Interview mit Edward Yardeni, Deutsche Morgan Grenfell

Interview mit Edward Yardeni, Deutsche Morgan Grenfell Das Problem 2000 kann Wirtschaftskrisen auslösen

19.03.1999
Edward Yardeni, Chefvolkswirt und leitender Direktor der Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Morgan Grenfell in New York, ist einer der führenden Ökonomen, die sich eingehend mit dem Problem 2000 beschäftigt haben. Er war maßgeblich daran beteiligt, daß die US-Börsenaufsicht SEC Auskünfte zur Jahr-2000-Fähigkeit als Bestandteil der Unternehmensberichte börsennotierter Unternehmen vorgeschrieben hat. Das Interview führte Perry Glasser, Redakteur der CW-Schwesterpublikation "CIO".

CW: Welche Einflüsse könnte das Problem 2000 auf das Wirtschaftsleben haben?

Yardeni: Ich glaube, daß vielleicht 80, hoffentlich 90 Prozent der Computersysteme rechtzeitig fehlerfrei sein werden. Einige werden jedoch nicht rechtzeitig Jahr-2000-fähig sein. Die Frage ist, ob diese Systeme bedeutend sind. Ich glaube, die Antwort ist Ja. Einige Schlüsselsysteme werden ausfallen und Störungen in den wirtschaftlichen Abläufen und mit großer Wahrscheinlichkeit, sagen wir von 40 Prozent, eine Rezession im Jahr 2000 verursachen.

CW: Wie schwer wird die sein?

Yardeni: Sie könnte so schwer sein wie die weltweite Rezession von 1973 bis 1974. Die damalige Rezession wurde durch einen Engpaß in der Rohölversorgung ausgelöst. In ähnlicher Weise könnte ein Engpaß in der Informationsversorgung, oder anders ausgedrückt: ein Engpaß im Informationsfluß, die weltweite Wirtschaftstätigkeit bremsen.

CW: Sie malen ein ziemlich düsteres Bild.

Yardeni: Es ist ein düsteres Bild, aber ein realistisches. Ich versuche, mich von den Weltuntergangspropheten abzuheben. Ich sage nicht, daß eine Rezession unvermeidlich ist, sondern nur, daß sie ziemlich wahrscheinlich ist. Wenn sie stattfindet, wird sie wahrscheinlich schwer sein, aber wir haben schon andere schwere Rezessionen überlebt. Sie bedeutet nicht das Ende der Welt, sondern nur, daß wir eine schwierige Zeit, vielleicht ein ganzes Jahr durchmachen werden, bevor all unsere Computersysteme wieder richtig funktionieren.

CW: Wie könnte das noch abgewendet werden?

Yardeni: Viele Leute haben getan, was sie konnten, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Die Menschen, Unternehmen und Regierungen müssen die Vorbereitung auf das Jahr 2000 zu einer obersten Priorität machen. Ich fürchte, daß die Panik wegen dieses Problems nicht groß genug ist. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß es im Jahr 2000 ernsthafte Probleme geben wird. Ich sehe nicht genug Unternehmen und Regierungen, die sich auf Worst-Case-Szenarien vorbereiten. Die sind aber, was das Jahr- 2000-Problem angeht, ziemlich plausibel.

CW: Von welchen Worst-Case-Szenarien kann man ausgehen?

Yardeni: Nehmen Sie ein paar der Ausfälle, die in den vergangenen paar Jahren passiert sind, und stellen Sie sich vor, sie würden alle zur gleichen Zeit stattfinden. Dann hätten Sie einen Hinweis darauf, welcher Art von Problemen wir weltweit gegenüberstehen. Ich halte es für möglich, daß die Fluggesellschaften viele Flüge im Januar 2000 streichen werden. Ich bin zuversichtlich, daß unser Telefonsystem funktionieren wird, aber es könnte sein, daß es von den vielen Anfragen derjenigen, die andere Probleme haben, lahmgelegt wird.

CW: Welche Gefahren drohen auf internationaler Ebene?

Yardeni: Es handelt sich hier um ein weltweites Problem, und ich befürchte, daß der Rest der Welt hinter den USA herhinkt, was das Bewußtsein um das Problem und dessen Lösung angeht. Viele Länder verlieren Programmierer an die Vereinigten Staaten, wo sie ein wesentlich höheres Einkommen beziehen können. Brasilianische Programmierer gehen nach Portugal, mexikanische Programmierer kommen in die USA. Und der Zusammenbruch der Wirtschaften in Asien führt dazu, daß man dort den Computersystemen nicht viel Aufmerksamkeit schenken wird.

CW: Sie halten es also für möglich, daß wir in eine Rezessionsspirale geraten?

Yardeni: Oh, ja. Das ist tatsächlich ein plausibles Szenario. Asien alleine ist schon Krisenursache genug. Wenn wir das addieren zu einer weltweiten Rezession, die durch das Jahr-2000-Problem verursacht wird, ist eine weltweite Krisenspirale plausibel. Noch einmal: nicht unvermeidlich, aber plausibel.

CW: Welche Bereiche der Wirtschaft sind am meisten gefährdet?

Yardeni: Ich glaube, jeder ist gefährdet. Wir leben in einem System gegenseitiger Abhängigkeiten. Ich glaube nicht, daß irgend jemand besonders stark gefährdet ist. Als ich anfing, an diesem Forschungsprojekt zu arbeiten, ging es bei allen Worst-Case- Szenarien um nicht funktionierende Kreditkarten oder steckenbleibende Aufzüge. Das sind nur Unannehmlichkeiten. Was mich mehr beunruhigt, sind in andere Geräte eingebaute Mikroprozessoren und Fertigungsprozesse, weil es für mich fast unmöglich war, gute Informationen über die Gefährdung dieser Embedded Chips zu bekommen.

CW: Reicht das Problem bis zu meinem Toaster?

Yardeni: Nein. Ich spreche von Chemiefabriken oder Aluminiumwerken. Ich würde nicht gerne sehen, daß so ein Werk in die Luft geht, nur weil ein Embedded Chip vergessen hat, ein Ventil zu öffnen. Aber die Wahrheit ist, daß ich nicht weiß, ob Embedded Chips eine ernsthafte Gefahr für unsere Sicherheit oder für die Wirtschaft darstellen. Das ist es, was mich stört: Angesichts der möglichen Gefahren sollten wir wesentlich besser informiert werden. Statt dessen setzen wir das gesamte weltweite Computernetz am 1. Januar 2000 einem Streßtest aus - und hoffen auf das Beste.

CW: Ist das nicht eine selbsterfüllende Prophezeiung? Wenn die Menschen glauben, daß es wirtschaftliche Folgen wegen des Problems geben wird, verhalten sie sich so, daß sie diesen Effekt erst hervorrufen.

Yardeni: Es ist wirklich erstaunlich, wie schwierig es ist, die Menschen deswegen in Panik zu versetzen. Ich bin erstaunt, wie sehr die Menschen darauf vertrauen, daß Bill Gates das Problem in letzter Minute aus der Welt schafft. Wir könnten es erleben, daß die Leute das Problem bis zum 1. Januar 2000 vollständig verdrängen. Sie werden ihre Weihnachtsferien antreten, obwohl ihre Flüge gestrichen werden könnten.

Wenn die Öffentlichkeit andererseits das Problem wirklich ernst nähme, könnten die Leute sich so verhalten, daß sie 1999 eine Rezession auslösen. Die Verbraucher könnten entscheiden, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, eine Menge Geld zur Renovierung ihres Hauses oder zum Kauf neuer Möbel auszugeben. Sie könnten zu ihren Banken gehen und Geldanlagen auflösen.

CW: Welche Art von Verteidigungsmaßnahmen sollten Geschäftsleute ergreifen?

Yardeni: Sie müssen begreifen, daß das Jahr-2000-Thema ein Geschäftsrisiko darstellt. Es ist eine Frage des Überlebens. Dies ist kein Thema ausschließlich für Informationstechniker und ihre Projekte. Geschäftsleute brauchen Berichte darüber, welche Fortschritte ihr Unternehmen bei der Lösung der Jahr-2000-Fragen macht. Sie müssen herausfinden, wer die besten Lösungsmöglichkeiten anbietet, weil es eine Menge Hacker und Scharlatane gibt, die nur leere Versprechungen machen und eine Menge Geld kassieren. Alles, was zur Aufrechterhaltung des Geschäfts nicht unbedingt erforderlich ist, sollte zurückgestellt und 100 Prozent der Ressourcen sollten eingesetzt werden.

Manager müssen auch daran denken, was passiert, wenn ihre Schlüssellieferanten oder die wichtigsten Kunden ausfallen. Ein Sechsmonatsplan für den Worst Case ohne zahlungsfähige Kunden und ohne die Unterstützung von Lieferanten muß schnellstmöglich aufgestellt werden. Manager müssen darauf vorbereitet sein, ihr Unternehmen auf der Basis von "just in case" statt "just in time" zu führen.

CW: Was könnten sonst die Konsequenzen sein?

Yardeni: Unternehmen, die Jahr-2000-fähig sind und einige Monate der Geschäftsunterbrechung überlebt haben, werden in einer großartigen Position sein, um Konkurrenten, die nicht Jahr-2000- fähig sind, aufzukaufen. Sie könnten auch Schlüssellieferanten übernehmen. Es gibt hier enorme Möglichkeiten für die, die sich gut vorbereiten. Was kann denen, die sich auf das Schlimmste einstellen, schon passieren? Doch nur, daß alles doch nicht so schlimm kommt und wir etwas Geld defensiv ausgegeben haben, das wir lieber in das Wachstum unseres Unternehmens investiert hätten.

CW: Sie sehen die wirtschaftliche Vorbereitung auf das Jahr 2000 also nicht als eine Verschwendung von Möglichkeiten an.

Yardeni: Das Problem muß behoben werden, also kann es sich hier um keine vollständige Zeitverschwendung handeln. Die einzige Frage ist, wie hoch Sie die Priorität dafür ansetzen. Ich hätte es lieber, Notfallsysteme im Hintergrund und einen Notfallplan fertig zu haben und sie dann nicht zu brauchen, als sie zu brauchen und nicht zu haben.

CW: Gibt es noch andere mögliche wirtschaftliche Auswirkungen, auf die wir achten sollten?

Yardeni: Es könnte 1999 einen ernsthaften Einbruch auf dem Aktienmarkt geben. Im schlimmsten Fall einen Sturz der Aktienkurse um etwa 50 Prozent, was genau dem Kursverlauf während der Rezession von 1973 bis 1974 entspräche. Der Unterschied ist jedoch, daß heute wesentlich mehr Menschen Aktien besitzen. Es besteht also das Risiko, daß die Verbraucher sich zurückhalten werden und ihre Ausgaben 1999 verringern. Wenn die Aktienmärkte das Jahr-2000-Problem riechen, könnten die Kurse noch schneller in den Keller gehen. Ich glaube, Anleihen werden Aktien während der nächsten zwei oder drei Jahre schlagen können.