IT-Beratung: "Der Prophet gilt nichts im eigenen Land" Abhaengigkeiten fuehren oft zur Narrenfreiheit der Consultants

22.09.1995

Outsourcing, Downsizing, Dezentralisierung oder SAP-Einfuehrung - kaum ein deutsches Unternehmen wagt sich momentan an DV- spezifische Umstrukturierungen ohne die Empfehlungen externer Berater. Rund 2000 Mark taeglich lassen sich die spendierfreudigen Chefetagen den Rat der Spezialisten kosten - eine Rechnung, die sich jedoch nicht immer auszahlt. Vor allem dann drohen kostspielige Projekte zu scheitern, wenn das Management ihre DV- Abteilungen weder bei der Auswahl der "Mentoren" noch bei der Beurteilung der unterbreiteten Vorschlaege hinzuziehen.

Ich kann auf viele Berater gar nicht mehr verzichten - das sind einfach Key-Player", beschreibt Dirk Moeller die Bedeutung externer Consultants bei der Reynolds R. J. Tobacco GmbH in Koeln. Der DV- Leiter, dessen Arbeitgeber im Moment sechs Ratgeber beschaeftigt, vertraut deren Know-how hauptsaechlich bei der Einfuehrung und Handhabung einer AS/400-Software des Anbieters JD Edwards. "Intern konnte diese Einfuehrung nicht bewerkstelligt werden", erklaert Moeller, "denn das war ein voellig neues Gebiet fuer uns".

Trotz seiner Abhaengigkeit kritisiert der Koelner DV-Manager die Leistungen einiger Dienstleister. Derzeit bestehe ein grosses Beratungsangebot, doch nicht immer sei das notwendige Know-how vorhanden. Um nicht ueber den Tisch gezogen zu werden und kuenftig eine effektivere Ueberpruefung der Consulting-Leistungen durchfuehren zu koennen, sei der Tabakkonzern dazu uebergegangen, eigene Mitarbeiter entsprechend auszubilden. "Die wussten nach kurzer Zeit mehr als die Leute, die vorgaben, etwas zu wissen", zieht der DV- Verantwortliche eine wenig schmeichelhafte Bilanz fuer die Arbeit der Beratungsunternehmen.

Vetorecht ist oft ein Fremdwort

"Wir werden immer in irgendeiner Form von Beratern abhaengig sein", hat sich Moeller abgefunden. Davon lebe schliesslich die gesamte DV- Industrie. Der Erfolg von SAP haenge beispielsweise massgeblich von der Produktberatung ab: "Letztlich bekommen wir doch nur eine Rohsoftware geliefert, die erst an die Geschaeftsprozesse angepasst werden muss".

Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik bei Strategien wie dem Outsourcing. Waehrend das DV-Team bei Reynolds Mitspracherecht bei der Wahl des Beraters geniesst, lassen sich andere DV- Abteilungen das Heft von der Geschaeftsfuehrung aus der Hand nehmen. Veto ist etwa bei der deutschen Niederlassung eines schwedischen Automobilkonzerns, der sich fuer ein Outsourcing mit EDS entschlossen hatte, ein Fremdwort: "Wir muessen uns an die Konzernempfehlung - sprich: EDS - halten", lautet das alles andere als glueckliche Fazit eines DV-Verantwortlichen, der anonym bleiben wollte.

Geschaeftsleitungslogik kontra abteilungsspezifischem Sachverstand scheint vielerorts an der Tagesordnung zu sein. Die Folge: "Unseren Beratern fehlt es am Praxisbezug", aergert sich der EDS- Kunde. Die Consulting-Gruppe empfehle haeufig Produkte, die in der Realitaet gar nicht oder nur schwer anwendbar seien. An eine Trennung vom derzeitigen Berater sei jedoch nicht zu denken.

Nach einem Outsourcing-Projekt der DV-Abteilung im skandinavischen Headquarter durch EDS wurde der Berater auch damit beauftragt, die deutsche Dependance unter seine Fittiche zu nehmen, schildert der DV-Entscheider. Vorsichtiges Umschauen nach Alternativen stossen bei der schwedischen Muttergesellschaft offensichtlich auf taube Ohren. Lediglich im Bereich der Finanzbuchhaltung sei es moeglich, anderes als EDS-Wissen in Anspruch zu nehmen. "Auch wenn wir mit McKinsey besser klarkommen wuerden, koennten wir das nicht durchsetzen - wir sind auf EDS angewiesen".

Doch nicht nur die Konzernentscheidung bindet die deutsche Niederlassung an den Berater EDS: "Wir haben keinen Zugriff auf den Quellcode der hier eingesetzten Software", bedauert der DV- Verantwortliche, dessen Unternehmen auf Hilfe von Consultants fuer die Entwicklung in den Bereichen Auftragserfassung der Ersatzteile, Garantieabwicklung und Fahrzeugverwaltung baut. Weltweit seien die gleichen Programme bei den einzelnen Niederlassungen im Einsatz. "Flexibilitaet ist nicht moeglich", so die nuechterne Erkenntnis des Angestellten. Im Falle mangelhafter Applikationen verhandele erst einmal die schwedische Fuehrung mit EDS. "Aber wir muessen eine zeitlang mit den fehlerhaften Programmen zurechtkommen".

Ein gaenzlicher Verzicht auf Berater sei indes ebenso wie auch bei anderen deutschen Unternehmen so gut wie unmoeglich. Schliesslich koenne man fest angestellte Mitarbeiter nach einem abgeschlossenen Projekt nicht einfach an die Luft setzen.

Soziale Aspekte kommen zu kurz

Gottfried Richenhagen, Regionalleiter Ruhrgebiet der Technologieberatungsstelle beim DGB Landesbezirk NRW sind derartige Probleme nicht unbekannt:

"Die Kunden sind abhaengig von ihren Ratgebern und koennen oft nicht unterscheiden, ob ein Berater der Geschaeftsleitung oder der DV- Abteilung aus eigenem Interesse oder aufgrund seiner Kenntnisse agiert", beobachtet Richenhagen. Ratsuchende koennten die Abhaengigkeit kompensieren, indem sie mit verschiedenen Partnern zusammenarbeiteten.

Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl von Consultants seien persoenliche Empfehlungen von Mitarbeitern fremder Unternehmen. Als grosses Manko nahezu aller Berater stelle sich heraus, dass sie die sozialen Aspekte und die Einbeziehung der Arbeitnehmerseite sowie die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht ausreichend beruecksichtigten.

Gegen fehlerhafte Entscheidungen von Beratern scheint juristisch kein Kraut gewachsen zu sein. So koennen laut Richenhagen Consultants nur selten zur Rechenschaft gezogen werden, weil die Voraussetzungen, unter denen der Rat erteilt wurde, oftmals zu zweideutig formuliert seien. Die Berater koennten sich herausreden. Nicht nur die Geschaeftsfuehrung, sondern auch die Mitarbeiter der DV-Abteilung sollten nach Empfehlung des DGBlers eine enge Kommunikation mit dem Ratgeber suchen, um Fehler und Fehleinschaetzungen zu vermeiden: "Das ist besser als das Einklagen von falschen Ratschlaegen".

Oft sind derartige Versuche allerdings fruehzeitig zum Scheitern verurteilt. Geschaeftsfuehrer glaubten externen Beratern einfach mehr als internen Spezialisten.

"Der Prophet gilt nichts im eigenen Land", zitiert Richenhagen eine Volksweisheit. Das haenge allerdings auch mit der Unternehmenskultur zusammen. Zahlreiche Firmen neigten dazu, "Ratschlaege aus den eigenen Reihen zu vernachlaessigen."

Eine aehnliche Erfahrung wie Richenhagen hat Hagen Janthur gemacht. Der Leiter Informationsverarbeitungsservice bei der Kodak AG, Stuttgart, betont allerdings, dass es fuer Mitarbeiter in Unternehmen oft schwierig sei, heikle Punkte anzusprechen: "Ein Externer kann dem Management etwas sagen, was ein interner Organisator nicht erwaehnen wuerde".

Neutrale Berater sind Voraussetzung

Das Risiko der Abhaengigkeit von Consultants bestehe seiner Ansicht nach insbesondere bei Standardloesungen im Softwarebereich und bei Outsourcing-Strategien. Um sich nicht vollstaendig in Abhaengigkeit zu begeben, wuerden bei Kodak-Projekten grundsaetzlich auch interne Mitarbeiter in den Prozess miteinbezogen.

Dennoch sei es bei weltweit taetigen Konzernen in der Regel nicht moeglich, ausschliesslich lokale Entscheidungen zu treffen. "Wir muessen darauf achten, dass unsere Kollegen in Spanien oder Finnland auch bedient werden koennen", erklaert der Stuttgarter DV-Experte. Client-Server-Berater beispielsweise muessten europaweit einsatzfaehig sein, um in den verschiedenen Kodak-Niederlassungen gleiche Konzepte anbieten zu koennen.

Die endgueltige Entscheidung treffe dann allerdings das Europa- Management des Konzerns. Wichtig sei allerdings, dass man auf unabhaengige Berater zurueckgreift. "Ein IBM-Consultant wird normalerweise IBM-Produkte empfehlen - ein SAP-Spezialist wird keine Triton-Software anbieten", meint Janthur. Bei unabhaengigen Consultants sei die Chance einer neutralen Empfehlung dagegen relativ hoch.

Die Klagen mancher DV-Abteilungen, das Management entscheide ueber die Koepfe der Anwender hinweg, kann Janthur indes nur schwer nachvollziehen. IT-Teams, die bei der Entscheidung uebergangen werden, sollten sich seiner Ansicht nach an die eigene Nase fassen. "Dann liegt etwas im argen", so der Manager. Bei einer intakten Beziehung zwischen den einzelnen Geschaeftsfuehrungen und den DV-Abteilungen wuerden die IT-Bereiche bei der Wahl geeigneter Beratungspartner konsultiert.