Finanzierungsprobleme vor allem im Mittelstand

IT-Branche zwischen Hoffen und Banken

21.02.2003
MÜNCHEN (CW) - Für mittelständische IT-Anbieter wird es immer schwieriger, an Liquiditäts- oder Investitionsdarlehen zu gelangen - nicht nur vor dem Hintergrund von "Basel II". Gleichzeitig schlägt die Branchenkrise voll auf die finanziellen Reserven der Firmen durch.

Man kann die Uhr danach stellen: Keine Woche vergeht, wo in der Presse nicht vor einer "Kreditklemme" gewarnt, auf die dünne Eigenkapitaldecke des Mittelstands hingewiesen und die schlimmste Krise der IT-Branche überhaupt beschworen wird. Zudem wirft "Basel II" seine Schatten voraus. Die neuen Eigenkapitalrichtlinien der Banken treten zwar erst in vier Jahren in Kraft, werden von Mittelständlern aber schon jetzt als existenzbedrohend empfunden. "Wir Deutschen haben die Neigung, überall Krisen zu sehen", beschwichtigt Heinz-Paul Bonn, Chef der GUS Group AG. Doch auch der notorisch optimistische Unternehmer aus Köln und Mittelstandssprecher des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) muss einräumen: "Es gibt zurzeit sicher eine verbesserungsfähige Ausgangslage."

Viele Hunde sind des Hasen Tod

Wie man die Situation auch umschreibt, die mittelständische deutsche IT-Industrie steht an einem Scheideweg. Heikel wird die Situation dadurch, dass mehrere Faktoren zusammenkommen - die Branchenschwäche, die Bankenkrise und ein genereller Vertrauensverlust nach der Pleite der New Economy und dem damit verbundenen Absturz vieler Aktienkurse. Während jedoch Freiberufler und kleine Anbieter von ihrer räumlichen Nähe zu den Kunden profitieren und große IT-Konzerne die Krise auf ihren Reserven aussitzen können, wird der Mittelstand zwischen den Fronten von Ich AG und SAP AG zerrieben.

Im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik steht meist der Vorwurf an die Banken, sie würden den Mittelstand ruinieren. Ihre restriktive Vergabe von Krediten an bedürftige Firmen ist indes nicht nur böser Wille - viele der Institute stehen selbst mit dem Rücken zur Wand. Deutschland gilt als "overbanked", das teuer erkaufte Investmentbanking und die Projektfinanzierung liegen am Boden, strategische Expansionen erwiesen sich als Flop, und 40000 Unternehmensinsolvenzen haben 2002 die Verluste anschwellen lassen. Folglich müssen die Geldhäuser ihre Produkte "risikobewusster bepreisen", wie es im Bankendeutsch heißt.

Die "Neuausrichtung" im Kreditgeschäft entspringe dem eigenen Überlebensinteresse, verteidigt Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die Scheu vor dem Risiko. Jüngste Pleiten wie die Schließung der Advance Bank nach sieben unprofitablen Jahren geben ihm Recht. Jedoch kann die Entwicklung in einer fatalen, weil prozyklischen Abwärtsspirale enden: In einer von der Konjunkturflaute betroffenen Branche erhalten die Firmen die nötigen Kredite nur gegen höhere Kosten. Statt gebremst, wird der Abschwung durch diesen Trend beschleunigt. Der Spott, dass Banken im Sommer Regenschirme verleihen, um sie bei Schlechtwetter zurückzufordern, kommt nicht von ungefähr.

Der Hightech-Sektor, der sich seit dem Platzen der Dotcom-Blase im freien Fall befindet, ist von der Bankenkrise stark betroffen. Die Situation verschlimmert sich dadurch, dass sich Softwarehäuser und Dienstleister seit jeher schwer tun, die nötigen Sicherheiten für die Kreditvergabe beizubringen - Sourcecode und Projekterfahrung wirken nicht eben attraktiv auf potenzielle Gläubiger. "Die IT-Branche hat derzeit keinen allzu guten Ruf bei Banken", bringt der Verband der Softwareindustrie Deutschlands (VSI) das Dilemma auf den Punkt. Der Bitkom seinerseits hat herausgefunden, dass zwei Drittel der IT-Unternehmen die Kreditknappheit gegenwärtig als größtes Problem ansehen.

Banken erhalten schlechte Noten

So fällt im Gegenzug das Zeugnis der IT-Branche für die Banken durchwachsen aus: Bei einer Online-Umfrage auf der Website des VSI (www.vsi.de) gaben 22 Prozent der Befragten an, von einer Akzeptanz als Geschäftspartner der Bank könne "keine Rede sein". Ein Viertel fühlte sich immerhin "voll akzeptiert", ein weiteres Viertel "kaum wahrgenommen". Rund 30 Prozent der Befragten würden ihre Bank einem guten Geschäftspartner nicht weiterempfehlen, mehr als ein Drittel hatten den Eindruck, dass der Finanzdienstleister an ihnen als Kunden nicht interessiert sei.

Problematisch in diesem Zusammenhang ist, dass kleine und mittlere Unternehmen kaum Alternativen zum herkömmlichen Darlehen der Hausbank haben, wenn sie kurzfristig Geld brauchen. Nach Informationen der Nürnberger Mittelstandsberatung Rödl & Partner werden in Europa bislang etwa 60 Prozent der Kapitalmarktfinanzierung über Bankkredite abgewickelt, der Rest über Anleihen. Allerdings finden sich am Markt kaum Anleihen unter 50 Millionen Euro, was für Mittelständler eindeutig zu viel ist. Ebenso wie ein Börsengang fällt diese Finanzierungsoption daher aus.

Einziger Hoffnungsschimmer: Die Gilde der Beteiligungsgesellschaften und Wagniskapitalgeber hat die Zielgruppe der Mittelständler neu für sich entdeckt. Der Grund ist, dass Startups, die teilweise noch in der Brainstorming-Phase stecken, von Investoren angesichts der schlechten Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr wahrgenommen werden. Betriebe, die nachweisen können, dass sich der Markt für ihr Angebot interessiert, haben indes Chancen: Nach einer Schätzung des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) werden heimische Venture-Capital-Fonds dieses Jahr rund 80 Prozent ihrer Investitionen in die mittelständische Wirtschaft fließen lassen.

Allerdings hat diese Form der Kapitalbeschaffung ihren Preis: Eine erwartete Rendite von durchschnittlich mindestens 25 Prozent pro Jahr muss erst einmal erwirtschaftet werden, gerade in einer Krise. Auch ist der Markt für Beteiligungen hierzulande nicht sonderlich weit entwickelt: Das Ziel müsse sein, ihn zu "verstetigen", sagte unlängst Hans Reich, Chef der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), im "Handelsblatt". Überdies legt nicht jeder Unternehmer auf einen Kommanditisten Wert, der etwa im Fall einer so genannten atypisch stillen Beteiligung regelmäßig Aufklärung über die finanzielle Situation des Unternehmens verlangt - da könne man ja gleich zur Bank gehen.

Verschärft wird das IT-Finanzierungsdilemma durch einen schleichenden, strukturellen Veränderungsprozess: Seit 20 Jahren habe der IT-Mittelstand hierzulande Probleme, sagt August-Wilhelm Scheer, Gründer der IDS Scheer AG. Das "große Sterben" von Softwareprodukten sei zwar teilweise durch den Erfolg der SAP AG kaschiert worden. Viele Softwarehäuser hätten ihre Produkte aufgegeben und seien in der Walldorfer "Implementierungswelle" mitgeschwommen. Nun werde aber auch diese Marktnische kleiner.

Strukturprobleme in der Branche

Daher befürchtet Scheer, dass sich die aktuelle Lage gravierender auswirkt als die Krise Anfang der 90er Jahre. Die damalige Nachfrageschwäche der Industrie habe noch durch die IT-Investitionen der Banken selbst kompensiert werden können: "Im Augenblick gibt es aber keine Branche, an die man sich halten kann", sagt Scheer. Es sei bezeichend für die aktuelle Situation, dass IT-Projekte der öffentlichen Hand von Lieferanten als "interessant" bezeichnet werden: "Dabei ist der Staat nicht gerade als besonders guter Auftraggeber bekannt." Von einer reinen Finanzkrise zu sprechen, greift angesichts der strukturellen Probleme in der Branche zu kurz.

Auch Peter Pagé, einst als "Mr. Software" titulierter ehemaliger Vorstand der Software AG, sieht die aktuelle Entwicklung kritischer als vor zehn Jahren: "Wir haben in der Branche noch einen Berg an Überkapazitäten vor uns, den kein Glaube versetzen kann." Zudem werde kaum ein Anwender in naher Zukunft wieder bereit sein, die noch während der Boomphase üblichen Preise zu berappen, glaubt der Marktbeobachter. Dies nutzen - aus der eigenen Not geboren - gegenwärtig vor allem die großen Beratungshäuser aus, die ihre Mitarbeiter nicht entlassen wollen, sondern mittels Kampfpreisen beim Honorar den kleinen Wettbewerbern das Leben doppelt schwer machen.

Bleibt als letzter apokalyptischer Reiter für die Branche noch das drohende Rating nach den Richtlinien von Basel II. Hierbei muss den Krediten entsprechend der Bonität des jeweiligen Kreditnehmers Eigenkapital gegenüberstehen. Je höher das Risiko, desto teurer das Geld. Viele Firmen fürchten daher, von ihrer Bank falsch bewertet, in der Regel also übervorteilt zu werden. Pauschal werden den Finanzdienstleistern standardisierte Prüfverfahren, mangelnde Branchenkenntnis und ein natürliches Interesse an höheren Zinsen vorgeworfen. Allerdings wissen die meisten Banken selbst noch nicht recht, wie die genauen Rating-Kriterien aussehen und gewichtet werden.

Einige Eckpunkte sind jedoch schon gesetzt: Rund 30 bis 40 Prozent des Bonitätsurteils werden laut Rödl & Partner aus dem so genannten Struktur-Rating gefällt, der Rest bemisst sich am Finanz-Rating, also dem Jahresabschluss und anderen Kennzahlen ("quantitative Unternehmensanalyse"). Unter das Struktur-Rating ("qualitative Unternehmensanalyse") fallen Faktoren wie Wettbewerbstrends oder eine Branchenanalyse. Einen Teil seiner Kreditkostenbewertung hat der "Bittsteller" folglich nicht selbst in der Hand - geht es der Branche schlecht, geht es den Unternehmen schlechter. Die Abwärtsspirale ist in Gang gesetzt, argumentativ durchbrechen lässt sie sich in Krisenzeiten nur noch schwer.

Fragliche Kompetenzen der Manager

Martin Wambach, Rating-Experte bei Rödl & Partner, kann indes nicht feststellen, dass die Softwareindustrie besonders davon betroffen ist: "Welche Branche steckt denn momentan nicht in einer Krise?" Softwareunternehmen hätten hingegen oft Probleme mit den betriebswirtschaftlichen Kompetenzen ihrer Manager, die sich häufig schwer täten, die Ertrags- und Liquiditätssituation in den Griff zu bekommen. Beispiele für Insolvenzen eigentlich gesunder Unternehmen gebe es laut Wambach in der Branche genügend.

Zudem müssen die Mittelständler generell umdenken. "Die Anforderungen einer Bank beim Rating decken sich nicht mit den steuerlichen Bedürfnissen eines Unternehmers", berichtet Thomas Ehring, Geschäftsführer des Münchner Softwarehauses Macros Innovation GmbH. Sind Gewinne traditionell dann angefallen, wenn es am besten in die Steuerplanung passte (besser spät als nie), müssen nun Erträge fließen, wenn sie für ein Rating gebraucht werden. "Was sich über Jahre in den Köpfen der Unternehmer und Steuerberater festgesetzt hat, ist jetzt ein riesiges Handicap für die Finanzierung", sagt der Geschäftsführer.

IT-Lieferanten müssten aber in jedem Fall akzeptieren, dass neue, schwierigere Zeiten bei der Unternehmensfinanzierung angebrochen sind, fordert Rating-Experte Wambach. Zurückdrehen lässt sich die Uhr nicht mehr, das Rating wird kommen. Auch Thomas Klimmer, Mittelstandbeauftragter des VSI sowie IT-Unternehmer in Ismaning, hält es grundsätzlich für richtig, dass vor Basel II gewarnt wird und sich die Betroffenen darauf einstellen: "Es ist aber auch viel Panikmache dabei", schränkt er ein. Ohne Sicherheiten habe es schließlich auch in der Vergangenheit kaum Finanzmittel gegeben.

Was von der Krise übrig bleibt, ist eine Branche zwischen Hoffen und Bangen. "Der Mittelstand in Deutschland wird meines Erachtens bei der Softwareproduktion keine Bedeutung mehr haben", befürchtet Scheer. "Wir müssen lernen, dass die Sonnenseiten des Verkäufermarkts vorbei sind", sagt auch Mittelstandssprecher Bonn vom Bitkom. Dennoch ist er optimistisch, dass der nächste Aufschwung kommt, auch wenn sich die kleinen IT-Anbieter dafür umstellen müssen: "Wir leben in einer neuen Zeit. Heute bedeutet Datenverarbeitung nicht mehr nur programmieren, sondern Sachkompetenz." (ajf)

IT-Mittelstand

In Deutschland waren im Jahr 2000 nach Bitkom-Informationen knapp 50000 mittelständische Unternehmen im Wirtschaftszweig Datenverarbeitung und Datenbanken aktiv, zu dem unter anderem die Hard- und Softwareberatung sowie die Softwareentwicklung gerechnet werden. Rund 4300 Firmen erzielten einen Umsatz von jeweils mehr als einer Million Euro. Hiervon wiederum erreichten rund 400 Anbieter mehr als zehn Million Euro Umsatz.

Heinz-Paul Bonn, mittelstandspolitischer Sprecher des Bitkom, fordert die IT-Unternehmen auf, sich dem Rating-Prozess im Rahmen der neuen Eigenkapitalvereinbarung ("Basel II") zu stellen: "Nur zu jammen, die deutschen Banken mögen mich nicht, ist keine Position." Ein Berichtswesen einzuführen, das auch die Kreditinstitute überzeugt, sei eine Bringschuld, sagt Bonn, der ein Softwareunternehmen in Köln leitet.