IT-Arbeitsmarkt/IT-Personalmangel macht neuen Bundesländern zu schaffen

IT-Fachkräfte suchen ihr Glück im Westen

06.07.2001
An der technologischen Infrastruktur mangelt es im Osten der Republik nicht. Was jedoch fehlt, sind die Fachkräfte. Ihr Mangel behindert den Aufschwung. Nur Glanzlichter wie Dresden, Berlin und Leipzig haben keine Probleme in dieser Hinsicht. Von Veronika Renkes*

"Die Unternehmen der Informationstechnik- und der Telekommunikationsbranche (ITK) haben im vergangenen Jahr in Deutschland 75000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Die Beschäftigung wuchs um 10,1 Prozent von 745000 auf 820000 Stellen", verkündete der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) Anfang Juni in Berlin.

Während laut Bitkom-Mitarbeiter Stephan Pfisterer 75 Prozent der IT- und Telekommunikationsunternehmen auf der Rhein-Main- Schiene und in Bayern angesiedelt sind und somit jede Menge Arbeitsplätze schaffen, ist die Situation in Ostdeutschland ein wenigdiffus. Doch gerade der Osten, wo in manchen Regionen eine Arbeitslosigkeit von bis zu 20 Prozent herrscht, könnte einen kräftigen Anstoß zur Schaffung neuer Jobs gut gebrauchen.

Hightech hat im Osten Tradition"Speziell zum IT-Arbeitsmarkt Ostdeutschland gibt es keine genauen Zahlen wie die Arbeitsplätze sich dort entwickelt haben, aber die Entwicklungsmöglichkeiten sind in Ostdeutschland nicht schlechter als im Westen", lautet immerhin die Expertenmeinung von Angela Schürfeld. Die Volkswirtin bei der DG-Bank in Berlin hat für ihren Arbeitgeber die jüngst veröffentlichte Studie "Hightech in Ostdeutschland" verfasst. Ihr Resümee: Die Grundlagen für hochentwickelte Technologieunternehmen, auch gerade auf dem ITK-Sektor, seien mehr als hinreichend vorhanden. Sie sollten jetzt nur genutzt werden. Derzeit - so ein Ergebnis der Untersuchung - fahren endlich zwei Prozent aller ostdeutschen Firmen auf der Hightech-Schiene.

Die Expertin hat dafür folgende Erklärung parat: Die gut ausgebildeten Fachkräfte kehren dem Osten den Rücken und suchen ihr Glück in den westlichen Bundesländern oder gar im Ausland. Dabei hat gerade der Osten eine sehr lange Tradition, was die Entwicklung von Hochtechnologien betrifft. Auch das dringend gesuchte Humankapital stellen die teilweise sehr renommierten Hochschulen dem Markt zur Verfügung - nur profitieren davon hauptsächlich andere Standorte, wie etwa das hochattraktive München und die Metropolen an Rhein und Neckar.

Fachkräftedefizite über 40 Prozent"Eine tragische Entwicklung", meint Manfred Goedecke, Geschäftsführer bei der Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen in Chemnitz. Die Region um Chemnitz, Plauen und Zwickau - ein traditionsreiches Maschinenbaugebiet - benötige zirka 1000 bis 1500 Ingenieure pro Jahr. Selbst wenn alle Absolventen der eigenen Hochschuleinrichtungen ihr Arbeitsleben in der Region begönnen, bestünde immer noch ein Defizit von 40 Prozent, hat der IHK-Boss hochgerechnet. "Die Old Economy ist hochgerüstet bis an die Zähne -, was fehlt, sind die Fachkräfte", lautet auch die Analyse von Goedecke. In Chemnitz hat sich eine starke IT-Szene entwickelt. 180 Softwareunternehmen haben sich dort angesiedelt. Manfred Goedecke schätzt die IT-Landschaft in seinem Verantwortungsbereich auf 3000 bis 3500 Unternehmen, wenn man die Ein- bis Zweimannbetriebe hinzuzähle, vom Hardware- und Beratungsunternehmen bis hin zum Multimedia- Dienstleister. Auch IBM und Siemens sind hier vertreten.

Regionen wie Berlin, Dresden oder Jena scheinen es geschafft zu haben, und Berlin, Thüringen sowie Sachsen könnten schon ganz gut mithalten mit den westdeutschen Ländern, erzählt Bankerin Schürfeld. In Dresden sei das hauptsächlich durch die Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik gegeben, die sich dort angesiedelt hat. In Jena ist es besonders die Photonik. Schlecht sieht es hingegen in den strukturschwachen Regionen Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern aus. Dort gibt es kaum industrielle Zentren oder Großindustrien, die als wichtige Nachfrager die IT-Dienstleistungsbranche beflügeln könnten.

In Sachsen-Anhalt ist nur ein geringerer Anteil der ostdeutschen IT-Unternehmen und -institutionen ansässig. Die DG Bank schätzt die Anzahl der IT-Unternehmen dort, die sich um die beiden Universitätsstädte Magdeburg und Halle gebildet haben, auf knapp 50. Weit abgeschlagen zeigt sich Mecklenburg-Vorpommern. Der Technologieatlas des Landes verzeichnet lediglich 30 IuK-Unternehmen. Eines davon ist die Schweriner Produktionsfirma Optimal Media Production. Hier werden seit 1990 mehrere Millionen CDs, DVDs, LPs und MCs pro Jahr hergestellt. Zudem existieren etwa 20 Institutionen und Forschungseinrichtungen in der Region, welche die Bemühungen für mehr Aktivitäten in diesem Technologiebereich signalisieren.

Erfolg mit SoftwareDort, wo die IT-Branche in den neuen Ländern floriert, ist dies in erster Linie auf die Expansion der Softwareindustrie und der virtuellen digitalen Medien zurückzuführen, hat die DG-Bank festgestellt. Viele kleine ostdeutsche Unternehmen hätten sich auf Softwareentwicklung und -applikationen spezialisiert oder Marktnischen gefunden. Und manche haben damit den Durchbruch geschafft, wie die Leipziger PC-Ware Information Technologies AG.

Die Software-Firma hat sich auf Lizenzierung, Service und Internet-Entwicklungen spezialisiert. PC-Ware gehört zu den wachstumsstärksten deutschen Unternehmen in der Informationstechnologie und ist marktführender Lizenzierer von Standard-Software in Deutschland. "Wir sind zu mehr als 40 Prozent Frauen, die Arbeitsatmosphäre ist bei uns hier sehr locker, wir haben gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, sehr gute soziale Leistungen und keine Probleme, Nachwuchs zu bekommen", erzählt Jutta Horezky, Vorstand bei PC-Ware. Zu den Kunden zählen die ganz Großen wie IBM, Microsoft, Novell, Symantec, der VW-Konzern, die Bundeswehr oder die Bausparkasse Wüstenrot.

Auch Großunternehmen wie die Siemens-Tochter Infineon, die Advanced Micro Devices GmbH (AMD), die Deutsche Telekom oder die SAP Systems Intergration AG hat es in den Osten gezogen. Gründe: der große Pool an hoch qualifizierten Arbeitskräften, die aus den technischen Universitäten hervorgehen, gute Kooperationsmöglichkeiten mit Forschungsinstituten vor Ort und ein dichtes Netzwerk aus großen und kleinen IT-Unternehmen, deren Tätigkeiten von der Halbleiter- bis zur Softwareproduktion reichen. Die meisten ostdeutschen IuK-Unternehmen befinden sich zu etwa gleichen Teilen in Berlin und Sachsen. "Infineon Technologies hat sich nach der Wende in Dresden angesiedelt, weil Dresden mit Erfurt in Thüringen und Frankfurt/Oder in Brandenburg das Halbleiterzentrum der DDR gewesen war - und weil es dort einfach gut ausgebildete Fachkräfte gab", erläutert Birte Urban von Infineon Technologies die Standortentscheidung ihres Unternehmens. Zudem funktioniere die Kooperation mit der TU Dresden und der TU Chemnitz sehr gut.

Ähnliche Argumente bringt auch Hans-Jürgen Neufing vor, Senior Rekruiter beim Halbleiterwerk AMD. Die Wahl auf Dresden fiel wegen der gut ausgebildeten Arbeitskräfte und der exzellenten wissenschaftlichen Infrastruktur. In Dresden gibt es allein rund 22 Forschungseinrichtungen, die sich mit Mikroelektronik und Halbleiter beschäftigen.

"Silicon-Saxony" nennt sich viel versprechend der Mikroelektronikstandort Dresden, der auch für anwendungsfreudige Informatiker aus Gesamtdeutschland zunehmend interessanter wird. "Das Kneipenviertel ist hier ähnlich wie am Prenzlauer Berg in Berlin", schwärmt die gebürtige Hamburgerin Birte Urban. "Die Elbufer sind ideal zum Fahrradfahren, es gibt ein Weinanbaugebiet, Seen zum Baden. In einer halben Stunde ist man in der sächsischen Schweiz zum Bergsteigen oder im Erzgebirge zum Skifahren." Hinzu kommt das Kulturangebot, das mit der Semper-Oper, dem Staatstheater oder dem Jazzklub "Die Tonne" zu DDR-Zeiten internationalen Ruhm genoss. Und: Die Mieten sind günstig. "Wer Kinder hat, bekommt auch einen Ganztagsplatz in einer Kinderkrippe", schwärmt Birte Urban. Nach einer Untersuchung des Bielefelder Emnid-Instituts soll "Elbflorenz" Dresden in weniger als vier Jahren immer attraktiver für den Zuzug von Managern aus der Telekommunikationsbranche werden.

Die Siemens-Tochter Infineon siedelte sich auf dem Gelände einer früheren russischen Kaserne an, ganz in der Nähe des Zentrums für Molekularelektronik Dresden (ZMD), das 1961 als Institut der Universität Dresden gegründet wurde. Ewas später folgte AMD. Rund um die großen Werke ist ein Netz von kleinen Dienstleistern und größeren Zulieferern entstanden. Dazu kommen viele Startups, die sich aus der TU Dresden ausgegründet haben. Bei Infineon in Dresden finden derzeit 3300 Mitarbeiter ihr Auskommen. Wenn das neue 300- Millimeter-Wafer-Werk fertig ist, sollen bis Ende 2002 weitere 400 Arbeitsplätze hinzukommen. "Pro von uns geschaffenem Arbeitsplatz sind 1,8 zusätzliche dauerhafte Arbeitsplätze in Dresden und Umgebung entstanden", berichtet Birte Urban stolz.

Seit sich AMD für den Standort Dresden entschieden habe, seien mehr als 36 500 Bewerbungen eingegangen, berichtet auch Hans-Jürgen Neufing. Der Grund: "Wir haben hier eine der neuesten Chip-Fertigungsstätten und die modernste Mikroprozessorenfertigung weltweit. Dadurch sind wir sehr attraktiv für Hochschulabsolventen." Zurzeit beschäftigt AMD in Dresden 1650 Mitarbeiter, bis zum Jahresende sollen weitere 150 folgen. 75 Prozent der Mitarbeiter kommen aus Sachsen, 15 Prozent aus Thüringen und Brandenburg und zehn Prozent aus den alten Bundesländern. AMD sucht für sein Chip-Entwicklungszentrum "Dresden Design Center (DDC)" derzeit weltweit Absolventen der Technischen Informatik oder Elektrotechnik, die sich mit Schaltkreisentwicklungen, Hardwarebeschreibungssprachen oder Hochfrequenztechnik auskennen. Das Hightech-Unternehmen beschäftigt aber auch Informatiker, welche die Netzwerke betreuen oder Softwareprogramme schreiben.

Während Dresdens IT-Unternehmen überwiegend aus Zulieferern und Dienstleistern für die Mikroelektronik-Unternehmen bestehen, gibt es in Leipzig viele Firmen, die sich auf neue Medien, Multimedia und Software spezialisiert haben. In Leipzig und seinem Umland sind mehr als 1000 Unternehmen in der Medienbranche tätig.

In Thüringen wiederum konzentrieren sich die Unternehmen auf die Städte Jena, Erfurt, Gera, Ilmenau und Suhl. An der Technischen Universität Ilmenau wird interdisziplinär zu den Themen Informations- und Kommunikationssysteme, Bildverarbeitung, Informatik, Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme sowie Medientechnik geforscht. Nicht zuletzt die Firma Intershop verhalf der Stadt Jena zu einer Gründerszene auf dem Informations- und Kommunikationssektor. Etwa 70 junge Technologieunternehmen gehen derzeit im Schatten von Jenoptik und Intershop auf den Markt. Nach Berlin gilt Jena als die am stärksten vom Internet durchdrungene Stadt Ostdeutschlands.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.