Forschung und Technologietransfer/Unis springen auf den Zug der Zeit

Im Gründungsfieber: Seht her, wir bringen Unternehmer hervor

06.08.1999
Innovation, Existenzgründung und Informationstechnologie - eine Universität, die in diesen drei Schlüsseldisziplinen Erfolge aufweisen kann, hat den Sprung auf den Zug der Zeit geschafft. Drittmittel winken, und das Renommee steigt. Also: keine Hochschule ohne Existenzgründerkonzept und Wissenschaftstransferstelle. Doch die Ausbeute ist recht unterschiedlich, mußte Stefan Eder* feststellen, auch, wenn die Konzepte preisgekrönt sind.

Auch eine Jury weiß, was sich gehört. Im Herbst vergangenen Jahres prämierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Sieger des Wettbewerbs "Existenzgründer aus Hochschulen", kurz "Exist". Zwei ostdeutsche Unis waren es und drei westdeutsche, also fast paritätisch verteilt zwischen hüben und drüben. Darunter sind Stuttgart und Karlsruhe, Dresden und die technischen Hochschulen Thüringens, alles Regionen, die auch für High-Tech-Forschung im innovativen IT-Bereich bekannt sind. Der fünfte Sieger hieß Wuppertal. Wuppertal?

Gründerkultur beibringen

Ulrich Knaup weiß Dramatisches zu berichten: "In den klassischen ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen suchen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt zu wenige unserer Studenten den Weg in die Selbständigkeit." So das Ergebnis einer über sechs Jahre angelegten Langzeitstudie an der Bergischen Universität, die Absolventen jeweils zwei Jahre nach ihrem Studiumsabschluß befragte. Knaup muß sich sorgen - aus Profession sozusagen. Als Mitarbeiter der Wissenschaftstransferstelle liegt ihm das Thema von Berufs wegen am Herzen. "Während der Anteil der Selbständigen unter den Hochschulabsolventen im Bundesdurchschnitt bei knapp zehn Prozent liegt, sind es im Fachbereich Elektrotechnik gerade mal 4,6 Prozent der Absolventen."

Die Wuppertaler Uni, die Fernuniversität Hagen und andere Partner wollen mit der preisgekrönten, regionalen Initiative "Bizeps" ("Bergisch-Märkische Initiative zur Förderung von Existenzgründungen, Projekten und Strukturen") den rund 67000 Studierenden der Region Gründerkultur beibringen und die Arbeit- und Geldgeber vor Ort gleich mit einbinden.

"Die Dienstleistung ist hier in der Region unterrepräsentiert", merkt Knaup an.

Ein Lehrstuhl für Gründungsforschung steht kurz vor der Besetzung. Die Existenzgründungswerkstatt läuft an. Das virtuelle Universitätskolleg "Entrepreneurship education" der Fernuni Hagen wird zum Herbst eingerichtet.

Das ganze Programm sei trotz allen Engagements nicht unbedingt ein Selbstläufer, erläutert Knaup. Er betreibt das Geschäft als Existenzgründer-Coach an der Wuppertaler Universität seit zwei Jahren. "Die Resonanz bei den Studierenden beruhte anfangs auf Mund-zu-Mund-Propaganda." Warum also Wuppertal?

Offensichtlich sind die Wuppertaler Studenten recht findig. Ein entscheidender Schub für Knaups Arbeit kam durch das Förderprogramm "Pfau" ("Programm zur finanziellen Absicherung von Unternehmensgründern aus Hochschulen") des Landes NRW. "Das war die Möglichkeit zu werben, bei den Professoren wie bei den Studierenden", erinnert sich Knaup. 14 Pfau-Kandidaten habe man bislang gehabt. Teilweise habe die Uni Wuppertal bis zu 50 Prozent der halbjährlichen vergebenen 15 Pfau-Stellen bekommen. "Bis auf eine Ausnahme sind alle an den Markt gegangen", ist Knaup sichtlich zufrieden.

Existenzgründern aus Universitäten stellt das Programm zwei Jahre lang eine halbe BAT 2a-Stelle an der jeweiligen Hochschule im bisherigen Fachbereich als wirtschaftliche Absicherung zur Verfügung. Die Spin-off-Kandidaten haben dann Zeit, sich um den Aufbau ihres Geschäftes zu kümmern.

Dies funktioniert in der Praxis hervorragend: "Der Betrachter eines solchen vom Computer berechneten dreidimensionalen Films kann etwa im Bereich der Architektur fotorealisitsch anmutende Räume erleben", erläutert Jörg Michell. Er und sein Kollege Sven Schmilgeit mit ihrer Firma Virtualform sind so ein Wuppertaler Spin-off. Die Designer haben sich auf 3D-Visualisierung im Internet und in Echtzeit begehbare Virtual-Reality-Umgebungen spezialisiert. Michell und Schmilgeit heimsten gleich mehrere Preise für ihre Software ein.

Im vergangenen Jahr bauten sie einen computeranimierten Rundgang auf dem Messestand der Ford-AG auf der Internationalen Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge. Man habe aber auch schon 3D-Filme für Schulungszwecke realisiert. Einer zeigt beispielsweise, wie sich ein Fräsbohrer durch eine Metallplatte frißt.

Ausbildungsbereiche, die für die IT-Branche von Bedeutung sind, finden sich aber noch andere in Wuppertal. Die Elektrotechnik befaßt sich mit Nano- und Optoelektronik, mit mobiler Kommunikationstechnik und elektromagnetischer Verträglichkeit. Microsoft sponsert im Bereich "Praktische Informatik" des Fachbereiches Mathematik Methodenforschung für elektronisches Publizieren. Das Institut für Robotik hat einen Schwerpunkt im Bereich flexibler Fertigungssysteme für die Zukunftstechnologien Mikroelektronik und Mikrostrukturtechnik.

Was die Designer Michell und Schmilgeit schon geschafft haben, würden gerne 20 Prozent der Wuppertaler Studenten nach dem Studium auch tun - sich selbständig machen, so das Ergebnis einer Umfrage an der Bergischen Universität. Ein Drittel der Befragten gab ein "eventuell" zu Protokoll. "Diese Zahl liegt erheblich über den tatsächlichen Gründungen", erläutert Knaup. "61 Prozent derjenigen, die gerne ihr eigenes Geschäft betreiben wollen, gaben an, nicht die hierfür erforderlichen Kenntnisse zu haben."

Das liegt nicht nur an den Studenten, sondern auch an den Ausbildungsinhalten. "Die Vermittlung von Kompetenzen, die für die unternehmerische Selbständigkeit wichtig sind, finden zur Zeit in den Lehrplänen noch keine ausreichende Berücksichtigung", skizziert Knaup den Status quo.

Ein Existenzgründer-Coach wie Knaup engagiert sich an allen Fronten. Die ersten Früchte der Arbeit werden sichtbar. "Mittlerweile können wir die Tendenz erkennen, daß es einzelne Professoren als Qualitätszeichen für ihre Ausbildung und ihren Lehrstuhl ansehen, wenn sich die eigenen Diplomanden oder Doktoranden selbständig machen, nach dem Motto: "Seht her, ich habe einen erfolgreichen Unternehmer hervorgebracht."

In der bayerischen Landeshauptstadt München ist man da schon etwas weiter. Wichtig für Angelica Bauer, Leiterin des Hochschulreferats für Wissens- und Methodentransfer der Technischen Universität (TU), ist eine stetige Einbindung des Themas Existenzgründung in die Fachbereiche. "Dies ist in Teilbereichen, etwa dem Maschinenbau, gut gelöst", weiß sie. Schon im Vorfeld von Forschungsprojekten würden dort Patentrecherchen vorgenommen. "So kann man verhindern, das Rad zweimal zu erfinden. Aber das ist längst noch nicht selbstverständlich."

Die TU an der Arcisstraße braucht sich über Industriekontakte der Lehrstühle und das Unterkommen der Absolventen wenig Sorgen zu machen. "In vielen Disziplinen, insbesondere den Ingenieurswissenschaften, gibt es über Jahre hinweg gewachsene Kontakte zur Wirtschaft", ist Bauer stolz.

Bonn als High-Tech-Schmiede

So etwa im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik. Dort arbeitet Professor Josef A. Nossek seit Jahren an intelligenten Antennen, die für eine effizientere Ausnutzung von Mobilfunknetzen von Bedeutung sind. Im Projekt "Systeme mit intelligenter Antenne" der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind noch zwei weitere Münchener Professoren beteiligt.

Nosseks Zögling Martin Haardt errang 1998 einen der drei Preise der Informationstechnischen Gesellschaft für ein Richtungsschätzverfahren für Antennenarrys. Auch ein weiterer Preisträger, Rainer Falk, kam aus der gleichen Fakultät. Durch eine entsprechende Formulierung von Sicherheitsanforderungen kann das Sicherheits-Management von Firewalls vereinfacht und verbessert werden.

Im Walter Schottky Institut der TU wird seit 1986 auf 2400 Quadratmetern hochkarätige Halbleiterforschung betrieben - in enger Industriekooperation und gemeinsam mit Fraunhofer- und Max-Planck-Instituten. Auch andere Lehrstühle, wie diejenigen für integrierte Schaltungen und Entwurfsautomatisierung, sind im Halbleiterbereich angesiedelt und verbreitern die Basis für diese Forschungsgebiete.

Die TU engagiert sich verstärkt im Bereich Existenzgründung und Spin-offs. Auch eine Datenbank zur umfangreichen Patentrecherche gehört zum Service. Die Universität geht mittlerweile dazu über, selber Patente anzumelden - "in Absprache mit den beteiligten Wissenschaftlern", betont Referatsleiterin Angelica Bauer. Bislang war es üblich, die Patente den Forschern zu übertragen. "Wir versprechen uns davon, langfristig mit Erlösen aus solchen Patenten wiederum Patentanmeldungen an der TU zu fördern", begründet sie diese Vorgehensweise.

Der Bund ist weg aus Bonn. Jetzt soll aus der Region eine High-Tech-Schmiede werden - München läßt grüßen. Die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) im nahen Sankt Augustin mit dem angegliederten Technopark für Spin-offs ist ein Stützpfeiler dieser Planungen. Ebenso das geplante Forschungszentrum "Caesar" und das Institut für Diskrete Mathematik, an dem die Forschercrew um Professor Bernhard Korte hochintegrierte Logikchips entwirft.

In Bonn hat sich viel getan

Doch wie steht es um die ehemalige Hauptstadt der Republik heute? Bei aller wissenschaftlichen Reputation, die Bonn hat: Manch einer würde die Rheinische Friedrich Wilhelms Universität wohl kaum mit den Schlagworten "Innovativität" oder "Spin-off" in Verbindung bringen. Zu Unrecht:

"In Bonn hat sich viel getan in den letzten Jahren", weist Rüdiger Mull den Vorwurf, altmodisch und transferunfähig zu sein, zurück. Er berät im Dezernat für Transfer und Öffentlichkeitsarbeit studentische Existenzgründer und ist dort Ansprechperson im "Klug", der Koordinations- und Leitstelle für Unternehmensgründung und -entwicklung.

Es war ein schleppender Anlauf vor fünf Jahren mit der Intensivierung der Existenzgründerberatung in Bonn. Interne Public Relations waren für ihn das Gebot der Stunde. Nicht jeder Professor sei spontan von der Idee begeistert gewesen, doch "die steigende Notwendigkeit von Drittmittelforschung an den Lehrstühlen hat unserer Arbeit zusätzlichen Schwung gegeben", beschreibt Mull die Fortschritte seiner Arbeit. 25 Unternehmen seien mittlerweile ausgegründet worden, der größte Teil durch Naturwissenschaftler und hier - in jüngster Zeit - verstärkt auch Informatiker.

Informatiker sind offensichtlich auch für die schnöde Praxis gut. Ein Roboterarm kann notfalls Eier bemalen oder mit einer definierten Kraft Oberflächen behandeln, sie etwa schleifen oder polieren. Derlei Ideen stammen vom Informatiklehrstuhl des Neuroinformatikers Professor Rolf Eck- miller. Gerade die Informatik in Bonn ist mit etwa 1500 Studierenden ein relativ großer Personalpool für die IT-Branche.

Bei Rolf Eckmiller arbeiten Physiker, Mathematiker und Informatiker fachübergreifend zusammen. Auf der Hannovermesse scharten sich Robotikexperten um den Stand der Bonner Universität. Eckmillers Zöglinge Volker Zahn und Rüdiger Maaß hatten einen kraftsensitiven intelligenten Roboter entwickelt, der eine der genannten Lehrstuhl-Ideen umsetzte und sich mit einem Edding-Filzer im Ostereiermalen versuchte.

Neurocomputer mit Photosensor-Chip

Derzeit steckt der Lehrstuhl des Diplom-Ingenieurs Eckmiller mitten in einem BMBF-Projekt namens "Retina-Implant". Diese Entwicklung soll Menschen helfen, deren Augennetzhaut, die Retina, sich zurückbildet und die deshalb zu erblinden drohen. Da die Sehnerven aber nicht tot sind, sondern nur der Kontakt zur Netzhaut unterbrochen ist, kann hier möglicherweise die Informatik eingreifen: Gemeinsam mit anderen Forschungsinstitutionen arbeiten die Bonner Neuroinformatiker an einer Art Sehprothese, mit der sich die Funktion der defekten Netzhaut ersetzen läßt. Den Kontakt zum zentralen Sehsystem stellt eine implantierte Mikrokontaktfolie her. Die Informationsverarbeitung des Auges, die teilweise durch die Netzhaut stattfindet, wird von einem "Retina Encoder" übernommen, ein lernfähiger Neurocomputer mit einem in ein Brillengestell integrierten Photosensor-Chip.

Aber auch aus der Philosophischen Fakultät finden Absolventen den Weg in die Selbständigkeit, etwa auf den Markt der Informationstechnik. Die Retivox Portele und Schröder GbR beschäftigt sich mit sprachgesteuerten Browsern und bietet eine entsprechende Schnittstelle besonders für WWW und E-Mail an. Sehbehinderte und Handybenutzer sind die Zielgruppe.

Spin-off-Kandidaten mit Kontakt zum Lehrstuhl

Den Studierenden bietet die Bonner Universität ein recht breites Angebot, wenn sie sich mit Unternehmensgründung auseinandersetzen wollen. Seit vier Semestern läuft eine Vorlesung zu Schutzrechten, also Patenten, die sich auch an Existenzgründer wendet. Die Uni bietet darüber hinaus eine Ringvorlesung an, die ausschließlich von Praktikern gehalten wird. Hier werden Themen von Steuerfragen bis zur Persönlichkeitentwicklung behandelt.

Die Bonner Uni bietet für Spin-off-Kandidaten ein Inhouse-Modell an, das in den ersten Jahren den Kontakt zum Lehrstuhl hält. Die Gründer können Räumlichkeiten im Institut, aus dem sie kommen, und die Infrastruktur der Universität nutzen. "Das verhindert einerseits, daß Institute von heute auf morgen gute Leute und wichtiges Know-how verlieren. Andererseits finden diese erst einmal ein Standbein und können in Ruhe ihr Unternehmen aufbauen", benennt Mull die Vorteile des Konzepts.

Einen besonderen Vorteil haben die Bonner durch die Deutsche Ausgleichsbank (DtA), die im südlichen Stadtteil Mehlem sitzt. "Dort können die Leute einfach hingehen und sich direkten Rat holen", so Mull. Generell sei aber der große Teil der Gründungen nicht sehr kapitalintensiv.

Gerade solche Existenzgründer werden von den Banken häufig als nicht kreditwürdig befunden. Die DtA hat deshalb seit Juni eine Art Kleinkreditprogramm für Existenzgründer laufen. Für einen Effektivzins von 6,94 Prozent sind Summen bis zu 50000 Euro für die Dauer von zehn Jahren zu bekommen. Das freut sicher auch die Existenzgründer in Wuppertal.

Apropos Wuppertal - eine weitere Erfindung aus dem Bergischen steht nahe bei Bonn, an Deutschlands meistbestiegenem "Berg", dem Drachenfels. Der Prototyp von Jörg Leucks beweglichen und sprachfähigen Puppen erläutert dort Touristen näheres zum Berg und zum Drachen. Der Elektroingenieur hatte sich an der Uni Wuppertal mit digitaler Sprachwiedergabe beschäftigt - bis ihm eines Tages ein interaktives Schaufenster vorschwebte. Mit Puppen, die nicht nur mit dem Kopf nicken, sondern auch noch etwas sagen können. Wären Sie auf so etwas gekommen? Eben.

Darum Wuppertal..

Angeklickt

"Entrepreneurship" kann konditioniert werden. Nach dem neoliberalen Glaubenssatz weiten immer mehr Unis ihr Lehrangebot aus. "Exist", ein Wettbewerb für Existenzgünder des BMBF konnte im Herbst letzten Jahes einige "beispielhafte Unis" ausloben, zwei im Osten (siehe CWund drei im Westen: Wuppertal, München und Bonn.

*Stephan Eder ist freier Journalist in Bonn.