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Internet-Anwender: Zurück in die Vergangenheit?

25.04.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Techies waren unter sich und sprachen über ihre eigene Zukunft. Und die könnte eher wenig verheissungsvoll sein. Das jedenfalls ist der Tenor einer Konferenz in den USA, an der neben Entwicklern auch Langzeit-Protagonisten des Internets und des technischen Fortschritts teilnahmen.

Howard Rheingold warnte in seiner programmatischen Rede davor, Interessenvertretungen aus Industrie und Politik könnten die globale Anwenderschaft wieder zurück in das Prä-Internet-Zeitalter katapultieren. Um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen zu schützen, würden etwa die Musikindustrie, Telekom-Unternehmen und Regierungen versuchen, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen: "Am liebsten wäre es diesen Gruppierungen, wenn sie uns alle wieder in die Zeit versetzen könnten, da es nur drei Radiostationen und ein Telefonunternehmen gab." Rheingold hatte weltweite Prominenz erlangt mit seinem 1991 erschienenen Buch "Virtual Reality", das in Deutschland unter dem Titel "Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace" 1992 im Rowohlt-Verlag erschien.

Sowohl die Techies - solche Menschen also, die neue Techniken entwickeln, die das kulturelle Umfeld von Gesellschaften verändern helfen -, als auch die Anwender dieser Techniken sollten sich nicht wieder in die Rolle des passiven Konsumenten drängen lassen, nachdem sie sich über Medien wie etwa das Internet zum aktiven Benutzer emanzipiert hätten.

Entwicklungen wie das Internet mit seinen millionenfach vernetzten PCs, Handheld-Computern und "intelligenten" Handys hätten die "kulturelle Landschaft" in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Dank der weltweiten Vernetzung mit den daraus resultierenden globalen Kommunikationsmöglichkeiten habe sich der Anwender vom passiven Konsumenten zum aktiven Schöpfer von Inhalten gewandelt.

Die Emanzipation der Internet-Nutzer vermittels fast uneingeschränkter Kommunikationsfähigkeiten sei nun in Gefahr: Politiker ebenso wie Industrien versuchten, durch Gesetzesinitiativen und technische Hürden die Kommunikations- und Bewegungsfreiheiten der Anwender wieder zu hemmen. Sollten diese Bestrebungen wirklich von Erfolg gekrönt sein, "dann können wir auf das Internet nur noch wehmütig und voller Nostalgie zurückblicken".

Aus diesem Grund sollten die Entwickler überall auf der Welt auch durch Gesetzesinitiativen zu verhindern suchen, dass solch ein kultureller Rückschritt und solch eine Bevormundung der Anwender Realität werde.

Ester Dyson, die ebenfalls an der O'Reilly Emerging Technology Conference teilnahm und als mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Frontfrau der Internetbewegung gelten kann, blies ins gleiche Horn. "Techies glauben immer, dass sie nur Software entwickeln und mit Gesetzen nichts am Hut haben. Genau das sollten sie aber nicht. Sie sollen zum Kongress ziehen mit ihren Forderungen. Immerhin stehen unsere Rechte auf dem Spiel."

Science-Fiction-Autor Cory Doctorow machte auf dem Kongress noch einmal deutlich, wie die Nutzung von Technologien heutzutage entscheidend dazu beiträgt, politische Prozesse zu beeinflussen. So habe die großflächige E-Mail- und Internet-Nutzung ganz wesentlich die Mobilisierung des weltweiten Protests gegen die US-amerikanische Irak-Politik befördert. SMS-Botschaften im großen Stil hätten ferner einen Einfluss auf die Wahlkampagne des südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-hyun gehabt. Diese Beispiele zeigten, dass die Nutzung von modernen Techniken erheblichen Einfluß auf den politischen und exekutiven Prozess einer Nation hätten. Und diesen Einfluss gelte es nicht zu verspielen. (jm)