Kolumne

"In guter Gesellschaft"

06.09.2002
Christoph Witte Chefredakteur CW

Eines muss man dem Siemens-Bereich Information und Communication (I+C) zugestehen: Er ist in guter Gesellschaft. Lucent oder Nortel Networks - um nur die Großen zu nennen - haben ganz ähnliche Probleme wie die Siemens-Division Information and Communications Networks (ICN): Alle leiden unter der schwachen Nachfrage. Weltweit drücken Überkapazitäten den Telekommunikationsmarkt - sowohl in Bezug auf Bandbreite als auch in puncto Ausrüstung. Mit der Folge, dass auch ICN enorme Einbußen zu verkraften hat. Allein in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres (Ende 31. September) gingen die Einnahmen um fast 20 Prozent zurück.

Die Gründe für die heutige Nachfrageschwäche sind nur im Nachhinein plausibel: Während der lang andauernden Boomphase der Weltwirtschaft und der großen Globalisierungspläne auch mittelgroßer Unternehmen wurde der technischen Kommunikationsfähigkeit von Unternehmen und ihren Vertretern enorme Bedeutung zugemessen. Die fortwährende und ortsunabhängige Erreichbarkeit von Rechnern und Menschen wurde zu einer Selbstverständlichkeit in einer Ökonomie, die vom schnellen Informa-tionsaustausch mindestens so abhängig ist wie von der Produktion oder vom reibungslosen Warenaustausch. In dieser Euphorie wurde allerdings der Bedarf an Netzen und sonstiger Infrastruktur überschätzt. Niemand kalkulierte mit dem Ende des Booms, das aber spätestens mit der kommunikationstechnischen "Vollversorgung" eintreten musste. Wie überversorgt wir sind, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass nur ein Bruchteil der weltweiten Glasfaserkapazitäten genutzt wird oder daran, dass offensichtlich niemand auf die neue Mobilfunkgeneration UMTS gewartet hat.

Da ein Ende der Nachfrageschwäche nicht abzusehen ist - selbst wenn sie wieder ansteigt, merken die TK-Player zunächst nichts, weil es einige Zeit dauert, bis die heutigen Überkapazitäten ausgeschöpft sind - bleibt Lucent, Nortel, Siemens und Co. nichts anderes übrig als zu konsolidieren: Werke zu schließen und Mitarbeiter zu entlassen. Von einem baldigen Aufschwung in der TK-Industrie träumt niemand mehr. Die jetzige Schwächephase hat die Branche auch deshalb so brutal erwischt, weil es die erste nennenswerte Rezession ist, die diese erfolgsverwöhnte Industrie erlebt.

So bitter das für alle Beteiligten ist, wir müssen uns zumindest in den "vollversorgten" Ländern daran gewöhnen, dass das TK-Geschäft künftig noch stärker von der allgemeinen Konjunktur abhängt und zyklisch verläuft.