Industrie klagt über Mangel an informationstechnischem Personal:Arbeitslose DV-Kräfte bleiben Randerscheinung

14.02.1986

MÜNCHEN - Sorgen um Arbeitsplätze brauchen sich DV-Fachleute auch nach den jüngsten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit aus Nürnberg nicht zu machen. Wirtschaftsverbände wie Unternehmen der Branche klagen umgekehrt über mangelnde Manpower mit informationstechnischem Know-how. Dennoch haben die Fachvermittlungen der Arbeitsämter arbeitslose Datenverarbeiter zu betreuen: eine Randerscheinung mit besonderer Prägung.

Anhaltend günstig entwickelte sich die Kräftenachfrage, so interpretiert die Bundesanstalt (BA) ihre jüngsten Zahlen über den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik. Der Mangel an Fachkräften in einigen Berufen und Regionen habe spürbar zugenommen, im Januar 1986 wurden den Arbeitsämtern 115 000 offene Stellen gemeldet. Die Laufzeiten der Stellenangebote seien zudem wieder länger geworden.

Doch was die Wirtschaft verlangt können die meisten Arbeitskräfte derzeit noch nicht bieten. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften auf allen Ebenen, die mit den modernen Techniken umgehen können, sei derzeit das große Problem, stimmt etwa der VDMA in die allgemeine Kritik der Industrieverbände ein.

In der herstellenden Industrie, so veranschlagt Gerd Reckel, Geschäftsführer des Fachverbandes Information und Kommunikation im Zentralverband der Deutschen Elektroindustrie (ZVEI) in Frankfurt, wird sich beim Stellenzuwachs für 1985 ein Plus von zehn Prozent abzeichnen, wobei ein Viertel auf die Berufssparte Informationselektroniker, die Hälfte auf den Bereich Software und der Rest auf den Vertrieb fielen. Für die nächsten Jahre sagt Reckel besonders dem "Bindestrich"-Informatiker gute Chancen voraus.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Düsseldorf (DGB) führt indes die wachsende Zahl arbeitsloser Angestellter aus den Büroberufen neben der besonderen Wirtschaftslage auf den schrittweisen Einsatz der DV-und Informationsverarbeitung zurück. Gesucht werden, kann etwa Arbeitsamts-Direktor Manfred Rademacher in München berichten, vor allem hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure.

Die Knappheit an Fachkräften mit Know-how macht auch der Software-Branche zu schaffen. Untersuchungen belegen den jährlichen Bedarf von 5000 bis 8000 neuen Fachkräften. Der Sockelbedarf wird dabei mit 25 000 bis 30 000 beziffert. Dem standen aber, so weisen Statistiken aus, 1984 nur 3100 Absolventen entsprechender Fachdisziplinen und 4200 Immatrikulationen gegenüber.

Mangel an Softwerkern führt zu Konzessionen

Dieser Mangel an fachlich qualifizierten DV-Kräften in dem Marktsegment Software führe in nicht wenigen Unternehmen dazu, bei der Qualität des Personals schließlich Konzessionen einzugehen, lauten von der Leiterin der Münchner Arbeitsvermittlung, Barbara Röll, Erfahrungen aus der Praxis.

Dennoch tauchen stellensuchende Beschäftigte aus der Daten- und Informationstechnik in den Karteien der Fachvermittlungsdienste auf.

Eine Sonderuntersuchung über Arbeitslose wie auch offene Stellen zum Zeitpunkt Ende September 1985 läßt für den Arbeitsmarkt im Sektor "Technische Berufe" eine in Teilen günstige Entwicklung erkennen. Im Gegensatz dazu sind über Chancen für Jobs bei stellenlosen Datenverabeitern derzeit nicht immer Erfolgsmeldungen möglich.

Auf bei den Arbeitsämtern gemeldete Elektroingenieure, insgesamt sind es 2526 Personen, warten in Unternehmen immerhin 3582 Jobs. Auch die 153 stellensuchenden Elektronikingenieure für digitale Informationstechnik, Bedienungs- oder Wartungsingenieure für elektronische Rechenanlagen wie auch die Digitalelektroniker finden bei 438 offenen Angeboten ein verhältnismäßig leichtes Unterkommen.

Informatiker sind weiterhin gefragt

Bei den Datenverarbeitungsfachleuten meldeten sich insgesamt 5199 Personen als stellensuchend. Lediglich 1778 von ihnen können auf Einstellung hoffen.

Weiterhin optimistisch kann allein die Riege der Informatiker (EDV) bleiben, zu denen etwa der Diplominformatiker, der Träger des Diploms für Informationsverarbeitung wie auch der Wirtschaftsinformatiker gerechnet werden. Für sie war mit dem doppelten Angebot an Vakanzen die derzeit höchste Nachfrage im engeren Feld der DV zu verzeichnen. Bei den Systemanalytikern und Systemingenieuren wie auch Datenbankorganisatoren und Organisatoren allgemein stehen Bewerber zu offenen Stellen im Verhältnis 2: 1. Noch weniger zufriedenstellend ist die Situation der Programmierer. Diese Berufsklasse umfaßt Codierer, Assistenten für elektronisches Rechnen wie auch für Programmierung, Programmgestalter sowie Anwendungs-, Organisations- und Chefprogrammierer. Weiter rechnen der Software-Analytiker, der Programmbibliothekar und der Teileprogrammierer dazu. Hier sind fast dreimal soviel Bewerber wie verfügbare Stellen zu zählen. Fast sechsmal mehr Anwärter als Ausschreibungen sind für den Koordinator (EDV) zu registrieren.

DV-Kauf- und RZ-Leute an letzter Stelle

Auffallend stark betrifft die gespannte Situation am Arbeitsmarkt die RZ-Fachleute - von der Arbeitsvorbereitung über den Chefoperator bis zum RZ-Leiter - wie auch DV-Kaufleute, Betriebswirte (EDV), Computer-Management-Assistenten und Wirtschaftsassistenten EDV. Etwa 10: 1 stehen ihre Chancen, einen Arbeitsvertrag zu erhalten.

Während die übrigen Berufsklassen nach durchschnittlich drei Monaten wieder in eine Stelle finden, weisen zudem diese Sparten auch bei längerer Arbeitslosigkeit hohe Beteiligungen auf.

Zu geringe oder veraltete Qualifizierung benennt die Leiterin der Arbeitsvermittlung in München als häufige Gründe für die "Schwervermittelbarkeit" arbeitsloser Kräfte im DV-Sektor. Bei DV-Fachleuten, besonders mit akademischer Vorbildung, lauten die Ursachen häufig "zu hohes Alter" und, daraus resultierend, mangelnde Belastbarkeit. Ins Gewicht fallen weiterhin, so die Erfahrung der Münchner Fachvermittler, fachspezifische Defizite. Die jahrelange Beschäftigung auf ausschließlich einem System beispielsweise führe häufig dazu, daß der "Anschluß" versäumt werde. Wird ein Arbeitnehmer mit diesen Voraussetzungen dann - durchaus unverschuldet - freigesetzt, ist der erneute Einstieg in einen Job äußerst schwierig".

Eine Norm anzusetzen sei verbindlich nicht möglich, doch: Bei Operatoren bespielsweise zählt, so die allgemeine Erfahrung, bereits das 45. Lebensjahr als "höheres Alter". Als ein gewichtiges Handikap werde dann etwa die Schichttätigkeit genannt.

Auch künftig seien für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt langjährige einseitige Kenntnisse, gekoppelt mit höherem Alter, sowie mangelnde Flexibilität und Belastbarkeit sicherlich negativ, denn für Unternehmen stellen diese Problemfälle eine weit größere, auch finanzielle Belastung dar als junge Arbeitnehmer, für die die Münchner Arbeitsvermittlerin kaum Schwierigkeiten sieht.

Sie ist jedoch auch für "ältere" DVer zuversichtlich: "Wenn fachliche Voraussetzungen über die aktuellen technischen Entwicklungen fehlen, können wir das durch Fortbildung ausgleichen."