Erstes Unix-Forum in Ostberlin

In der DDR gilt Unix für viele Betriebe als ein Hoffnungsträger

01.06.1990

OST-BERLIN - Die Unix-Gemeinde der DDR sucht den Anschluß an den westlichen Stand der Technik. Deshalb hat die dortige Entwickler- und Anwendergemeinschaft Unix-kompatibler Systeme (EAG) ihre jahresversammlung zu einer eintägigen Messe ausgeweitet. Gekommen sind über 1000 Besucher.

In den beiden Ausstellungsräumen des Kongreßzentrums am Alexanderplatz präsentieren sich - dicht umlagert von Interessenten - fast alle wichtigen Hersteller aus dem Westen. Nur die IBM und Sun Microsystems fehlen. Gleichzeitig wird im tausend Hörer fassenden Vortragssaal die Unix-Situation hüben wie drüben beleuchtet. Plätze sind dort kaum mehr zu bekommen.

Das lebhafte Interesse rührt allerdings nicht zuletzt von der gespannten wirtschaftlichen Situation der DDR-Unternehmen her. Viele Anwender sind gekommen, weil sie nach Möglichkeiten suchen, die sich abzeichnende Privatisierung zu überstehen. Moderne Computertechnik zu erschwinglichen Preisen ist gefragt. In dieser Situation gilt Unix als Hoffnungsträger.

Information ist daher in Ostberlin eine heißbegehrte Ware. Schon nach wenigen Stunden gehen an den Ständen die Prospekte aus. Doch die Besucher wollen sich nicht mit Hochglanzpapier begnügen. Achmed Balamir, Softwareberater für Unix und Workstations am Stand von Digital Equipment, gibt sich begeistert: "Wir hatten schon eine ganze Reihe sehr konkreter Gespäche. Von Unkenntnis in Sachen Unix war dabei nichts zu spüren." Das bestätigt auch Nomina-Geschäftsführer Dieter Jekat. Der Verleger der ISIS-Produktkataloge war den ganzen Tag damit beschäftigt, Tips für die Anschaffung von westlicher Software zu geben. Aus seiner Sicht war die Messe ein "voller Erfolg".

Einen Überblick über die Unix-Sitation der DDR, besonders im Vergleich zum westlichen Ausland, sollte eine Reihe von Vorträgen vermitteln. Gleich zu Beginn zeigte Klaus Wilke, Geschäftführer der Westberliner Uniware GmbH, schlagwortartig den künftigen Hard- und Softwarebedarf auf.

"Out" sind seiner Meinung nach fast alle Rechner, die zur Zeit in der DDR eingesetzt werden. Sie verfügen über zu wenig Haupt- und Plattenspeicher.

"In" seien dagegen RISC- und EISA-Systeme mit mindestens einem 386er Chip.

Das Betriebssystem MS-DOS befindet sich laut Wilke ebenso auf dem absteigenden Ast wie das Unix-Derivat Xenix.

Aus diesen Gründen wurde dem "volkseigenen" Unix-System P8000 in einem weiteren Vortrag nur noch eine begrenzte Lebenserwartung zugestanden. Referenten der Open Software Foundation und von AT&T nützten daher die Gelegenheit, sich und ihre Betriebssysteme vorzustellen. Neben den Kontrahenten im Unix-Streit kam aber auch X/OpenVertreter Georg Winter zu Wort.

Die Reaktionen des Publikums waren eher zurückhaltend. Überwältigt von der Informationsfülle, wollten die weniger Unix-Erfahrenen sich erst einmal zurückziehen, um das gesammelte Material auszuwerten.

Manchen, wie dem System-Entwickler Alfred Lohse von der TU Dresden, schienen die Vorträge zu wenig anwendungsbezogen. Viele waren jedoch zu sehr mit ihren unternehmensspezifischen Problemen beschäftigt, um die erste Unix-Messe auf Ostberliner Boden genießen zu können.

Das bestätigt auch Helmut Grützbach, Vorsitzender der Unix-Vereinigung EAG: "Natürlich wollen sich jetzt die meisten Unternehmen selbständig machen. Doch es fehlt an Geld, betriebswirtschaftlichem Wissen, und außerdem wird die Zahl der nötigen Mitarbeiter weit überschätzt."

Die Zeit drängt, und nicht jeder Betrieb wird einen finanzkräftigen und hilfsbereiten Partner im Westen finden. Das Stimmungsspektrum in den Unternehmen reicht daher, so Grützbach, von "naivem Optimismus bis zu dunkelstem Pessimismus".