Thorsten Rauser: Mit 14 Hacker, mit 24 Chef eines virtuellen Unternehmens

"In neun von zehn Fällen gehen Selbständige pleite"

11.04.1997

CW: Ihr Unternehmen zählt zu den ersten virtuellen Unternehmen in Deutschland. Was genau machen Sie?

Rauser: Wir entwickeln Computerspiele und sorgen dafür, daß sie bekannt werden. Besonders stolz sind wir auf unsere neueste Entwicklung, das "Menateus". Mit diesem Spiel wollen wir zusammen mit Siemens-Nixdorf die Expo 2000 in Hannover weit über die Grenzen hinaus bekannt machen. Der Titel des Computerspiels ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben des Expo-Mottos "Mensch - Natur - Technik". Viele Menschen haben von der Weltausstellung noch gar nichts gehört, das soll mit Hilfe von Menateus anders werden.

CW: Wie lange haben Sie und Ihre Mitarbeiter an dem Spiel gearbeitet?

Rauser: Acht Monate. An der Entwicklung der CD-ROM waren Grafiker, Musiker, Sprecher und Programmierer aus verschiedenen Ländern beteiligt. Kurz vor der Fertigstellung mußten wir rund um die Uhr arbeiten. Die Kommunikation erfolgte hauptsächlich via Computer.

CW: Sie sind gerade 24 Jahre alt und haben die Rauser Advertainment GmbH im doch recht zarten Alter von 17 Jahren gegründet. Was waren damals Ihre Gründe?

Rauser: Um das zu beantworten, muß ich etwas weiter ausholen. Mit 14 Jahren war ich ein richtiger Zocker und habe zusammen mit Freunden nächtelang vor einem Commodore 64 gesessen. Sobald ein Klassenkamerad ein gutes Spiel entdeckt hatte, wurde es für alle anderen raubkopiert. Das führte dazu, daß raubkopierte Disketten auf dem Schulhof wie Zigaretten gehandelt wurden. Daneben fanden damals sogenannte Cracker-Parties statt, auf denen sich die älteren Hacker, also unsere Idole, regelmäßig trafen. Nachdem diese Parties immer häufiger von der Polizei gestürmt wurden, wuchs bei mir die Einsicht, daß illegale Aktionen auf Dauer nichts bringen. Auf der anderen Seite waren 80 Mark für ein Spiel viel Geld...

CW: Wer war Ihr erster Kunde?

Rauser: Der erste Auftrag kam aus dem Umweltministerium. Wir erhielten 50000 Mark, was für uns ein Riesenvermögen war, und entwickelten das Öko-Spiel "Das Erbe". Da es frei kopiert und auf Diskette verschickt werden durfte, gab es eine enorme Verbreitung.

Innerhalb kürzester Zeit kannten beispielsweise bereits 80 Prozent aller Leser der Zeitschrift "Amiga" das Spiel. Zu diesem Zeitpunkt wurde meinem Partner und mir endgültig klar, daß wir es hier mit einem riesigen Markt zu tun haben. Danach ging es Schlag auf Schlag.

Als nächstes entwickelten wir für den Langnese-Konzern das Spiel "Stop den Calippo-Fresser", das ebenfalls ein großer Erfolg wurde. Wenig später erhielten wir Aufträge vom Wirtschafts- und vom Verteidigungsministerium.

CW: Waren Sie denn inzwischen Unternehmer?

Rauser: Ja. Als 17jähriger habe ich mich vom Vormundschaftsgericht für geschäftsfähig erklären lassen und machte mich zusammen mit einem Schulfreund selbständig. Gleichzeitig bereitete ich mich auf das Abitur vor.

CW: Haben Sie nie daran gedacht, zu studieren?

Rauser: Das ging damals alles viel zu schnell. Ich war bereits zum Zeitpunkt meines Abiturs nur noch zwei Tage pro Woche in der Schule und die anderen drei Tage geschäftlich unterwegs. Aus Bequemlichkeitsgründen hatten mein Partner und ich das Büro direkt neben der Schule angesiedelt. Kurz nach dem Abitur habe ich mich dann doch gefragt, ob ich den richtigen Weg gehe. Doch der Job hat mich sofort mit Haut und Haaren aufgefressen.

CW: Sie arbeiten heute mit sieben festen und 70 freien Mitarbeitern aus verschiedenen Ländern zusammen, die vor allem via Computer und Datennetz produzieren und kommunizieren. Wie finden Sie zu Ihnen passende Freelancer?

Rauser: Gute Leute zu finden ist ein Problem. Wir sind schließlich in einer Branche tätig, in der es nur eine kleine Gruppe von echten Spitzenkräften gibt. Da läuft vieles über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wenn zum Beispiel ein neues Computerspiel mit einer verblüffenden Grafik auf den Markt kommt, treten wir an den betreffenden Grafiker heran und fragen, ob er bei uns mitarbeiten möchte.

CW: Aber Sie kennen ihn doch nicht persönlich. Gehen Sie da nicht ein gewisses Risiko ein?

Rauser: Zum einen schauen wir uns die Arbeiten im Internet an. Darüber hinaus recherchieren wir sehr genau. Wenn wir zum Beispiel einen Telekünstler aus den USA verpflichten, erkundigen wir uns, in welchen Projekten er gearbeitet hat. In manchen Fällen rufen wir sogar den früheren Auftrag- oder Arbeitgeber an und fragen, ob es mit der betreffenden Person irgendwelche Probleme gegeben hat. Danach können wir uns ein recht gutes Bild machen. Im Moment arbeiten wir mit Freelancern in den Vereinigten Staaten, in der Türkei und in Österreich zusammen.

CW: Spielt die unterschiedliche Mentalität Ihrer Freelancer bei der Umsetzung von der Idee auf den Bildschirm eine Rolle?

Rauser: Einmal gab es Mentalitätsprobleme. Als wir versucht haben, mit indischen Computerprofis zusammenzuarbeiten, mußten wir feststellen, daß über die grafische Umsetzung unterschiedliche Auffassungen bestanden. Indische Programmierer haben in puncto Screen-Design oder logischer Benutzerführung den europäischen oder amerikanischen Standard noch lange nicht erreicht.

CW: Haben Sie die Idee der Telearbeit beziehungsweise der virtuellen Teams von Anfang an ins Unternehmenskonzept integriert?

Rauser: Ja, von Anfang an. Doch damals war uns noch gar nicht klar, daß es sich um Telearbeit oder virtuelle Teams handelt. Für die Umsetzung unserer Projekte lagen die Vorzüge klar auf der Hand.

CW: Können Sie diese Vorteile etwas näher erklären?

Rauser: Wichtig für unsere Arbeit ist die Individualität der Konzepte und die technische Umsetzung. Dafür benötigen wir einen umfangreichen Mitarbeiter-Pool von freiberuflichen Grafikern, Designern und Programmierern. Auf sie müssen wir von Projekt zu Projekt zugreifen können, um ein optimales Team zusammenstellen zu können. 70 festangestellte Mitarbeiter könnten wir gar nicht bezahlen. Telearbeit gibt uns hier viel mehr Spielraum.

CW: Nachdem die virtuelle Zusammenarbeit in Ihrem Unternehmen offensichtlich so gut klappt, könnten doch viele auf die Idee kommen, sich selbständig zu machen.

Rauser: Das wäre eine mehr als gefährliche Entwicklung, denn es herrscht ja bereits ein erhebliches Überangebot. In der Bundesrepublik gibt es derzeit rund 1500 Unternehmen, die Multimedia im weitesten Sinne anbieten. Von diesen 1500 Firmen kämpfen rund zwei Drittel um ihr tägliches Brot, das heißt, sie schlittern so gerade am Konkurs vorbei. In diesem Markt die schnelle Mark zu verdienen ist nur den wenigsten vergönnt.

CW: Es ist doch aber eine Tatsache, daß sich gerade in der Cyberwelt immer mehr junge Leute selbständig machen.

Rauser: Natürlich kann sich heute jeder Student selbständig machen. Er braucht nur einen PC, einen Scanner und eine legale oder illegale Kopie von einem Autorensystem, schon kann er sich als Multimedia-Firma verkaufen. Ich kann vor diesem Schritt allerdings nur warnen. Die meisten Newcomer wissen nicht, daß die große Multimedia-Euphorie in den letzten Monaten einer ziemlichen Katerstimmung gewichen ist. Viele Unternehmen haben Zehntausende von Mark in die Entwicklung und Aktualisierung ihrer Web-Seite investiert und dann auf die Hits gewartet. Da die Resonanz in den meisten Fällen gleich Null war, sind zahlreiche Firmen mehr als frustiert.

CW: Soll das heißen, Sie geben dem elektronischen Markt keine Zukunft?

Rauser: Nein, so meine ich das nicht. Der elektronische Markt wird jedoch im Augenblick völlig überbewertet. Das Verhältnis zwischen angebotener Leistung und tatsächlicher Nachfrage stimmt nicht. Für junge Leute halte ich deshalb eine fundierte Ausbildung nach wie vor für die vernünftigste Lösung. Natürlich erwarten die Unternehmen von einem potentiellen Mitarbeiter, daß ihm die Internet-Welt nicht fremd ist. Sich in der Cyberwelt auszukennen ist aber noch lange kein Garant für eine erfolgreiche Selbständigkeit. Das geht in neun von zehn Fällen schief.

CW: Hört sich nicht gerade ermutigend an. Wieso ist Ihr Unternehmen dann so erfolgreich?

Rauser: Unser Glück war, daß wir schon viel früher angefangen haben. Heute verfügen wir über einen Vorsprung von vier Jahren, was in dieser Branche sehr viel bedeutet. Außerdem grenzen wir uns klar von anderen Multimedia-Unternehmen ab. Wir bieten keine Web-Seiten an, sondern konzentrieren uns auf ganz spezielle Anwendungen. Wir sind zwar teuer, bieten aber dafür auch eine differenzierte Leistung. Das beste Beispiel ist die Expo 2000 auf CD-ROM.

CW: Noch eine letzte Frage. Glauben Sie, daß wir es in zehn Jahren nur noch mit virtuellen Unternehmen zu tun haben werden?

Rauser: Das glaube ich nicht. Jedes Unternehmen braucht eine Zentrale zur Koordination der Tätigkeiten und zur Konzeptionierung. Außerdem darf der persönliche Kontakt nicht unterschätzt werden. Gerade in puncto Kundenbetreuung wird die digitale Kommunikation die persönliche nicht ersetzen können..

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Thorsten Rauser ist Geschäftsführer der Rauser Advertainment GmbH in Reutlingen. 1989, im Alter von 17 Jahren, gründete er das Unternehmen. Mit nur sieben festen und mehr als 70 freien Mitarbeitern stellt seine Firma ein virtuelles Unternehmen dar, in dem fast die gesamte Kommunikation über globale Datennetze stattfindet.

*Das Interview führte die freie Journalistin Ina Hönicke im Auftrag der CW.