In erster Linie Prinzipien des Umgangs mit DV vermitteln

14.06.1991

Training und Beratung der Mitarbeiter über Entwicklung und Anwendung von IV-Systemen sind noch lange nicht so professionell, wie es diese Technik erforderte. Vielfach haben die Betriebe zwar die Kinderkrankheiten der Einführung von EDV bereits hinter sich, doch sehen sie sich jetzt weiteren Herausforderungen für die neuerliche Qualifizierung der Mitarbeiter gegenüber.

Mehr Praxis, weniger Theorie

Nach wie vor spielen Betriebssystem-Kurse in der DV-Schulung eine bedeutende Rolle. Ebenso wichtig für die Kursteilnehmer ist der Erwerb von praxisbezogenem Know-how. An Gewicht verliert dagegen das Erlernen von Programmiersprachen.

Abkassieren, solange es geht

Der Zeitgeist ist unbarmherzig. Selbst so harmlose Weisheiten wie "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" verlieren ihre Bedeutung. Gutes Beispiel dafür ist die DV-Schulung. Weil Hans wie ein Berserker lernt oder lernen muß, verdienen sich Schulungsinstitute und Softwarehersteller eine goldene Nase. Denn jeder hat das Recht abzukassieren, solange sich keiner beschwert.

Hauptsache es sind genügend da, von denen man was holen kann. Und die sind da, keine Frage. Denn eines ist auf jeden Fall wahr: Den DV-Schulungsanbietern geht es so gut wie nie zuvor. Viele Anbieter rechnen auch in diesem Jahr mit einem gesunden Wachstum im zweistelligen Bereich.

Besonders gute Dienste erweisen den Schulungsanbietern in erster Linie die Softwarehäuser, deren Programme immer umfangreicher werden. Und je umfangreicher das Softwarepaket, desto teurer das Programm und desto abhängiger der Anwender. Denn: Wer sich schon eine teure Anschaffung leistet, möchte sie auch gerne nutzen. Und weil das inzwischen so gut wie nicht mehr mit Learning by doing funktioniert, bleibt also nur der Weg zur Schulbank.

Die Argumente der" Computerholics" kennen wir zur Genüge. Ihre ganze schöpferische Kraft widmen sie dem Anwender, der ein bedienerfreundliches, komfortables, inzwischen auch netzwerk- und DTP-fähiges Programm serviert bekommt. Einverstanden, aber doch bitte schön nicht jedes Jahr in einer neuen Version.

Was bleibt dem Anwender übrig: eigentlich nur eines - noch mündiger zu werden, also genau zu untersuchen, ob auch wirklich jede neue Version eines Programmes den großem Vorteil für ihn bringt.

Denn eine Zahl sollten sich vor allem die Büroarbeiter vor Augen halten; schlaue Wissenschaftler haben herausgefunden, daß die Produktivität im Büro seit 1910 um nur 34 Prozent gestiegen ist. Ich wage die Prognose, daß zwar mit den revolutionären SW-Erneuerungen der Weiterbildungsaufwand steigen, die Produktivität jedoch weiterhin ihr Schneckentempo beibehalten wird.

Die Auswertung einiger Beobachtungen zeigt, daß sich der Bildungsbedarf zu Wissensgebieten der Informationstechnik verändert hat. Mitarbeiter arbeiten immer seltener in einer festen Linienhierarchie mit gleicher Arbeitszeit und am gleichen Arbeitsort zusammen.

Immer häufiger entstehen Projektteams, die heute für das Projekt A und am nächsten Tag für das Projekt B arbeiten. Ständige Standortwechsel einzelner Mitarbeiter führen zu einer hohen Mobilität.

In dieser unstrukturierten Arbeitsumgebung wird bereits das Festlegen von Trainingszeiten zum Problem. Wo und wann können diese Mitarbeiter überhaupt lernen Personalentwickler haben deshalb die spannende Aufgabe, Mittel und Wege für die Mitarbeiterqualifikation zu entwickeln, die diese Arbeitssituationen berücksichtigt.

Was brauchen die Anwender eigentlich?

Als die Personalentwicklung 1985 mit der Ausbildung im PC-Bereich begann, stellte das Wissen über Produkte der individuellen Datenverarbeitung noch etwas völlig Neues dar. Heute ist der Personal Computer ein selbstverständliches Arbeitsmittel geworden. Gerade die jungen Leute, die als Ingenieure und Facharbeiter in die Unternehmen kommen, bringen in ausreichendem Maße PC-Kenntnisse mit. Diese Kenntnisse werden nur noch an die betrieblichen Arbeitsabläufe angepaßt. Es geht nicht mehr darum, Wissen über die richtige Bedienung der Computertechnik zu vermitteln, sondern die Kapazität der Rechner nutzbar zu machen. Nicht nur Routineaufgaben sollen schneller zu erledigen sein, jetzt muß eine Verknüpfung komplexen Arbeitsabläufe geleistet werden.

Mitarbeiter sind heute gut informiert. Sie haben nicht nur gelernt, die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen der Informationstechnik einzuschätzen. Die Anwender interessiert nicht mehr im Detail, was ein DV-Produkt in seiner gesamten Leistungsfähigkeit kann, sondern sie fragen: "Wie ist das Produkt für die Aufgabe, die ich erledigen muß, einsetzbar?"

Angesichts der ständigen technischen Weiterentwicklung gilt es, die geeignete Form der Anwendung der Informationstechnik zu finden.

"Wie paßt der PC in die DV? Wie organisiere ich Informationsflüsse?"

Vor wenigen Jahren noch wurden diese Fragen der Großrechner-DV überlassen, alles wurde als ein Problem der Programmierung gesehen. So erhielten die Fachabteilungen eine Serviceleistung, mit der zwar niemand zufrieden war, die aber auch niemand selbst leisten wollte.

Heute entscheiden Führungskräfte und Mitarbeiter mutiger. Obwohl die Anforderungen an DV-Lösungen noch allgemein formuliert werden, ist eine selbstbewußte Haltung gegenüber diesen Themen entstanden. Besonderer Anspruch der Führungskräfte und Mitarbeiter ist es, eine einfache Fehlerkorrektur vor Ort zu ermöglichen.

Anwender wollen sich DV-Kenntnisse situationsspezifisch aneignen. Ein Entwicklungsingenieur zum Beispiel ist heute nicht mehr auf spezielle PC-Kenntnisse festzulegen, die dann in standardisierten Trainings abgearbeitet werden können. Der Mitarbeiter benötigt nicht mehr einen Bildungskatalog, sondern in erster Linie eine Orientierungshilfe, wann der Zugriff auf vertiefendes Wissen sinnvoll ist.

Deshalb führt das traditionelle Produkttraining in eine Sackgasse. Mitarbeiter werden in Fertigkeiten trainiert, die sie wieder verlernen müssen. Dies wurde schon beim Umstieg von einer Softwareversion auf eine andere spürbar.

Kreative Trainingsmethoden sind gefragt

Da wir einige Release-Wechsel pro Jahr von seiten der Hersteller in Kauf nehmen müssen, heißt die Antwort auf das Dilemma: Das Training muß in erster Linie die Prinzipien des Umgangs mit Datenverarbeitung vermitteln.

Informationstechnisches Wissen muß also im Hinblick auf eine flexible Anwendung am Arbeitsplatz trainiert werden. Training und Beratung zielen dann darauf, die geeigneten Zielsetzungen für die Anwendung und geeignete Pläne für die Umsetzung in technische Systeme bei den Anwendern zu entwickeln.

Ganz gleich, ob mit Hilfe eines Selbstlernmediums oder durch einen Trainer Kenntnisse weitergegeben werden, folgende Kriterien haben sich für die Auswahl effizienter Trainingsangebote bewährt:

- Ein mentales Modell wird angeboten. Untersuchen Sie Trainingsmethoden danach, ob "die Anwender selbständig eine angemessene Vorstellung von der Funktionsweise des Systems aufbauen können".

- Die tatsächliche Anwendung wird beschleunigt. Lerninhalte müssen präzise getrennt sein in konkrete Handlungsweisungen und allgemeine Erklärungen. Auch die optische Trennung von beispielhaften und generellen Informationen erleichtert das Verständnis der Struktur eines Softwarepakets.

- Fehler-Management ist zu üben. Überprüfen Sie eine Trainingsmethode auch danach, ob "die Anwender frühzeitig in der Lage sind, Arbeitsschritte rationell und selbständig auszuführen".

Erfolgserlebnisse steigern die Motivation

Die Anleitung muß frühzeitig praktisches Arbeiten fördern. Damit ergeben sich schnelle Erfolgserlebnisse und höhere Motivation. Grund- und Aufbaukenntnisse müssen entweder fortlaufend oder punktuell erlernbar sein. Der Nutzen entsteht also nicht erst am Schluß, sondern fließt ständig direkt in die aktuelle Arbeit ein. Dieses Auswahlkriterium für eine auf Lerntransfer ausgerichtete Trainingsmethode hat sich in der Praxis als besonders wichtig erwiesen.

"Die Anwender wissen, welche Fehler mit einem Softwarepaket gemacht werden können und wie man sie verhindert beziehungsweise korrigiert". Oft genug sind Fehler keine Unzulänglichkeiten der Anwender, sondern eine "Programmfalle". Das Fehler-Management ist eine Methode, die klare Hinweise gibt, wie sich Fehler entweder vermeiden oder korrigieren lassen.

Kreative Kultur in den Unternehmen

Da die Hersteller von PC-Hard- und Software und kommerzielle Schulungsunternehmen so wenig Einfallsreichtum in ihren Trainingsangeboten entwickeln und oft nur in ihren Hochglanzbroschüren didaktisch sinnvolles anpreisen, ist eine sehr kreative Kultur in Unternehmen entstanden:

- Der Einsatz von Satellitenfernsehen und Videokonferenztechnik löst das Problem der Distanz der Anwender voneinander.

- Beratung durch interne Experten ist längst attraktiver als das konventionelle Training geworden.

- Neu entwickelte Lernmedien lösen das Problem der Visualisierung von Lerninhalten (zum Beispiel DVI).

Im Unternehmen werden also bereits die Lerntechnologie und Erkenntnisse der modernen kognitiven Psychologie zu neuen Trainingskonzepten verschmolzen. Diese Entwicklung verläuft noch leise, aber professionell. Sie läßt wieder hoffen, daß das "

"Tasten-Handling" als Trainingsform bald der Vergangenheit angehört.