In Indien ist Kritik ein Tabu

10.09.2008
Von 
Daniela Hoffmann ist freie IT-Fachjournalistin in Berlin.
Ist das Projekt gut gelaufen? In Indien lautet die Antwort immer ja, Kritik am Kunden ist nicht erlaubt. Auch deshalb gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen TUI Infotec und Sonata anfangs schwierig.

Der Kostendruck ist hoch, in der IT- wie in der Touristikbranche. Um zu sparen, sollte sich TUI Infotec, der IT-Dienstleister des TUI-Konzerns, einen indischen Entwicklungspartner suchen und fand vor fünf Jahren die Sonata Software Ltd. 2006 wurde aus TUI Infotec ein Joint Venture, an dem Sonata Software 50,1 Prozent und die TUI AG 49,9 Prozent hält. Geschäftsführer Heinz Kreuzer hatte die Aufgabe, einen konzerninternen Dienstleister in ein eigenständiges Unternehmen umzuwandeln, in dem die projektübergreifende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien nahtlos funktioniert. "Die innere Akzeptanz und Motivation der Mitarbeiter ist dabei immer erfolgsentscheidend", wusste Kreuzer. Dass es nicht so einfach werden würde, die um ihre Arbeitsplätze besorgte Hannoveraner Mitarbeiterschaft ins Boot zu holen, war dem 53-Jährigen klar. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und der Umgang mit unterschiedlichen Führungsstilen waren die Herausforderungen.

Wie stark sich kulturelle Unterschiede auf die Arbeitsprozesse auswirken, erlebten anfangs die Mitarbeiter auf beiden Kontinenten. Einige deutsche Mitarbeiter reisten für je vier Wochen nach Indien, um ihre indischen Kollegen bei Sonata in Hyderabad oder Bangalore kennen zu lernen und Arbeitsprozesse zu festigen. Sibyll Strunk, Projekt-Managerin und Systemanalytikerin bei TUI Infotec, war eine von ihnen. Ihr fiel auf, dass es in Indien zum Beipiel keine Feedback-Kultur wie in Europa oder den USA gibt: "Das Der-Kunde-ist-König-Prinzip lässt dort keine Kritik am Auftraggeber zu. Selbst auf Anfrage hin ist es schwierig, Rückmeldungen zu bekommen, ob etwas gut oder schlecht gelaufen ist und was die jeweiligen Faktoren waren. Das erschwert natürlich Verbesserungsprozesse. Diese Herangehensweise muss sich erst nach und nach etablieren."

Indische Kollegen vermitteln in Deutschland

Wie Strunk fand es auch Andreas Kuhlmeyer, Systemadministrator im Bereich IT-Operations, hilfreich, vier Wochen in Indien zu arbeiten und persönliche Kontakte zu knüpfen. Auch ihm sind kulturelle Unterschiede aufgefallen: "Vieles ist anders als in Europa. Man muss lernen, anders vorauszudenken. Die indischen Kollegen warten im Zweifelsfall immer auf Instruktionen und entscheiden nicht auf eigene Verantwortung, weil Hierarchiegefüge anders wahrgenommen werden. Deshalb sind Handlungsanweisungen wichtig, die möglichst alle potenziellen Schwierigkeiten abdecken, damit der Arbeitsprozess nicht ins Stocken gerät." Um die Zusammenarbeit besser in Griff zu bekommen, ist deshalb immer mindestens ein indischer Kollege längerfristig als Übersetzer und Vermittler in Hannover. "Ihm können auch komplexe Dinge erklärt werden. Er übermittelt das Wissen nach Indien und übernimmt so einen Teil der Koordination", erklärt Kuhlmeyer.

Plaudern in der Arbeit gehört dazu

Auch die Kommunikation in Indien war anfangs ungewohnt, erinnerten sich die TUI-Infotec-Mitarbeiter Strunk und Kuhlmeyer: "In das indische Englisch und die etwas andere Art der Kommunikation und Gestik musste man sich erst einmal einhören. Sehr geholfen haben interkulturelle Trainings und Englischkurse, die wir innerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen konnten." In den interkulturellen Trainings sorgte die in Berlin lebende Französin Isabelle Demangeat als externer Coach dafür, die unterschiedlichen kulturellen Gepflogenheiten aufzuzeigen. "Ziel ist immer, die doppelte Perspektive mitzudenken. Dabei geht es weniger um das Erlernen von Inhalten als um eine bestimmte Haltung und ein Bewusstsein in der Praxis", sagt Demangeat. Informationen über Land und Sitten sind nur ein kleiner Part, auch wenn sie helfen, die Fettnäpfchen zu erkennen. Im Vordergrund steht die Frage, wie Kommunikation in den beiden Kulturen funktioniert und auf welche Weise Vertrauen aufgebaut wird. In Indien bewegt man sich in Beziehungsgeflechten, vieles läuft über persönliche Kontakte. Einem Fremden am Telefon nur aufgrund einer gemeinsamen Aufgabe sachliche Informationen zu übermitteln, ist hierzulande kein Problem, in Indien jedoch ohne ausführliche Auskünfte zum Zusammenhang und zu den involvierten Personen unüblich.

Auch die deutsche Trennung zwischen Arbeit und persönlichem Leben ist indischen Mitarbeitern fremd. "Eine Bemerkung wie ,Ich habe bei der Arbeit keine Zeit zum Plaudern, dafür werde ich nicht bezahlt‚Äô würde bei einem Inder auf komplettes Unverständnis treffen und tiefe Verletzungen hervorrufen", erklärt Demangeat. Persönliche Gespräche und Beziehungen sind auch in der Arbeitswelt die Grundlage. Dieser Ansatz kann letztlich auch die deutsche Arbeitsatmosphäre bereichern.

Kommunikation als permanente Aufgabe

Kommunikation braucht Aufmerksamkeit - das ist eine Kernbotschaft der Beraterin. Immer wieder anzusprechen, wo Probleme oder Unverständnis sind, einen Beauftragten für Kommunikationsqualität zu benennen: Das seien die Aufgaben für das Unternehmen. Eine wesentliche Erfolgsgrundlage sieht die Beraterin auch darin, dass beide Seiten ihre Erwartungen an die jeweilige Tätigkeit aufzeigen. Geplant sind weitere interkulturelle Trainings, an denen indische und deutsche Kollegen gleichzeitig teilnehmen. Auch der Umgang mit unterschiedlichen Arbeitsweisen braucht Zeit: "Kritikfähigkeit gegenüber den Vorgesetzten muss massiv eingefordert werden, und auch dann braucht es Zeit, alte Muster zu durchbrechen. Dazu gehören intensives Nachfragen und die Ermunterung zu klaren Ansagen, wenn Unstimmigkeiten bestehen", sagt Geschäftsführer Kreuzer.

"Aus indischer Sicht ist es ein Zeichen von Gastfreundlichkeit, die Besucher auch außerhalb des Unternehmens in der Freizeit zu umsorgen. Im Westen ist das untypisch, es gibt eher eine Tendenz, die fremde Umgebung unabhängig erkunden zu wollen. Hier ist es gut, die jeweiligen Bedürfnisse zu erkennen und sich darauf einzulassen, um von der Sicht des jeweils anderen zu profitieren", erklärt Demangeat. Auch die Frage, wie wohl sich die indischen Mitarbeiter in Deutschland fühlen, entscheidet über den Erfolg. "Der indische Arbeitsmarkt ist sehr offen, und es herrscht eine starke Fluktuation. Eine Orientierung in Richtung USA oder Großbritannien ist zudem üblicher. Wenn Mitarbeiter sich hier auf persönlicher Ebene nicht gut behandelt fühlen, spricht sich so etwas schnell herum, und es wird schwieriger, in Indien hoch qualifizierte Kräfte zu finden", so Demangeat.

Neben der Auseinandersetzung mit Sprache, Kultur und Arbeitsweisen spielen effiziente Strukturen eine wesentliche Rolle. Insbesondere beim Offshoring lassen sich die durchschnittlichen Einsparungen von etwa 30 Prozent nur erzielen, wenn die Zusammenarbeit konstruktiv läuft und auch in Indien kontinuierlich Know-how aufgebaut wird. Bei TUI Infotec betreuen deutsche Projekt-Manager die Kunden, während das indische Backbone klar umrissene Aufgaben abwickelt. Dadurch verändern sich die Aufgaben für die hiesigen Mitarbeiter, die mehr koordinieren als produzieren. "Anfangs definierten wir Standardaufgaben, die sich sehr gut auslagern lassen. Meine Tätigkeit ist spannender geworden, weil es jetzt weniger Routinetätigkeiten und mehr strategische Aufgaben zu erledigen gibt", schildert Kuhlmeyer.

Sibyll Strunk, die im Bereich IT-Operations arbeitet, hatte dagegen anfangs viel zu organisieren: "Es war aufwändig, Strukturen und eine effiziente Zusammenarbeit zu etablieren." Dazu gehöre es, klare Wege zu schaffen. "Wenn eine Spezifikation nicht ausreichend war oder falsch verstanden wurde, muss ein rascher Korrekturfluss möglich sein, ohne dass Dinge durch den Zeitunterschied verzögert werden", so Strunk. Es habe auch Zeit und Erfahrung gebraucht, den Zuschnitt eines Projekts oder einer Aufgabe im Hinblick darauf zu beurteilen, ob sich Offshoring lohnt oder eine Abwicklung in Deutschland effizienter und günstiger sei. Wie schwierig eine übergreifende Zusammenarbeit ist, hängt vom Maß der Standardaufgaben ab - je branchenspezifischer oder individueller ein Projekt ist, desto aufwändiger wird auch die Kommunikation.

Dennoch: "Der Einblick in eine andere Kultur und andere Denkweisen ist eine echte Bereicherung im Arbeitsalltag", stellt Systemadministrator Kuhlmeyer fest. Bei Heinz Kreuzer hat die Begeisterung für das gemeinsame Projekt trotz aller Hürden nicht nachgelassen. "Ein interkulturelles Zusammenwachsen ist kein Sonntagsspaziergang. Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass es ein kalkulierbarer Prozess sein kann, der Arbeitsplätze in Deutschland sichert." (am)

Offshore: Die größten Stolpersteine

  1. Projektlaufzeiten: Interkulturelle Projekte dauern oft länger. Das ist auf die aufwändigere Kommunikation zurückzuführen. Sie muss eingeplant werden.

  2. Die Kommunikation läuft nicht rund: Fehlerhafte und ineffiziente Kommunikationswege etablieren sich. Hier empfiehlt es sich, Feedback-Schleifen für die Qualität der Kommunikation einzurichten und einen Kommunikationsbeauftragten zu ernennen.

  3. Missverständnisse im Arbeitsalltag gibt es genug, wenn Mitarbeiter aufeinandertreffen, die nicht dieselbe Sprache sprechen. Darum: Mitarbeiter durch Sprachkurse im Rahmen der Arbeitszeit unterstützen.

  4. Warum machen die das nur so? Kulturelle Unterschiede schlagen sich in unterschiedlichen Arbeitsweisen nieder. Diese sollte man durch geeignete Strukturen abfangen.

  5. Ich bin der Nabel der Welt. Die anderen müssen sich nach mir richten: Dass alles eine Frage der Perspektive ist und man auch mal die des anderen einnehmen kann, können Mitarbeiter in interkulturellen Trainings üben. Mit Verständnis und der Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln, kommt man weiter.

  6. Abstimmungsprobleme während des Projekts: Dagegen helfen klare Definitionen. Welche Profile brauchen die indischen Mitarbeiter für welche Projekte, damit die Zusammenarbeit reibungslos klappt?

  7. Mangelndes Teamgefühl: Ein internationales Team findet leichter zusammen, wenn es für eine gewisse Zeit real an einem Ort zusammenarbeiten und sich direkt und persönlich austauschen kann.

  8. Unklare Perspektiven im Hochlohnland: Die Geschäftsführung sollte jedem Mitarbeiter in Deutschland eine Perspektive für die Zukunft aufzeigen, damit Bereitschaft entsteht, den schwierigen Prozess engagiert mitzugestalten.

  9. Hohe Anlaufkosten bei komplexen Projekten: Es empfiehlt sich, klare Definitionen und Leitlinien zu erstellen, welche Aufgaben Offshoring-geeignet sind.

  10. Hohe Fluktuation auf asiatischen Arbeitsmärkten: Um Arbeitnehmer langfristig zu binden, ist persönliche Betreuung erforderlich. Über den Arbeitsalltag hinausgehende Patenschaften durch Kollegen im Gastland werden hoch geschätzt.