Informatik: Das große Interesse der Studenten als Chance begreifen

21.09.1990

Dr. Tegelbekkers Wissenschaftsrat, Köln

Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Informatik sind für die wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR von großer Bedeutung. Sie tragen wesentlich zur Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wissenschaft im internationalen Vergleich bei. Hiervon geht der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zur Informatik an den Hochschulen aus.

Die junge, rasch wachsende Disziplin Informatik ist seit geraumer Zeit mit Problemen konfrontiert, die Forschung und Lehre beeinträchtigen: Das wissenschaftliche Personal, zahlenmäßig bei weitem zu schwach, ist in hohem Maße mit Lehraufgaben belastet. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit anderen Fächern, sowohl an den einzelnen Hochschulen als auch über deren Grenzen hinweg.

Inzwischen haben Bund und Länder entsprechende Anstrengungen unternommen, die angesichts der hohen Nachfrage nach Studienplätzen auf jeden Fall weitergeführt werden sollten. Fachbezogene Anwendungen der Informatik sind hierbei besonders zu berücksichtigen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt im einzelnen:

Um die personelle Situation in der Lehre zu verbessern, wird empfohlen, kurzfristig mehr erfahrene Wissenschaftler aus hochschulfremden Forschungseinrichtungen, auch aus dem Ausland, sowie Informatik-Praktiker aus der Wirtschaft zu berufen. Die Stellen müßten finanziell entsprechend attraktiv ausgestattet sein. Dauerhaft läßt sich der Mangel an wissenschaftlichem Personal aber nur durch eine intensive Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beheben.

Besonders qualifizierte junge Informatik-Wissenschaftler sollten auch dann auf einen Lehrstuhl berufen werden können, wenn sie sich nicht oder noch nicht habilitiert haben. Die Fachhochschulen könnten von einem zentralen Stellenpool für Mitarbeiter mit Zeitverträgen profitieren. Insgesamt ist das große Interesse der Studenten an der Informatik eine Chance für das Fach; es muß allerdings auch als solche begriffen und genutzt werden.

Es muß alles getan werden, die Studiendauer bei gleichbleibender Qualität der Ausbildung zu verkürzen; fachliche Spezialisierungen sollten in Spezial- und Graduiertenstufen nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluß verlagert werden.

Die Grundlagenforschung an den Hochschulen benötigt eine breitere Basis: Daraus folgt die Empfehlung an die Länder, beim Auf- und Ausbau der Informatik die offensichtliche Entwicklung des Faches zu einer experimentell arbeitenden Ingenieurwissenschaft stärker zu fördern. Die Grundausstattung der Institute muß daher, entsprechend den geplanten fachlichen Schwerpunkten, großzügiger bemessen werden. Besonders aktiven hardwarenahen Forschungsgruppen, zum Beispiel im Bereich paralleler Rechnersysteme einschließlich der Entwicklung von Betriebssystemen und Anwendungssoftware, sollten aus Mitteln des Hochschulbau-Förderungsgesetzes geeignete vernetzte Systeme zur Verfügung gestellt werden.

Der Wissenschaftsrat würde es begrüßen, wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) innovative Rechnerstrukturen förderte. Im Rahmen der Forschungsunterstützung müßten die Beschaffung moderner Rechner ebenso abgedeckt werden können wie die Kosten für das Betriebspersonal von DV-Systemen.

Einige Felder der Informatik werden bisher weniger intensiv bearbeitet; die Hochschulen beziehungsweise die Länder sind aufgefordert, diese in ihren Planungen für das Fach vorrangig zu berücksichtigen. Zu diesen Forschungsgebieten zählen:

- Hardware einschließlich Peripheriegeräte,

- Rechnerarchitekturen einschließlich System- und Anwendungsprogrammierung,

- Leistungsfähigkeit sowie Zuverlässigkeit von Rechnern und Rechnernetzen,

- Datensicherung in vernetzten Systemen,

- Sicherheit und Zuverlässigkeit von Daten und Programmen.

Ein guter Ansatz, das Fach hierzulande weiterzubringen, ist das kürzlich neu gegründete Max-Planck-Institut für Informatik an der Universität Saarbrücken. Ebenfalls im Saarland, auf Schloß Dagstuhl, gibt es seit kurzem eine zentrale Begegnungsstätte, die es ermöglicht, Fragen der aktuellen Forschung in hochrangig besetzten Gruppen zu diskutieren und Lösungsvorschläge am Rechner zu demonstrieren. Hiermit wurde bereits eine Empfehlung des Wissenschaftsrates realisiert.

Um wirkungsvoll zu sein, muß die Informatik in Forschung und Lehre besser mit anderen Fakultäten, besonders mit den Ingenieur- und Geisteswissenschaften, zusammenarbeiten. Die Kompetenz der Informatik in den Anwendungsfächern würde zunehmen, wenn ein breiteres Angebot an Nebenfächern zur Verfügung stände. Umgekehrt profitierten die Anwendungsfächer davon, wenn Lehrinhalte der Informatik in ihrem Stoffplan enthalten wären; zu dem Zweck könnten Wissenschaftler mit Informatikkompetenz auch in Anwendungsfächern lehren. Doppelmitgliedschaften einzelner Wissenschaftler in den Fachbereichen Informatik und eines Anwendungsfaches täten ein übriges, die Informatik effektiver in akademische und wirtschaftliche Prozesse einzufinden.