Informatik: Entree für spannende Jobs

21.05.2008
Informatikstudiengänge haben Imageprobleme: zu schwer, hohe Abbruchquoten, wenig Frauen. Drei Young Professionals und ein alter Hase erklären, wieso sie wieder Informatik studieren würden.

Derzeit gibt es laut Branchenverband Bitkom fast 43 000 offene Stellen für IT-Spezialisten in Deutschland. Die Rahmenbedingungen für Informatiker sind gut, aber "das deutsche Bildungssystem kann den Bedarf der Wirtschaft an Informatikern zurzeit einfach nicht decken", klagt Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. "Die Studiengänge und auch der Informatikunterricht an Schulen müssen einen stärkeren Praxisbezug bekommen, damit sich wieder mehr junge Menschen für das Fach begeistern", so der Bitkom-Chef.

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warum das Image des Informatikers als Hacker und Zocker passé ist; warum man keine Angst vor der Mathematik haben sollte; was ein CIO dem Informatiknachwuchs empfiehlt.

Informatik ist kein Selbstzweck

"Das Image vom Hacker und Zocker im stillen Kämmerlein ist passé. Heute sind Informatiker global im Einsatz, müssen kommunizieren und interdisziplinär arbeiten", erklärt Nils Müller. Der Diplominformatiker weiß, wovon er spricht. Er ist als Produktentwickler bei der Duisburger Cundus AG tätig. Beim Spezialisten für Business Intelligence programmiert er zu 50 Prozent an einem neuen Tool, die anderen 50 Prozent seiner Arbeitszeit ist er in einer Pre-Sales-Funktion tätig und prüft direkt beim Kunden die technischen Voraussetzungen zur Softwareimplementierung. Der junge IT-Experte hat sich bewusst für diese Doppelrolle entschieden und sieht darin auch den Reiz seines Jobs: "Die Informatik ist für mich nicht Selbstzweck, sondern Werkzeug, um die Herausforderungen zu meistern." Der Weg dahin sei aber nicht immer Zuckerschlecken gewesen, gibt er zu. Der 28-Jährige hat Kerninformatik an der Universität Dortmund studiert.

Fallstrick Mathematik

Müller hatte beste Voraussetzungen: mathematikbegeistert, interessiert, Probleme zu lösen, und Spaß an Algorithmenentwürfen. "Und doch hatte ich an der Mathematik ganz schön zu knabbern, Mathe fand plötzlich auf einem ganz anderen Niveau als in der Schule statt", so der Nachwuchsentwickler. Mit dem erfolgreich bestandenen Mathematikschein in der Tasche lief dann alles wie am Schnürchen. Müller lernte in der Theorie, komplexe Probleme zu lösen, die wenig später auch in der Praxis vorkamen. "Haben wir an einem Tag mittels Algorithmen kürzeste Verbindungen zwischen Punkt A und Punkt B errechnet, sahen wir am Tag darauf solche Funktionalitäten schon im Alltag wie etwa bei Google Maps."

Neben Problemen aus der künstlichen Intelligenz beschäftigte sich Müller mit Fuzzy-Logik und Bayesschen Netzen. Voraussetzung dafür waren analytisches Denken und die Begeisterung, komplexe Probleme und Handlungsfolgen verstehen zu wollen: "Informatiker sollten an die Eingeweide des PCs wollen und Spaß an Mathe haben. Wer nur gerne spielt oder chattet, wird scheitern."

Logisches Denken ist gefragt

"Den Knobelfaktor darf man aber nicht unterschätzen", sagt Katja Barchewitz. Die 27-jährige Wirtschaftsinformatikerin hatte schon immer Spaß daran, Neues auszuprobieren und Ergebnisse zu sehen. Sie hat sich nicht von schweren Mathekursen oder schier unlösbaren Algorithmen abschrecken lassen. "Wenn man wirklich Informatiker werden will, ist das zu schaffen." Diese gesunde Einstellung hat ihr nicht nur als Frau in der Männerdomäne IT manches erleichtert, sondern ihr auch die Pforten für ihren Beruf als Softwareentwicklerin bei IDS Scheer in Saarbrücken geöffnet. Die gebürtige Thüringerin kam auf dem zweiten Bildungsweg zu ihrem Job. Nach dem Realschulabschluss lernte sie zunächst Bürokauffrau. "Schnell war mir klar, dass ich logisches Denken und mathematisches Vorgehen vermisste", schildert Barchewitz. Sie hat die Fachhochschulreife nachgeholt und sich an der FH Schmalkalden für Wirtschafts-informatik eingeschrieben, da-mit sie ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse gewinnbringend einsetzen konnte. Den Fokus im eher praxisorientierten Studium setzte sie auf die IT-lastigen Fächer.

Für die Deutsche Post IT-Solutions GmbH entwickelte die Wirtschaftsinformatikstudentin Fachkonzepte und schrieb ihre Diplomarbeit über "Model-driven Architecture". "Damit war ich gerüstet, um als Softwareentwicklerin bei IDS Scheer am Aris SOA-Architect mitzuprogrammieren", sagt Barchewitz. Beim Saarbrücker Spezialisten für Geschäftsprozess-Management ist sie in einem jungen Team von Softwareingenieuren zuständig für Konzeption, Design und Entwicklung bis hin zum Test der Tools: "Anfangs war es eine starke Herausforderung, im großen Team zu entwickeln und sich in fremden Code hineinzudenken", erinnert sie sich. Mittlerweile sitzt sie fest im Sattel. "Bei IDS Scheer entwickeln wir eng an dem, was der Markt braucht, und schlagen die Brücke zum Anwender über die Prozesse." An dieser Stelle profitiert die Softwareentwicklerin von ihrem Werdegang, sie kennt die Anwendersicht und hat ein Faible für strukturiertes Vorgehen.

Wie als Exotin gefühlt

"Logisches Denken und Technik-affinität sind eben keine typisch männlichen Fähigkeiten, auch wenn das immer wieder als Grund für die geringe Frauenquote in der Informatik vorgeschoben wird", so Barchewitz.

Sie brauchte keinen "Girls‚Äô Day" oder andere Initiativen wie "Girls go Informatik", um sich für ihr Studium zu begeistern. Obwohl als Frau in der Minderheit, hat sie sich nie als Exotin gefühlt, auch wurde sie von den Kommilitonen nie als solche gesehen. Zu ihrem fünfköpfigen Entwicklerteam bei IDS Scheer zählen zwei Frauen.

Private Hochschule als Sprungbrett

Einen anderen Weg in die Informatik hat Andrés Alvarado gewählt. Der gebürtige Guatemalteke hat sich nach US-amerikanischer High School im Heimatland und Austauschjahr in der Schweiz für ein Informatikstudium an der privaten Hochschule Jacobs University Bremen entschieden. Im Kernland der Informatik hat er nach nur drei Jahren einen Bachelor in Computer Science erworben. Ausgestattet mit einem Stipendium, konnte er als High Potential in Deutschland auf Englisch an der internationalen Privatuniversität der Hansestadt studieren.

Der Erfolg war gesichert

Seine Heimatschule hat ihn im Gegensatz zu deutschen Gymnasien, an denen die Schüler oft mehr wissen als ihre Informatiklehrer, bestens auf das Studium vorbereitet. Im so genannten Advanced-Placement-Programm, Kursen auf akademischem Niveau, erwarb er das Handwerkszeug: "Damit war der Erfolg für mein erstes Jahr an der Uni gesichert", sagt Alvarado. Aber auch er hatte, gerade angesichts des gedrängten Stoffes in nur drei Jahren ganz schön zu büffeln. Auf dem Stundenplan: Datenbankmodelle, C++ und Algorithmen bis zum Abwinken. Der Spaß kam dabei aber nie zu kurz. In seiner Bachelor-Arbeit hat Alvarado Algorithmen entwickelt, wie Roboter für die Robocups fit zu machen sind. "Informatik ist keinesfalls dröge, sondern äußerst anwendungsbezogen." Der Youngster arbeitet seit Februar 2006 als Programmierer und Berater für Data Warehousing beim großen IT-Outsourcer EDS in Hamburg. "Ich muss zwar noch Erfahrung sammeln, um alle Kundenanforderungen richtig einschätzen zu können, aber dank des Abstraktionsvermögens kann ich mich schnell in neue Programmierherausforderungen eindenken." Alvarado will in Deutschland bleiben, auch wenn er sich irgendwann einmal gerne in Guatemala als IT-Unternehmer selbstständig machen würde.

Praxisbezug fördert Motivation

Einer, der sich die Ausbildung und praktische Förderung junger Informatiker auf die Fahnen geschrieben hat, ist Michael Kranz. Der promovierte Hightech-Profi ist ein alter Hase unter den Informatikern und heute CIO der Krones AG, Weltmarktführer in der Getränkeabfüll- und Verpackungstechnik. Im Jahr 1983 hat der heute 45-Jährige sein Studium der Informatik an der Universität Karlsruhe aufgenommen. "Damals waren PCs noch wahrer Luxus, aber ein Kommilitone hatte einen IBM XT mit 10 MB Festplatte - am Wochenende wirkte der wie ein Magnet auf uns", erinnert sich Kranz. Schon in der Schulzeit hat der Technik-Freak am Wettbewerb "Jugend forscht" teilgenommen und für ein ortsansässiges Unternehmen spielerisch mit dem Commodore PET geforscht. "Damals war noch gar nicht absehbar, wie sich diese Branche einmal entwickeln würde", erinnert sich der heutige IT-Chef an seine ersten Gehversuche in der Informatik.

IT ist Management-Aufgabe

Fasziniert von Knobeleien und konzentrierter Problemlösung, entschied er sich für ein Informatikstudium. "Ich hatte das Glück, Informatik bei einem großen Visionär, Professor Klaus Bender, zu studieren." Der Professor saß nicht im Elfenbeinturm Universität, sondern zog Wirtschaftsprojekte an Land und ließ die Studenten frühzeitig Industrieluft schnuppern. Dem Diplomanwärter Michael Kranz sagte dieser Praxisbezug zu, und so vertiefte er die technische Informatik. Als sein Professor den Lehrstuhl für Informationstechnik im Maschinenwesen an der TU München gründete, ging Michael Kranz mit und schrieb seine Dissertation über flexible Prüfkonzepte für Maschinenprototypen.

Gut zwölf Jahre nach der Promotion und langjähriger Erfahrung in der Industrie ist Kranz nun Bereichsleiter für Informations-Management bei Krones. Beim Hersteller für Abfüllanlagen ist der 45-Jährige für weltweit mehr als 160 IT-Mitarbeiter verantwortlich. Erst unlängst wählten ihn die computerwoche- und CIO-Redaktion unter die besten 50 CIOs des Jahres 2007. Ausschlaggebend dafür war das Mammutprojekt, das Kranz bei Krones angestoßen hat: Er richtet sämtliche Prozesse nach Itil aus und baut seine gesamte Organisation um. "Die größte Herausforderung liegt nicht in der Technologie, sondern darin, die Menschen mitzunehmen. IT ist Management-Aufgabe geworden", erklärt der IT-Stratege. Hier helfen ihm seine als junger Assistent erworbenen Kenntnisse in Personalführung weiter. "Mein Professor hat uns schon früh in Führungskräfteseminare reinschnuppern lassen. Eine der damaligen Broschüren über aktives Führungsverhalten ist heute aktueller denn je", so Kranz.

Wie sein Förderer, Professor Bender, engagiert sich Kranz für den Informatiknachwuchs. Er betreut Diplomarbeiten, hält Vorträge an der TU München und vermittelt angehenden CIOs die anwendungsorientierte Seite der Informatik. "Wer Informatik studieren will, muss sich längere Zeit auf ein Problem konzentrieren können. Die Frage hinter der Frage muss interessieren", erklärt der gestandene CIO. Sein Rat an Studienanfänger: "Die Mathematik ist wirklich eine Herausforderung, für den einen oder anderen gibt es anfangs einen Warnschuss vor den Bug. Deshalb sollte man aber nicht gleich das Handtuch werfen, Informatik ist einfach zu spannend." (hk)