Erste Suchterscheinungen bei IT-Nutzern festgestellt

Informationsgesellschaft: Nährboden für "Dataholics"

19.12.1997

Schon oft haben Psychologen und Pädagogen mündige Bürger genervt, indem sie alles, was Spaß macht, zur Sucht erklärten: Alkohol, Nikotin, Drogen, Glücksspiel, Sex, Essen, Arbeit etc. Die Informationsgesellschaft bietet ihnen nun ein neues Betätigungsfeld. Unter 1000 Managern, die der Nachrichtendienst Reuters in Großbritannien, den USA, Irland, Deutschland (200), Singapur und Hongkong befragte, sind drei Viertel der Ansicht, daß PCs, Internet und Informationen süchtig machen können. 54 Prozent behaupten, sie hätten schon einmal einen "Flash" bekommen, wenn sie eine gewünschte Information endlich gefunden hätten.

Nicht nur am Arbeitsplatz, auch in der Familie sind die "Dataholics" auf dem Vormarsch. Immerhin 55 Prozent der befragten Eltern unter den Führungskräften zeigen sich besorgt, daß ihre Kinder durch die Vielfalt der elektronisch verfügbaren Informationen zu "Info-Junkies" verkommen könnten. Das Internet steht bei 72 Prozent im Verdacht, die Obsession zu verschlimmern.

Fast die Hälfte der Befragten gibt an, die eigenen Kinder säßen lieber am PC, als den Kontakt zu Gleichaltrigen zu suchen. Gut ein Drittel macht sich ernsthaft Sorgen, daß der Nachwuchs die Informationsflut nicht mehr verarbeiten kann.

Am Arbeitsplatz kommt es ebenfalls zu Überforderungen. Zwei Drittel der Manager gaben an, ihr Arbeitsumfeld sei aufgrund der zunehmenden Informationsfülle von starkem Streß geprägt. Sie verbrächten mehr Zeit im Büro als früher und hätten dennoch Schwierigkeiten, Termine einzuhalten. Im vergangenen Jahr klagten in diesem Zusammenhang nur 41 Prozent über zuviel Streß.

Die absolute Mehrheit der Befragten (61 Prozent) glaubt, daß die Überfrachtung ihres Arbeitsplatzes mit Information für die eigene Produktivität nicht mehr zuträglich ist. Sogar 81 Prozent befürchten, daß sich dieser Zustand noch verschlimmern wird.

Informationen benötigen die Manager in erster Linie, um die Kundenbindung zu verbessern und die Aktivitäten der Wettbewerber im Auge zu behalten. Mehr schriftliche Quellen sowie das Internet werden beobachtet und zum Teil ausgewertet. Die Belastung hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, viele Manager beklagen, daß ihnen der letzte Rest kostbarer Freizeit abhanden gekommen sei.

Mehr als die Hälfte der Befragten sieht sich nicht mehr in der Lage, die gesammelten Fakten vernünftig auszuwerten und zu nutzen. 60 Prozent glauben sogar, daß die Kosten, die bei der Suche nach Daten und Wissen entstehen, deren Nutzen übertreffen - im Vorjahr waren nur 44 Prozent dieser Ansicht.

Auch haben 54 Prozent nicht das Gefühl, aufgrund der gründlicheren Information auch bessere Entscheidungen zu treffen. Nicht ausgewertetes Material wird gern gesammelt oder an kompetente Stelle weitergegeben - mit dem Nachteil, daß sich überall Berge ungeordneter und nicht mehr verwaltbarer Information auftürmen.

Was tun, um mit der Datenlawine fertig zu werden? Firmen sollten nach Meinung der Manager (83 Prozent) vor allem in Trainingskurse investieren, in denen das Sammeln, Verwalten und Nutzen von Information gelernt wird. Sie versprechen sich davon fundiertere Entscheidungen, eine höhere Produktivität, weniger Streß und eine größere Zufriedenheit im Job. An Schulen und Universitäten sollte "Informations-Management" nach Meinung der Mehrheit fester Bestandteil des Lehrplans sein.