distributorenszene spekulierte, wie Tech Data wohl mit den beiden Unternehmen verfahren werde, planten die Amerikaner - allerdings auch unter dem Druck der Kartellbehörden - den nächsten Schachzug. Still und heimlich traten sie an Ingram Micro heran mit dem Ziel, dem Weltmarktführer Macrotron schmackhaft zu machen. Es klappte. Mitte Juni reichte man den Distributor aus Dornach für 100 Millionen Dollar an die Firma Ingram Micro weiter, die damit der eigentliche Gewinner der Tech-Data-Kapriolen wurde. Denn nun verfügt auch Ingram Micro in Deutschland über eine schlagkräftige Truppe, nachdem die Übernahme von J&W im Juli 1997 nicht den erwünschten Erfolg gebracht hatte.

Und noch einen Überraschungscoup wirbelte die deutsche IT-Distributorenlandschaft durcheinander. Im März angelte sich die Fachhandelskooperation Datura den Großteil der maroden Metrologie Deutschland GmbH. Einzig die Systeme GmbH verblieb zunächst bei der französischen Muttergesellschaft, wurde dann aber im Juni an CHS veräußert. So großartig sich für Datura-Chef Tilo Hildebrandt die Synergieeffekte aber auch darstellten - Metrologie sollte die Aufgabe des Warengeschäfts wahrnehmen, die Fachhandelskooperation für die Händlerbindung sorgen -, so gewaltig verzettelte er sich auch. Denn seiner Neuerwerbung liefen nach kurzer Zeit die Lieferanten davon, gleichzeitig tauchten einige finanzielle Unregelmäßigkeiten auf. Im September zog der Datura-Chef die Notbremse, löste das Münchner Metrologie-Büro weitgehend auf und kündigte einem Teil der Mitarbeiter. Noch dicker kam es Mitte Oktober: Da nämlich meldete Metrologie Konkurs an. Die verbliebenen Mitarbeiter sitzen ohne Abfindung auf der Straße und klagen nun gegen Datura.

Networker blasen zum Halali

Kräftig rollte der Rubel in der Netzwerkszene. Der Trend hin zur Integration von Sprach- und Datenkommunikation hat die Networking-Anbieter aufgerüttelt. Besonders locker saß das Geld bei Lucent Technology. Das AT&T-Spin-off, das sich bereits im vergangenen Jahr durch einige Zukäufe verstärkt hatte und sich langsam zum Erzrivalen von Networking-Riese Cisco mausert, schlug gleich achtmal zu. Im Januar holte man Prominet, Experte in Sachen Gigabit-Ethernet, an Bord, im Februar erwarb man die Wireless Division von Hewlett-Packard. Zwei Monate darauf schluckte Lucent für rund 65 Millionen Dollar die Münchner Optimay, eine auf die Entwicklung von Software und Dienstleistungen für Mobiltelefone in GSM-Technik spezialisierte Gesellschaft. Wieder nur wenige Wochen später folgte der Kauf von Yurie Systems, einem kleinen Anbieter von ATM-Zugangsge- räten.

Dann warf man die Angel nach Lannet aus. Der israelische Hersteller von Ethernet- und ATM-Equipment war 1995 von Madge Networks für 300 Millionen Dollar übernommen worden, hatte dort aber nicht die rechte Freude aufkommen lassen. Lucent bot im Juli 117 Millionen Dollar, und Madge nahm die Offerte dankend an, da man eine Trennung von Lannet sowieso schon beschlossen hatte. Noch im gleichen Monat gingen auch SDX Business Systems, Anbieter von geschäftlichen Kommunikationssystemen, und der Telekommunikations-Equipment-Hersteller JNA Telecommunictions dem kaufwütigen AT&T-Split ins Netz. Und Anfang August erwarb man schließlich Massmedia Communications mit dem Ziel, die eigenen Produkte mit der Massmedia-Familie Adapnet aufzupolieren, die sich für die Realisierung von Verbindungen über Daten-, Sprach- und Videonetze einsetzen läßt.

Nichts hingegen wurde es für Lucent bislang mit der seit vergangenem Jahr erwarteten Übernahme von Ascend. Dafür schlug die kalifornische Networking-Company selbst zu. Im August übernahm Ascend die auf fehlertolerante High-end-Systeme spezialisierte Firma Stratus Computer für rund 822 Millionen Dollar. Der Deal ging in Form eines Aktientauschs über die Bühne. Angetan hatten es den Kaliforniern vor allem die Telefon-Carrier, die die Kundenliste von Stratus zunehmend füllen und die auch Ascend zur einer ihrer Hauptzielgruppen zählt.

Den Superdeal schlechthin in der Netzwerkszene landete 1998 Nortel. Der kanadische Telekommunikationsriese übernahm im Juni Bay Networks für 9,1 Milliarden Dollar. Die 1995 aus der Fusion von Synoptics und Wellfleet hervorgegangene Company hatte es nicht geschafft, ihre ehrgeizigen Ambitionen zu realisieren, sich im florierenden Markt für Enterprise-Network-Komponenten eine dominierende Posi- tion zu ergattern. Zuletzt hatte Bay mit stark rückläufigen Ergebnissen zu kämpfen. So war es für viele Analysten nur noch eine Frage der Zeit gewesen, wann sich ein Kaufinteressent melden würde.

Aus Sicht von Nortel wiederum ist der Kaufpreis gut angelegt. Denn angesichts der wachsenden Konvergenz von Sprach- und Datennetzen wollen sich die klassischen Hersteller von Telekommunikations-Equipment nun auch ein Stück vom Datennetz-Kuchen abschneiden. Die Kanadier verfügten mit Enterprise Data Networks zwar bereits über eine entsprechende Division. Doch ging dieser noch die rechte Schlagkraft ab. Sie wurde in Bay eingebracht, die ihrerseits nun als eigenständiger Geschäftsbereich von Nortel agiert. Und: Mit diesem Coup sind die Kanadier zu einem ernstzunehmenden Kontrahenten von Lucent und Cisco geworden, die sich im integrierten Networking-Business ebenfalls einrichten. Vor allem für Cisco, die Netzwerk-Company der vergangenen Jahre schlechthin, heißt es nun, sich wärmer anzuziehen. Für Spannung dürfte in diesem Markt deshalb auch 1999 gesorgt sein. Von Kauflust gepackt war 1998 auch Network Associates (NA). Der Anbieter von Netzwerksicherheitsprodukten, im vergangenen Jahr aus der Fusion von Network General und McAffee hervorgegangen, verstärkte sich das ganze Jahr über in rascher Folge mit größeren und kleineren Unternehmen.

Zunächst holte man sich Pretty Good Privacy an Bord. Kurz darauf, Ende Februar, schluckte man die Trusted Informations Systems, Produzent von Firewalls, Software für die Verwaltung von Schlüsseln sowie für die Überwachung von Netzen. Dafür blätterte Network Associates rund 300 Millionen Dollar hin. Mehr als das Doppelte, nämlich 640 Millionen Dollar, ließ sich der Sicherheitsspezialist die Übernahme des britischen Antivirenexperten Dr. Solomon''s kosten.

Wenige Wochen später folgte der Kauf des kalifornischen Utility-Anbieters Cybermedia für 130 Millionen Dollar. Der Lohn der üppigen Shopping-Tour: Network Associates ist nunmehr weltweit einer der größten Player im Markt der Netzwerksicherheitslösungen. Branchenkenner verfolgen dessen aggressive Einkaufspolitik allerdings mit Skepsis. Das Unternehmen, so die Auguren, gleiche derzeit einem Gemischtwarenladen, der künftige Kurs von NA liege im Nebel. 1999 solle sich der Sicherheitsexperte deshalb Zurückhaltung auferlegen und seine Zukäufe erst einmal sortieren und strukturieren.

Was 1998 mit einem verspäteten Silvesterknaller begann, hörte mit einem verfrühten auf. Der amerikanische Online-Dienst America Online schnappte sich Ende November den einstigen Browser-Highflyer Netscape für 4,2 Milliarden Dollar - und ließ sich dabei Schützenhilfe von Sun Microsystems geben. Die Kalifornier stimmten zu, als Subkontraktor Netscapes E-Commerce-Software zu nutzen und zu vermarkten, was AOL wiederum 350 Millionen Dollar in die Kasse spült. Außerdem soll sich Sun verpflichtet haben, in den kommenden drei Jahren größere Geschäfte mit einem zuvor festgelegten Mindestumsatz mit dem Online-Dienst abzuschließen.

AOL wiederum erklärte sich bereit, von Sun bis zum Jahr 2002 Systeme und Services im Wert von 500 Millionen Dollar zu beziehen. Für AOL ist das Geld auf jeden Fall gut investiert, wenngleich der Kaufpreis doch deutlich über der Marktkapitalisierung von Netscape lag, die sich zu jenem Zeitpunkt auf 3,7 Milliarden Dollar belief. Denn mit der Browser-Software und dem Internet-Portal-Netcenter, das mit fünf Millionen Nutzern und über 120 Millionen Hits pro Tag zu den meistbesuchten Web-Seiten zählt, wird AOL nicht nur zur bedeutendsten Web-Adresse, sondern zusammen mit den eigenen 15 Millionen Kunden zur größten Internet-Company der Welt.

Für Netscape indes endet eine kurze, aber fulminante Unternehmensgeschichte. Im April 1984 von Jim Clark, Gründer von Silicon Graphics, aus der Taufe gehoben, um Software zum leichteren Internet-Surfen zu vermarkten und weiterzuentwickeln, die auf den Ideen des damals nicht nicht einmal 24 Jahre alten Studenten Marc Andreessen basierte. Top-Manager James Barksdale komplettierte das Trio.

Im August ging Netscape an die Börse - und innerhalb weniger Stunden hatte sich der Wert des Newcomers mit einem Jahresumsatz von 16 Millionen Dollar auf satte zwei Milliarden erhöht. Selbst die abgebrühtesten Spekulanten in den USA hatten einen derartigen Höhenflug einer Aktie noch nicht erlebt. Und auch umsatzmäßig verzeichneten die Kalifornier rasche Sprünge in den dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich.

Doch schließlich machte auch Microsoft mobil. Der Softwaregigant begann im vergangenen Jahr, den eigenen Browser Explorer im Bundle mit allen nennenswerten Softwareprodukten zu verschenken, um Netscape das Wasser abzugraben, und hatte damit Erfolg. Microsoft selbst geriet dadurch in die Mühlen der Justiz, die immer noch kräftig mahlen, Netscape aber brach das Geschäft zusammen, und die Ergebnisse stürzten in den Keller. Zwar erwies sich Netscape als rasch wandlungsfähig und startete einen vehementen Angriff auf den Groupware- und Messaging-Markt.

Doch die schon zu Jahresbeginn auftauchenden Gerüchte, daß die Interessenten bei den Kaliforniern zwecks Übernahme Schlange stehen, hielten sich das ganze Jahr über hartnäckig.

Zum krönenden Abschluß seiner Eigenständigkeit konnte Netscape wenigstens noch einmal ein ansehnliches Quartalsergebnis vorlegen: Im letzten Abschnitt des Geschäftsjahrs 1997/98, das am 31. Oktober endete, meldete man einen Umsatz von 162 Millionen und einen Gewinn von 2,7 Millionen Dollar.

Einen aber kann auch das nicht versöhnlich stimmen. Marc Andreessen, der mit seinen Ideen die Gründung von Netscape überhaupt erst möglich gemacht hatte, hat sich erst einmal eine Auszeit genommen. Er will mit dem Ausverkauf seines Lebenswerks nichts zu tun haben.

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.