i2-Einführung mit Höhen und Tiefen

Infineon stemmt komplexes SCM-Projekt

12.12.2003
MÜNCHEN (rg) - In einem mehrjährigen Projekt hat der Halbleiterhersteller Infineon ein komplexes Supply-Chain-Management-(SCM-)System eingeführt. Damit lassen sich Produktionsprozesse von der Absatzkalkulation bis zur Fabrikebene durchgängig planen. Bis zum erfolgreichen Abschluss des Vorhabens waren viele Herausforderungen und auch einige kritische Situationen zu meistern.

Der Anspruch war hoch. Als sich Infineon, damals noch als Halbleitergeschäftsbereich von Siemens, 1996 auf die Suche nach einer Planungssoftware für seine interne Lieferkette machte, gab es nur wenige Anbieter, die diese Anforderungen erfüllen konnten: Baan steckte in Schwierigkeiten, Oracle lehnte dankend ab, und SAP konnte damals nicht mehr als eine Entwicklungspartnerschaft anbieten.

Einzig eine amerikanische 300-Mann-Company, in Europa bis dahin weitgehend unbekannt, stellte sich der Herausforderung und überzeugte mit der Idee einer durchgängigen Supply-Chain-Lösung. Die Infineon-Mitarbeiter waren begeistert, als Sanjiv Sidhu, CEO von i2 Technologies, sein Konzept vorstellte.

Sieben Jahre und viele Erfahrungen später hat die damals eingegangene Partnerschaft noch immer Bestand - auch wenn einige Probleme zu meistern waren. Laut Michael Schmelmer, Vice President Logistics & SCM IT Systems bei Infineon und ehemaliger Leiter des Projekts, ist dabei die weltweit komplexeste i2-Implementierung im Bereich Supply-Chain-Planning entstanden: "Im Laufe des Projekts waren sowohl die Prozess- als auch die technischen Experten ganz schön gefordert."

Auf dem Weg von der Idee zur Umsetzung musste der Halbleiterkonzern in Bezug auf Funktionen und Projektumfang etliche Kompromisse eingehen. Man war zu Beginn etwas zu optimistisch gewesen: Der gleichzeitige Rollout für alle Geschäftsbereiche hat sich beispielsweise als nicht machbar erwiesen.

Erschwerend kam hinzu, dass sich bei Infineon die Planungsprozesse für die verschiedenen Produktgruppen sehr unterschiedlich gestalten. "Während ein Teil der Produkte kundenanonym auf Lager gefertigt wird, sind andere Produktionsprozesse stark durch Kundenaufträge gesteuert", erläutert CIO Karl Pomschar. Außerdem erfordern die verschiedenen Produktfamilien unterschiedlich lange Planungshorizonte. "Dies alles auf einer Plattform unterzubringen war schon eine sehr sportliche Aufgabe", so Pomschar.

Für eine ganzheitliche Planung definierte Infineon die drei Stufen Corporate-, Divisions- und Werksebene, was sich in einer dreigeteilten Architektur widerspiegelt. Die einzelnen Ebenen decken dabei unterschiedliche Zeithorizonte und Granularitätsstufen ab. Auf der Corporate-Ebene fließen zur Ermittlung der Absatzmengen die kurz- und langfristigen Prognosedaten der Marketing-Abteilungen in den "Demand Planner" ein, die dann die Basis bilden für die Volumen- und Kapazitätsplanung im "Supply Chain Planner".

Die abgestimmten Absatzmengen und die Kapazitätsallokationen bilden den Input für die divisionalen Modelle, die den Masterplanning-Prozess und die Disposition unterstützen. Aufgrund der hohen Anzahl an zu verwaltenden Produkten rückte Infineon auf dieser Ebene von der Idee eines Modelles für alle Geschäftsbereiche ab. Eine i2-Instanz hätte angesichts der Datenfülle die Performance-Ansprüche nicht erfüllt. Stattdessen wurden mehrere Modelle für jeweils ein Geschäftssegment eingeführt.

Das ältere Produkt eignete sich besser

Für das Facility Model, das auf Werksebene "Start- und Out-Listen" für die Produktionsplanung erstellt, setzt Infineon den "Factory Planner" ein. Versuche, hier den für die beiden anderen Ebenen genutzten "Supply Chain Planner" zu implementieren, brachten nicht die gewünschten Ergebnisse: Die Software kam mit der hohen Komplexität nicht zurecht, die Modelle wurden zu unhandlich. "Wir haben das zwar zum Laufen gebracht, der Customizing-Aufwand war jedoch sehr hoch", begründet Schmelmer, dass sich Infineon vor zwei Jahren dazu entschloss, den Factory Planner zu implementieren.

Obwohl der i2-Factory-Planner das ältere Produkt sei, habe Infineon dadurch Funktionen hinzugewonnen, so Schmelmer weiter. Während der Supply-Chain-Planner die Planungsanfoderungen auf der Divisions- und Corporate-Ebene abdecke, sei der Factory Planner für die Anforderungen einer Fertigungsplanung einfach ausgereifter.

Als gemeinsamen Backbone für alle Planungsebenen hat Infineon eine verteilte Logistikdatenbank aufgebaut. Dieses Transaktionssystem überführt unter anderem die Daten der marktorientierten Absatzplanung in die Kapazitätssicht der Supply-Chain-Systeme und regelt dort die Weitergabe der Daten bis hinab auf die Werksebene. Außerdem bildet die Datenbank die Schnittstelle zu allen relevanten Legacy- und Reporting-Systemen. Sie übernimmt zusätzlich Aufgaben, wie sie heute durch Product-Lifecycle-Management-(PLM-) Systeme abgebildet werden. "Wir haben unser Master-Data-Management-System mit den entsprechenden Workflows bereits global ausgerollt, als auf dem Markt noch kein Standard-Tool für PLM verfügbar war", konstatiert Schmelmer nicht ohne Stolz.

Zu Beginn des Projekts stellte die Konsolidierung der Stammdaten eine große Hürde dar, was den Scope und damit auch die Laufzeit des Projektes erheblich ausdehnte. Infineon hatte mit der i2-Einführung bereits begonnen, als der Umfang des Problems offensichtlich wurde. "Eigentlich hätten wir das Projekt stoppen müssen, bis wir unsere Hausaufgaben gemacht hatten", erinnert sich Schmelmer. i2 treffe an diesen Verzögerungen keine Schuld. Allerdings habe Infineon erst das Design der SCM-Lösung gebraucht, um die Daten entsprechend bereitstellen zu können.

Ein bis zwei Jahre und viel Geld verloren

Als Infineon begann, die Legacy-Systeme zu konsolidieren und die Grunddaten zu bereinigen, wurde der Fokus von der Implementierung vorerst zurückgenommen. Damit war auch die anfangs erwogene Big-Bang-Einführung der SCM-Lösung vom Tisch. Stattdessen einigten sich die Beteiligten auf einen "Staged Approach". Der Rollout der SCM-Lösung erfolgte dabei sukzessive für einzelne Produktlinien, nachdem deren Grunddaten bereinigt waren. "Da haben wir nicht nur ein bis zwei Jahre verloren, das hat auch richtig Geld gekostet", so Schmelmer. Von der komplett neu strukturierten Datenbasis profitieren andererseits auch heute noch viele andere Implementierungen des Konzerns.

Die Implementierungsdauer von mehr als vier Jahren war zudem von einigen - geschäftsbedingten - strategischen Kurswechseln begleitet. "Als Halbleiterunternehmen haben wir in dieser Zeitspanne zwei komplette Zyklen durchlebt", so Schmelmer. Auf Allokationssituationen, in denen es um die Verteilung knapper Ressourcen geht, seien Überkapazitätssituationen gefolgt, die durch wenig ausgelastete Werke geprägt sind. Dadurch habe sich die Bedeutung der einzelner SCM-Funktionen verschoben, so dass der Implementierungsplan immer wieder angepasst worden sei.

Das Aufgabenspektrum des Softwareanbieters erfuhr im Verlauf des Projekts einige Veränderungen. Infineon nutzt weiterhin die Stärken des Softwareexperten für SCM-Systeme und arbeitet mit i2 als Entwicklungs- und Technologieanbieter zusammen, Rollout und Maintenance-Service wurden dagegen an einen Drittanbieter vergeben. Während des Projekts habe sich oft die Frage gestellt, ob bestehende Bausteine erst stabilisiert werden oder bereits der nächste Abschnitt live gehen sollte, berichtet Schmelmer. Entsprechende Diskussionen hätten häufig zu Verzögerungen geführt. "Erst als wir die Support- und die Projektorganisation sauber getrennt hatten, nahmen wir wieder Fahrt auf", fasst der Projektleiter die Entwicklung zusammen.

Die Projektverantwortlichen kämpften nicht nur mit technischen Hürden - auch bei den Anwendern mussten sie viel Überzeugungsarbeit leisten. So kann zum Beispiel die Frage nach den Bewertungskriterien eines "guten" oder machbaren Plans laut Schmelmer zu den unterschiedlichsten Antworten führen. Die Automatisierung von Planungsprozessen gerate daher schnell zur Grundsatzfrage. Teilweise habe man sogar Funktionen und Planungsalgorithmen abschalten müssen. Beim Factory Planner biete Infineon beispielsweise neben der automatisierten Optimierung auch manuelle Verfahren an. Durch die Möglichkeit, beide Ergebnisse zu vergleichen, sei die Akzeptanz gestiegen, das Vertrauen der Anwender in die Lösung nehme deutlich zu, so der Vice President.

Trotz aller Hindernisse zieht der Projektleiter eine positive Bilanz: Heute könne der Volume Rolling Forecast, der früher drei Monate beansprucht hatte, in einem Vier-Wochen-Zyklus vorgenommen werden. Damit ließen sich die Absatzkalkulation im Produkt-Marketing, die firmenweite Kapazitätsallokation sowie die Neuverteilung freier Kapazitäten zeitnaher planen. Marketing- und Vertriebsabteilungen erhielten ein aktuelles Feedback.

Eigentlich ein Joint Development

Beim Masterplanning konnte der Planungszyklus in allen Geschäftsbereichen für Logikprodukte von vier auf eine Woche reduziert werden. Auf Werksebene wurde das ursprüngliche Ziel, einmal pro Woche zu planen, ohne größere Probleme erreicht. Dort sind die Planungsexperten mittlerweile zu täglichen Abläufen übergegangen.

Aufgrund der langen Projektlaufzeit war das Vorhaben deutlich teurer als vorgesehen. "Wir hatten erwartet, dass sich die Prozesse in einem größeren Umfang und schneller automatisieren lassen. Das war leider nicht der Fall", resümiert Pomschar. Auf der Lizenzseite entstanden immerhin keine Mehrausgaben. Der hohe Aufwand ergab sich vielmehr aus den zusätzlichen Kosten für konzerninterne Entwicklungen sowie durch zusätzliche Ausgaben für Drittanbieter. Hinzu kam, dass Infineon mehr eigene Mitarbeiter involvieren musste als beabsichtigt: "Das war ein Joint Development, und wir haben da viele eigene Ressourcen investiert", so Pomschar. Bei strategischen Partnerschaften sei dies allerdings nicht ungewöhnlich. Weiteren Entwicklungsbündnissen steht Infineon jedoch vorsichtig gegenüber. Entsprechend fällt das Fazit des ehemaligen Projektleiters aus: "Auch wenn wir dieses Projekt erfolgreich bewältigt haben, will ich künftig nicht mehr derjenige sein, der so komplexe Anwendungen als Erster implementiert."

Als nächstes will Infineon das Update auf die SCM-Module der neuen Produktgeneration "i2 Six" in Angriff nehmen. Im Vordergrund steht dabei weniger das Auslaufen der Wartungsverträge: "Wir versprechen uns davon eine deutliche Senkung der Kosten", erläutert CIO Pomschar. Diese soll in erster Linie durch den weitgehenden Verzicht auf Anpassungen der Software erreicht werden. Stattdessen plant Infineon, auf alle Nice-to-have-Features zu verzichten und einen strikten Template-Ansatz zu fahren. Infineon rechnet durch die Einführung von "i2 Six" mit einer signifikanten Einsparung im laufenden Betrieb.

Mit dem Upgrade sind auch einige Neuerungen in puncto Middleware verbunden. i2 verzichtet bei seiner neuen Produktfamilie auf Eigenentwicklungen in Middleware-Bereich und setzt auf die Integrationssoftware von Webmethods und Informatica. i2 habe jedoch zugesichert, dass Infineon dadurch keine Zusatzkosten entstünden. Der Wechsel der Integrationsplattform treffe Infineon ohnehin nicht besonders hart, da derzeit entsprechende Skills im Unternehmen aufgebaut würden. Der Konzern setzt Webmethods bereits für B-to-B-Anwendungen ein.

Das Projekt

Ziel: Neuorganisation der internen Supply-Chain-Logistik.

Unternehmen: Hersteller von Halbleiterprodukten.

Herausforderung: Plattform muss unterschiedliche Planungshorizonte und Granularitätsstufen abdecken, Stammdatenkonsolidierung notwendig, nicht ganz ausgereifte Software.

Zeitrahmen: 1996 bis 2002.

Stand heute: läuft produktiv.

Ergebnis: Planungszyklen haben sich verkürzt.

Basis: SCM-Software von i2.

Realisierung: Entwicklungspartnerschaft mit i2, Rollout und Service mit Drittanbieter.

Besonderheiten: Early Adopter, laut Projektleiter weltweit komplexeste i2-Implementierung.

Nächster Schritt: Upgrade auf "i2 Six", Template-Ansatz.