Moderne Technologie erfordert Flexibilität (Teil 5)

IS: Neuer Struktur steht oft das Management im Weg

21.06.1991

Der Begriff "verteilte Informationssysteme" ist bei der Diskussion um die unternehmensweite Datenverarbeitung in den Vordergrund gerückt. Häufig fehlt es jedoch an genauen Definitionen, welche konzeptionellen Organisationsformen sich dahinter verbergen. Thomas Stutenbäumer* versucht in dieser Serie, eine Systematisierung dieses komplexen Themas vorzunehmen. Teil 5 behandelt Methoden der Realisierung von Informationssystemen in der Praxis.

Die Datenverarbeitung entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem unternehmensweiten Ansatz für den Aufbau von umfassenden Informationsarchitekturen. Heute sollen verteilte und vernetzte Rechner eine integrierte Informationsverarbeitung garantieren. Dabei ist die Theorie verteilter Informationssysteme mittlerweile sehr ausgereift, die Unternehmen befinden sich jedoch vielfach erst am Beginn der Umsetzung.

Die Schwierigkeiten, die sich aus den gewachsenen dezentralen Strukturen in der Datenverarbeitung bei der Umstrukturierung zu einem verteilten System ergeben, können folgendermaßen skizziert werden:

Ressourcen: dezentrale Systeme wurden unkontrolliert beschafft und eingesetzt; häufig existiert eine Vielzahl von Rechnern unterschiedlichster Hersteller; die eingesetzten Betriebssysteme haben ungleiche Versionsstände; Rechnerkopplungen über Netzwerke wurden, wenn überhaupt, nur teilweise installiert; vorhandene LANs sind heterogen, was zu Problemen bei deren Kopplung und dem gemeinsamen Netzbetrieb führt, etc.

Daten und Datenbanksysteme: gleichartige Daten werden auf verschiedenen Rechnern vorgehalten und die Beziehungen zwischen den Daten ignoriert; gleiche Daten sind unterschiedlich benannt, und verschiedene Daten erhalten die gleiche Bezeichnung; auf den Rechnern werden unterschiedliche Datenbank-Management-Systeme (DBMS) eingesetzt, die divergierende Abfragesprachen und Speichermethoden verwenden; Daten müssen für verschiedene Anwendungen mehrfach erfaßt werden; ein zentrales Abfragen des gesamten Datenbestandes ist nicht möglich, etc.;

Anwendungen: häufig verwendet jede Applikation einen eigenen Datenbestand, obwohl die Daten verschiedener Anwendungen teilweise die gleiche Information besitzen. Dadurch, daß Änderungen an den Datenbeständen nicht immer synchron in allen Anwendungen vorgenommen werden, divergieren die ursprünglich gleichen Informationen, das heißt die Applikationen kooperieren nicht miteinander, sondern existieren nebeneinander; darüber hinaus haben Anwendungen unterschiedliche Benutzeroberflächen und sind oft nur unzureichend dokumentiert, etc.;

Die Erfahrungen der letzten Jahren konnten in der Theorie verteilter Informationssysteme berücksichtigt werden, so daß viele der genannten Probleme in der modernen IT schon im Ansatz ausgeschlossen wurden. Die Mängel der heutigen Datenverarbeitung können jedoch nur dann behoben werden, wenn auch die teilweise jahrzehntelang gewachsenen, Organisationen von Arbeitseinheiten und -abläufen in den Unternehmen an die neuen Verfahren angepaßt werden.

Nach Untersuchungen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) scheuen viele Unternehmen die Neuorganisation, die mit einer IT-orientierten Umstrukturierung einhergehen müßte. Die größten Probleme, so das MIT, liegen nicht in der Hardware oder in der Software, sondern im Management. Um die Potentiale der neuen Informationstechnologie ausschöpfen zu können, ist eine Reorganisation unumgänglich. Erforderlich für eine erfolgversprechende Neustrukturierung sei laut MIT, eine unternehmensweite DV-Strategie zu entwickeln, eine klare Geschäftsvorstellung zu haben, über eine starke technische Infrastruktur zu verfügen und organisatorische Flexibilität mitzubringen.

In den folgenden Ausführungen soll aufgezeigt werden, wie ein zukünftiges Informationssystem realisiert werden kann und welche alternativen Wege dabei möglich sind.

Die derzeit existierenden dezentralen Strukturen und die Organisation zukünftig angestrebter verteilter Systeme differieren derart stark voneinander, daß der Übergang nur sukzessive und mit größter Sorgfalt durchzufahren ist. Zur Umstrukturierung einer überwiegend zentralen DV-Struktur mit isolierten beziehungsweise nur teilweisen vernetzten Rechnern hin zu einer Client-Server- beziehungsweise Client-Multiserver-Architektur kann die Realisierung in verschiedene Phasen eingeteilt werden, zum Beispiel:

1. Phase: Modernisierung und Vereinheitlichung von Hardware, Betriebssystemversionen und Kommunikationssystem der vorhandenen technischen Infrastruktur und notwendige Anpassungen der entsprechenden Anwendungen;

2. Phase: Verlagerung von Rechenkapazitäten der Zentralrechner auf Mini- beziehungsweise Mikrorechner (Downsizing); dabei sollten entweder offene Systeme eingesetzt oder die Auswahl der Rechnerplattformen auf wenige Hersteller begrenzt werden;

3. Phase: gebäudeabhängige Planung und Installation eines unternehmensweiten Rechnernetzes, mit Ankopplung der bereits vorhandenen lokalen Netzwerke und Rechner;

4. Phase: Aufbau einer unternehmensweit eindeutigen Datenbasis und Implementation von Datenbanksystemen, die eine einheitliche Abfragesprache für alle Daten verwenden. Falls erforderlich müssen existierende Anwendungen modifiziert oder ersetzt werden;

5. Phase: Aufbau logischer Rechnerverbindungen, die Zugriffe auf den Datenbestand eines Systems durch andere Rechner ermöglichen;

6. Phase: Abspeichern des gesamten Datenbestandes aller Rechnersysteme auf einen oder mehreren Servern, sowie die Organisation von Zugriffen über das Rechnernetz;

7. Phase: Integration der Anwendungen, Entfernen von Redundanzen der Datenbestände der jeweiligen Server, Implementation verteilter Anwendungen (Distributed Processing), sowie Beseitigung der lokalen Datenbestände.

Die genannten Phasen stellen dabei eine von vielen möglichen Abfolgen der einzelnen Reorganisationsschritte dar. Je nach Zielvorstellung, die durch eine Strategie festgelegt wird, können sich andere Phaseneinteilungen ergeben.

Die Umstrukturierungen können nur auf der Basis umfassender Analysen des Informations- und Verarbeitungsbedarfes durchgeführt werden, die vor allem auch zukünftige Entwicklungen des Unternehmens berücksichtigen. Dieser in der Regel sehr langwierigen Aufgabe stehen zeitlich dringliche Anforderungen aus den jeweiligen Fachbereichen entgegen. Darüber hinaus sind existierende DV-Strukturen sukzessive im Hinblick auf neue Strukturen der Informationsverarbeitung zu modifizieren.

In der Praxis sind - nach der Definition einer Zielvorgabe und der groben Konzeption eines Informationssystems, sowie der Definition von Grundsatzentscheidungen - drei Aufgaben parallel durchzuführen, um mittelfristig eine integrative Informationsverarbeitung realisieren zu können:

- Beschaffung und Einsatz neuer DV-Komponenten, um die zeitlich dringlichen Aufgaben aus den Fachbereichen erfüllen zu können;

- Analyse des heutigen und zukünftigen Informations- und Verarbeitungsbedarfes, Entwicklung eines unternehmensweiten Daten- und Verteilungsmodells;

- Modifikation der heutigen Datenverarbeitung, der Arbeitsabläufe und eventuell der Organisationseinheiten.

Für die Durchführung der genannten Aufgaben existieren umfassende Abhandlungen über Methoden und Verfahren. Im folgenden sollen jedoch nur wesentliche Aspekte kurz skizziert werden, damit der erforderliche Aufwand für die Einführung neuer Informationstechnologien besser abgeschätzt werden kann.

* Dipl.-Math. Thomas Stutenbäumer ist bei der Stadtwerke Münster GmbH für Grundsatzfragen in der Informationsverarbeitung zuständig.