Millionen an Steuergeldern in den Sand gesetzt

Inpol-Projekt des Bundeskriminalamts vor dem Aus?

26.10.2001
MÜNCHEN (CW) - Das neue Fahndungssystem des Bundeskriminalamts (BKA) ist misslungen. Ursprünglich sollte "Inpol-neu" das alte System "Inpol-aktuell" Mitte Oktober ablösen. Experten befürchten nun, dass sich das Projekt um Jahre verzögert. Ein Prüfungsbericht des Innenministeriums spricht sogar von einem möglichen Scheitern. Das würde bedeuten, dass die bislang investierten 100 Millionen Mark verloren sind.

Seit 1992 arbeitet das BKA mit den Polizeibehörden der Bundesländer und externen IT-Dienstleistern am Inpol-neu-Projekt. Das System sollte Mitte Oktober den alten Fahndungsapparat Inpol-aktuell ablösen, der bereits seit 1972 im Einsatz ist. Mit Inpol-neu plant die Kriminalbehörde, ein leistungsfähiges, bundesweit einsetzbares Fahndungssystem auf die Beine zu stellen. Die Landeskriminalämter sollten mit dem BKA zu einem einheitlichen Fahndungssystem vernetzt werden. Einmal eingegebene Daten sollten allen Behörden für Rechercheaufgaben zur Verfügung stehen.

Doch diese Pläne drohen jetzt zu scheitern. Laut einer vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung befindet sich Inpol-neu in einem erheblich sanierungsbedürftigen Zustand. Es sei nicht auszuschließen, dass das Projekt "nicht erfolgreich abgeschlossen werden" könne. Als Grund für die großen Schwierigkeiten nennt der Bericht die mangelhafte Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Dies habe zu Unklarheiten und Missverständnissen über die Funktionen des Systems geführt. Außerdem seien dessen Schnittstellen nicht sauber beschrieben.

Angesichts dieses IT-Fiaskos erhebt der Bundesrechnungshof schwere Vorwürfe gegen das Bundesinnenministerium. Mit dem Projekt seien Steuergelder in dreistelliger Millionenhöhe verschwendet worden. Statt der ursprünglich geplanten 40 Millionen Mark werde Inpol-neu den Steuerzahler mindestens 280 Millionen Mark kosten. Innenminister Otto Schily hat vor kurzem bis 2005 einen jährlichen Nachschlag von 50 Millionen Mark gefordert.

Den schwarzen Peter will sich Schily jedoch nicht zuschieben lassen. Mit seiner Kritik renne der Bundesrechnungshof der längst in Gang gesetzten Prüfung hinterher, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Ministeriums. "Statt die Ergebnisse als eigene Erkenntnis hinauszuposaunen, sollte der Bundesrechnungshof die offensive Prüfungsstrategie anerkennen und mit konstruktiver Kritik bei der Beseitigung der Probleme helfen." Außerdem handle es sich um ein Bund-Länder-Projekt, dessen Aufsicht bei einem Lenkungsausschuss liege. Warum die Fehler nicht früher erkannt wurden, müsse jedoch noch analysiert werden.

Dass es technische Probleme gebe, räumt Schily ein. Möglicherweise habe man sich zu viel vorgenommen. Eine Möglichkeit sei, die technischen Anforderungen so zu reduzieren, dass das Projekt doch noch realisiert werden könne. Bis Jahresende sollten die Verantwortlichen versuchen, Inpol-neu zum Laufen zu bringen. Sollte dies nicht gelingen, müsse man sich die Frage stellen, ob auf der bis dahin geschaffenen Basis weitergemacht werden könne. Es werde keine "Politik des Fasses ohne Boden" geben.

Scheiterte das Projekt, werde man die Verantwortlichkeiten zu klären haben, droht der Innenminister. Es werde dann ein sehr ernstes Gespräch mit dem IT-Dienstleister Debis geben, der Inpol betreut. Von Debis selbst war keine Stellungnahme zu bekommen. Man sei vertraglich verpflichtet, keine Stellungnahmen zu dem Projekt abzugeben, verlautete aus der Pressestelle des Dienstleisters. Man arbeite jedoch an der Lösung der Probleme. Wann das Projekt abgeschlossen sein wird, wissen allerdings auch die Debis-Verantwortlichen nicht.

Ausbaden müssen den IT-Flop die Polizeibeamten, die mit dem alten System Inpol-aktuell weiterarbeiten. Nach einem Bericht des Fernsehmagazins "Panorama" schlagen sich die Mitarbeiter des BKA mit einer hoffnungslos veralteteten Computerausstattung herum. Laut Wilfried Albishausen, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter(BDK) in Nordrhein-Westfalen, könnten die bereits 1972 von Siemens eingeführten Systeme nicht mehr in ausreichendem Maße gewartet werden. Es fehlten entsprechend ausgebildete Techniker. Viele seien bereits im Ruhestand oder verstorben.

Claus Schapper, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, wehrt sich gegen die Vorwürfe. Die Beamten seien in der Lage, mit dem Inpol-aktuell-System gute und zügige Arbeit zu leisten. Konfrontiert mit einem internen BKA-Papier, das die Infrastruktur als nicht mehr zeitgemäß und die Technik als völlig überholt bezeichnet, räumt Schapper ein, dass das System nicht mehr den technischen Anforderungen unserer Zeit entspreche.

Nach Ansicht von Albishausen ist mit dem veralteten System eine effektive Verbrechens- oder Terrorbekämpfung nicht möglich. Wenn Beamte in den Ländern Anfragen an das BKA unterlassen, weil diese zu lange dauern beziehungsweise zu Rechnerabstürzen führen, sei dies "erbärmlich und skandalös".

Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fordert, einen Schlussstrich unter das Inpol-Projekt zu ziehen. Nachdem bereits 100 Millionen Mark verschwendet seien, müsse neu begonnen werden. Wichtig sei vor allem, dass die Polizei angesichts der aktuellen Bedrohungslage ein funktionierendes und leistungsfähiges Fahndungssystem bekomme. Besonders müssten die Recherchemöglichkeiten verbessert werden. Zurzeit seien die Beamten gezwungen, Daten in bis zu vier verschiedene Systeme einzugeben.

In einer offiziellen Stellungnahme widerspricht das BKA der Behauptung, die Einführung von Inpol-neu sei gescheitert. Alle polizeilichen Informationssysteme seien funktionstüchtig und liefen störungsfrei. Auch die Behauptung, die Beamten müssten Daten in mehrere Systeme einspeisen, sei falsch. Erst wenn sich ein strafrechtlich relevanter Hinweis ergebe, sei eine redundante Informationseingabe notwendig. Doch genau dies droht den Beamten im Rahmen der jüngst beschlossenen Rasterfahndung. Da dabei zunächst nicht die Angehörigen einer kleinen Risikogruppe überprüft werden sollen, sondern viele unauffällig lebende, unbescholtene Einwohner, wälzt sich eine Datenlawine auf die Beamten zu. Ferner wird sich die Behörde die Frage gefallen lassen müssen, wie es möglich sein soll, IT-Systeme anderer Einrichtungen wie Krankenkassen oder Universitäten an das BKA-Netz anzubinden, wenn schon die polizeiinterne Vernetzung zu scheitern droht.